Markus Söder ist schon zum zweiten Mal in diesem Jahr an seinem großen Ziel - und geht doch in die falsche Richtung. Nach seiner Wiederwahl und Vereidigung im bayerischen Landtag und einer kurzen Rede will der alte und neue Ministerpräsident am Dienstag automatisch zurück zu seinem Abgeordnetenplatz gehen. Erst als ihm CSU-Fraktionsgeschäftsführer Tobias Reiß ein dezentes Zeichen gibt, reckt Söder dankend den Daumen nach oben und macht kehrt. Er geht zur Regierungsbank, klopft kurz - wie zur Begrüßung - darauf, stellt sich hinter den schon bekannten Sessel, strahlt. Und dann setzt er sich.
An diesem Dienstag fällt für jedermann offensichtlich eine schwere Last von Söder ab. 110 Abgeordnete haben ihm soeben ihre Stimme gegeben. Von den 112 Parlamentariern der neuen schwarz-orangen Koalition sind 111 anwesend, es fehlt also eine Stimme von CSU und Freien Wählern. Das aber ist Söder völlig gleich. Als er den Amtseid gesprochen und mit der Formel "So wahr mir Gott helfe" geendet hat, atmet der neue Regierungschef erst einmal tief durch.
"Ich hab jetzt viele Wahlkämpfe erlebt. Das war schon einer der härteren Art", sagt Söder in seiner Rede und beklagt: "Wir wurden auch hart begleitet - von außen." Das ist seine Formel für die Bundespolitik, und jeder im Saal weiß, dass er auch CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer meint. Doch dazu später mehr.
Die Beine dürften vom Dauerwippen schmerzen
Erst einmal bedeutet dieser Dienstag den vorläufigen Endpunkt eines langen, beschwerlichen Wegs für Söder. Im März übernahm er - aus seiner Sicht: endlich und viel zu spät - das Ministerpräsidenten-Amt von Seehofer, der nach Berlin wechselte. Am 16. März wurde der Franke zum ersten Mal in diesem Jahr zum Ministerpräsidenten gewählt.
Es folgten harte Monate des Wahlkampfs, Regierungskrisen in Berlin, Seehofers Rücktritt vom Rücktritt, der CSU-Absturz in den Umfragen - und dann die 37,2-Prozent-Pleite bei der Landtagswahl. Es hätte zwar noch schlimmer kommen können, in Umfragen waren es zwischenzeitlich ja nur noch um die 33 Prozent - doch die absolute Mehrheit ist weg. Es folgten Sondierungen und dann Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern, Abschluss eines Koalitionsvertrages im Eiltempo, die Unterzeichnung am Montag - und nun, am Dienstag, seine Wiederwahl.
Wie nervös Söder ist, ist ihm deutlich anzumerken. Seine Hände arbeiten in einem fort, die Beine dürften von dem langen Dauerwippen anschließend geschmerzt haben. Immer und immer wieder dreht er die gelb-weiße Stimmkarte durch seine Finger. Mal holt er sein handgeschriebenes Manuskript aus der Tasche, mal tippt er - möglichst unauffällig - auf seinem Smartphone.
Die Aussprache vor Söders Wahl verläuft ohne große Überraschungen. Die Freien Wähler freuen sich über die Regierung, daraus macht Fraktionschef Florian Streibl keinen Hehl. "Jetzt dämmert es schön orange am schwarzen Himmel empor", sagt er. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze lästert dagegen über ein "Bündnis der Mutlosen". Söder lässt es über sich ergehen. Wenig später ist er ja am Ziel.
Söder macht der Opposition ein Angebot zur Zusammenarbeit
Doch es sind durchaus neue Töne, die Söder in seiner ersten Rede anzuschlagen versucht. Auffällig ist schon allein, dass er sich nicht wie bislang gewohnt nur seiner eigenen Fraktion zuwendet, sondern auch der Opposition. Der macht er ein Angebot zur Zusammenarbeit: "Wir müssen einander wahrscheinlich besser zuhören, und wir müssen versuchen die Argumente des anderen ernster zu nehmen", sagt er.
Söder sagt Sätze wie: "Stil und Anstand im Parlament sich wichtig." Oder er betont: "Keiner hat die Wahrheit von vornherein gepachtet. Das Ringen um das Beste macht den Parlamentarismus stark, nicht das Verächtlichmachen des anderen. Wer andere schlecht macht, wird selber nie erfolgreich sein." Ein ungläubiges Raunen erhebt sich im Saal, als er sagt: "Wir müssen uns als Mehrheit überlegen, ob viele gute Ideen der Opposition nicht auch mehr wert sind darüber nachzudenken." Freilich fordert er genau das gleiche im Gegenzug von der Opposition.
Doch bevor Söder und die Koalition den neuen Kooperationswillen unter Beweis stellen können, steht in der CSU eine andere Entscheidung bevor: wie es an der Parteispitze weitergeht. Am Sonntag trifft sich zwar die engere CSU-Führung, aber vor allem wegen der Europaliste. Seehofer will sich nach eigenen Worten erst nach der Vereidigung des neuen bayerischen Kabinetts am Montag zu seiner Zukunft äußern.
Zweifel, dass Seehofer den Parteivorsitz noch in diesem Jahr abgeben wird, gibt es in der CSU eigentlich keine mehr. Und nicht nur das: Inzwischen läuft der Vorsitz sehr klar auf einen zu - Markus Söder.
(Christoph Trost, Marco Hadem und Katharina Redanz, dpa)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!