Politik

Empfiehlt, die aktuelle Stromrechnung an den Ministerpräsidenten weiterzureichen: Grünen-Co-Fraktionschef Ludwig Hartmann. (Foto: loh)

21.04.2023

"Markus Söder hat Angst vor uns"

Bayerns Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann über Wahlprognosen, den Streit in der Ampel-Regierung und die Kosten der Energiekrise

Die Grünen gehen trotz vieler Kritik optimistisch in den Landtagswahlkampf. Es gehe nicht um Gewinnerthemen, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen, sagt Co-Fraktionschef Ludwig Hartmann im BSZ-Interview. Würde seine Fraktion dafür auch mit der CSU koalieren?

BSZ: Herr Hartmann, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie lagen die Grünen in Bayern in Umfragen bei 25 Prozent. Seitdem geht’s bergab – woran liegt’s?
Ludwig Hartmann: Umfragen gehen immer hoch und runter – das ist völlig normal. Wir liegen stabil auf Höhe des letzten Landtagswahlergebnisses von rund 18 Prozent. Das zeigt: Die Grünen haben ein starkes Fundament in Bayern, das auch in Krisenzeiten besteht. 

BSZ: Womöglich ist der Klimaschutz den Menschen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weniger wichtig.
Hartmann: Im jüngsten Deutschlandtrend liegen die Themen Klima und Umwelt auf Platz eins. Das zeigt, dass den Menschen auch in der aktuellen Krise eine langfristige Klimaschutzpolitik wichtig ist. Weil sie wissen, dass wir heute bestimmen, wie wir morgen noch auf unserem Planeten leben können. Ich verstehe, dass die Abkehr von Öl und Gas viele Bürgerinnen und Bürgern verunsichert hat. Die fehlende Weitsicht der Merkel-Regierung hat uns die starke Abhängigkeit von fossilen Energien eingebrockt. Ich bin froh, dass die Ampel die Kosten der fossilen Inflation in den Griff bekommen hat. Robert Habeck hat die Gasspeicher gut gefüllt und die Instrumente zur sozialen Absicherung greifen.

BSZ: Gehen die Umfragewerte der Grünen in Bayern auch wegen des Dauerstreits in der Bundesregierung zurück?
Hartmann: Dass die Ampel keine Traumhochzeit war, ist kein Geheimnis. Keine Partei ist vor der Bundestagswahl mit dem Ziel eines Dreierbündnisses angetreten. Es gibt viele inhaltliche Reibereien mit der FDP. Aber das Wahlergebnis war ein Handlungsauftrag, und dann rauft man sich eben zusammen. 

BSZ: Hätten Sie sich mit Blick auf die Landtagswahl gewünscht, die Grünen wären nicht Teil der Regierungskoalition geworden?
Hartmann: Ich freue mich, dass die Grünen im Bund unser Land mitgestalten. Ich empfinde die Konflikte in der Ampel eher als lebhafte Diskussion. Davon lebt unsere Demokratie. Schwierig wird es, wenn ein Koalitionspartner keine klaren Linien hat.

BSZ: Aber in Umweltfragen stand SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz der FDP in letzter Zeit oft näher als den Grünen. Befürchten Sie, dass die vielen Kompromisse beispielsweise beim Autobahnbau sich negativ auf das Wahlergebnis auswirken?
Hartmann: Wir haben bei der Bundestagswahl knapp 15 Prozent erreicht, natürlich kann man sich da nicht zu 100 Prozent durchsetzen. Aber bei der Bundestagswahl 1998 hatten wir nur 6,7 Prozent und konnten beim Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 trotzdem wichtige Weichen stellen. Die Grünen in der Ampel übernehmen eine wichtige Steuerungsfunktion. Und die Länder können immer mitreden, auch beim jüngsten Beschluss der Ampel zum Autobahnbau. Wenn wir Teil der bayerischen Staatsregierung sind, werden wir gegen weitere Luxusstraßen eintreten.

BSZ: Im neuen Regierungsprogramm der Grünen heißt es, Sie wollen nicht aufschreiben, „was die meisten Stimmen bringt“, sondern „offen ansprechen, was nötig ist“. Das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen stößt aber auf viel Kritik. Lässt sich mit unangenehmen Themen wirklich erfolgreich Wahlkampf machen?
Hartmann: Da muss ich die grundsätzliche Frage stellen, ob es in der Politik nur um wahlkampftaktische Manöver und Gewinnerthemen gehen sollte, wie das bei manchen unserer politischen Mitbewerber der Fall ist. Oder darum, Verantwortung zu übernehmen und eine gute Zukunft für die Menschen in Bayern zu gestalten. Für mich und meine Partei ist die Antwort klar. Nach dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg wäre es doch fatal, sich weiterhin abhängig von Öl und Gas zu machen.

BSZ: Warum wird denn Ihrer Meinung nach unser aller Leben teurer?
Hartmann: Weil die Kosten für fossile Energien explodieren. Solange Wind, Sonne und Tiefengeothermie in Bayern nicht konsequent ausgebaut werden, empfehle ich, die Stromrechnung an den Ministerpräsidenten weiterzureichen. Wenn Bayern, wie von der Staatsregierung beschlossen, bis 2040 klimaneutral sein soll, müssen wir auch beim Heizen besser werden. Das weiß auch Markus Söder.

BSZ: Was würden die Grünen denn in der Staatsregierung anders machen?
Hartmann: Für uns zählen die Menschen im Land und eine gute Zukunft für unsere Kinder und Enkel. Wir wollen dieses Land mit Weitblick gestalten. Damit wir hier auch morgen noch gut leben können. Der Söder-Regierung fehlt jeglicher Mut zum Gestalten. Sie kündigt nur an und bricht ein Versprechen nach dem anderen. Die Landtagswahl wird auch eine Abstimmung über unsere Energiezukunft. Wir brauchen dringend mehr Erneuerbare. Sie liefern günstigen Strom und schützen unsere Lebensgrundlagen.

BSZ: Nachdem selbst der bayerische Grünen-Landrat Jens Scherf Brandbriefe an die Bundesregierung verschickt: Wie muss auf die aktuelle Flüchtlingskrise in den Kommunen reagiert werden?
Hartmann: Bei dieser Frage bin ich ehrlich entsetzt vom doppelten Spiel der Söder-Regierung. Sie befeuert das Thema medial, zeigt mit dem Finger nach Berlin – und was macht sie selbst? Sie zahlt seit Monaten die Gelder nicht aus, die der Bund den Kommunen zur Versorgung von Geflüchteten zur Verfügung stellt. Das schadet den Geflüchteten, den Kommunen und den Ehrenamtlichen, die sich für eine gelingende Integration engagieren. Wenn die Staatsregierung hier genauso anpacken würde wie die Menschen in Städten und Gemeinden, wäre schon viel geholfen. 

BSZ: Die Staatsregierung will an der Atomkraft festhalten. Was läuft aus Ihrer Sicht falsch?
Hartmann: Trotz der vielen Sonnenstunden in Bayern wurden zu wenig Photovoltaikanlagen gebaut, Stromleitungen nicht ausgebaut, die Windkraft ausgebremst und Wasserkraftwerke privatisiert. Wir haben trotz des Volksbegehrens einen gewaltigen Artenschwund und verlieren täglich 10 Hektar Ackerboden. Auch der Ausbau der Schiene für Fern- und Güterzüge kommt nicht voran. Wenn die zweite Stammstrecke fertig ist, sind die heutigen Pendlerinnen und Pendler im Ruhestand. Es braucht endlich eine gestaltende Kraft in der bayerischen Staatsregierung, die Tempo macht und Bayern voranbringt. Diesen Anspruch haben wir. 

BSZ: In Ihrem Regierungsprogramm werben Sie für „Überzeugung statt Durchregieren“ und „Partnerschaft statt Machtkampf“. Was heißt das konkret?
Hartmann: Söder spaltet unser Land. Wir wollen ein stärkeres Wir-Gefühl fördern. Stadt und Land sind keine Gegensätze, sondern stärken sich gegenseitig. Unternehmerinnen und Naturschützer atmen dieselbe Luft, Bäuerinnen und Verbraucher trinken dasselbe Wasser, Windkraftgegnerinnen brauchen genauso Strom wie die Befürworter, ihre Kinder lernen zusammen in der Schule. Aufgabe der Regierung ist es, zwischen ihnen zu vermitteln und die besten Lösungen zu finden. 

BSZ: Außerdem fordern Sie mehr Macht für Frauen. Warum polarisieren die Grünen mit diesen Themen so sehr?
Hartmann: In meiner Wahrnehmung ist das häufig eine herbeierzählte Polarisierung, die einen Markus Söder mehr bewegt als die Menschen im Land. Die Realität ist doch eine andere: In der Wirtschaft hat sich schon lange die Erkenntnis durchgesetzt, dass gemischte Teams aufgrund der unterschiedlichen Blickwinkel erfolgreicher sind. 

BSZ: Sie liegen mit 44 Jahren genau im Durchschnittsalter der Menschen in Bayern. Ihre Co-Chefin Katharina Schulze ist 37 Jahre, Bayerns Grünen-Vorsitzende Eva Lettenbauer 30 Jahre. Müssten die Grünen nicht auch die Interessen älterer Menschen repräsentieren?
Hartmann: Niemand muss Angst haben, dass ältere Wählerinnen und Wähler bei uns zu kurz kommen. Die Grünen der ersten Generation haben mittlerweile alle ein paar Jahre auf dem Buckel. Grüne Politik hat immer die Interessen aller Generationen im Blick, selbst die der zukünftigen. 

BSZ: Trotz Ihrer Kritik steigt in Bayern die Zustimmung der CSU. In den letzten Monaten lag die Partei dauerhaft bei über 40 Prozent. Warum dringen die Grünen mit ihrer Kritik nicht durch?
Hartmann: Die Menschen in Bayern merken aktuell am eigenen Geldbeutel, dass die CSU ihr Leben teurer gemacht hat. Und dass das alte Denken der CSU unser Land ausbremst und als Wirtschaftsstandort gefährdet. Erneuerbare Energien sind das Fundament für den wirtschaftlichen Erfolg in Bayern. Die CSU hat uns in die Abhängigkeit von dreckigen fossilen Energien getrieben – und löst sich jetzt nicht davon. Glauben Sie mir, das dringt gerade in die Köpfe der Menschen vor – das merke ich bei meinen Besuchen überall im Freistaat. 

BSZ: Zuletzt nahmen die verbalen Angriffe von Ministerpräsident Söder gegen die Grünen enorm zu. Dabei hatte er 2020 noch Bäume umarmt. Wäre eine Koalition nach der Wahl mit der CSU für Sie überhaupt noch denkbar?
Hartmann: Die Attacken nehmen zu, weil Söder Angst vor uns hat. Wir sind sein Hauptgegner, weil er uns ein starkes Ergebnis zutraut. Er hat offensichtlich gemerkt, dass wir mit unserer inhaltlichen Arbeit einen Nerv in der Bevölkerung getroffen haben. 

BSZ: Jetzt haben Sie nicht gesagt, ob Sie eine Koalition mit der CSU eingehen würden.
Hartmann: Die entscheidende Frage ist: Was können wir inhaltlich in einer Koalition umsetzen? Ich bin kein Freund von Ausschließeritis. Demokratische Parteien müssen bei jedem Wahlergebnis eine stabile Regierung bilden können. Wenn Söder das ausschließt, ist das eine Watschn für die Wählerinnen und Wähler. Sie allein sie entscheiden am 8. Oktober. Söder hat dann mal Sendepause.

BSZ: Sie sind jetzt gemeinsam mit Katharina Schulze seit zehn Jahren Fraktionschef der Grünen. Werden Sie das auch bleiben, wenn die Grünen wieder in der Opposition landen?
Hartmann: Darüber habe ich mir noch keine tiefgehenderen Gedanken gemacht. Ich lege zwar viel Wert auf eine weitsichtige Planung bei politischen Inhalten, aber nicht bei meiner Karriereplanung. Da die CSU die Expertise der Grünen noch dringend brauchen wird, stelle ich mein energiepolitisches Fachwissen aber gern auch weiterhin zur Verfügung. (Interview: David Lohmann)

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