Nachmittagsunterricht an einer Ingolstädter Schule. Die Verwaltungsangestellte hat sich längst verabschiedet. Im Klassenzimmer sitzt die Schulleiterin und unterrichtet. Dann kommt der Lieferwagen mit Toilettenpapier. Niemand ist da, um den Lieferanten reinzulassen. Wer unterbricht den Unterricht und empfängt? Die Schulleiterin.
Karin Leibl sammelt viele solcher Geschichten. Sie ist Personalrätin im Schulamtsbezirk Ingolstadt und weiß, was den Lehrkräften und Schulleitungen zusetzt: Nicht die pädagogischen Aufgaben zerren an den Nerven. Anstrengend ist all das, was zusätzlich erledigt werden muss.
Deutlich gewachsen sind zum Beispiel die Anforderungen an die Dokumentation. Denn Lehrkräfte und Schulleiter*innen sind längst nicht mehr nur aufgefordert, pädagogische und didaktische Aufgaben zu übernehmen. Sie haben jede Menge Verwaltungskram zu erledigen – eine Aufgabe, für die sie nicht ausgebildet werden.
Corona, der Ukraine-Krieg – und nun noch die Bürokratie
Und die vielen von ihnen gar nicht liegt. Gutachten müssen eingesammelt, Schülerakten angelegt, Krankheitstage verzeichnet, Einverständniserklärungen eingeholt, Fortbildungsgelder verwaltet, IT-Probleme gelöst werden. Tätigkeiten, die problemlos von Leuten übernommen werden könnten, die wissen, wie man Akten führt, Verträge ausarbeitet und mit Softwareproblemen umgeht. Und die einfach nur da sind und an die Tür gehen, wenn der Toilettenpapierlieferant davorsteht.
Stattdessen stellen Lehrermangel, die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine die Schulen vor größere Herausforderungen denn je. Umso schmerzlicher ist der „Bürokratie- und Formularwahnsinn“, der sich, wie Leibl berichtet, Tag für Tag an bayerischen Schulen entfaltet.
Eine aktuelle Online-Umfrage unter deutschlandweit mehr als 3000 Lehrkräften an Gymnasien, die der Deutsche Philologenverbande durchgeführt hat, bestätigt: Die zusätzlichen Aufgaben, die anfallen, gefährden die Unterrichtsqualität.
Das gilt auch für Bayern: 77 Prozent der befragten bayerischen Lehrkräfte befanden, der bürokratische Aufwand schränke die Qualität ihres Fachunterrichts ein. 86 Prozent halten den verwaltungstechnischen und unterrichtsfernen Aufwand, den sie zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als Klassen- und Fachlehrkräfte bewältigen müssen, für „unangemessen und belastend“.
Michael Schwägerl vom Bayerischen Philologenverband (bpv) fordert daher, die Lehrkräfte von bürokratischen Aufgaben zu entlasten. „Auch Schulleitungen und Verwaltungen ächzen unter immer neuen Vorgaben, Konzepten und Zusatzaufgaben“, sagt Schwägerl. Während Corona war der „Wahnsinn“ naturgemäß komplett: Testen, Kontakt aufnehmen zu den Gesundheitsämtern, Masken verteilen, morgens um sechs die Ergebnisse der Pooltestung sichten und Eltern benachrichtigen: Das alles kam als täglicher Mehraufwand dazu.
Aber eigentlich ist das Problem schon älter. Seit Jahren macht sich der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV dafür stark, überflüssigen Bürokratismus abzuschaffen. „Schulen wollen gestalten, nicht verwalten“, so das Motto. Angesichts des Fachkräftemangels plädiert die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann für einen „Krisenbürokratismus“. Ihr Credo: „Wenn wir nicht genug Personal haben, müssen wir die Erwartungshaltung runterschrauben. Wir brauchen weniger Kontrolle und mehr Vertrauen.“
Viel wäre bereits gewonnen, würde die Verwaltung selbst einfacher. Große Hoffnungen ruhen darum auf der BayernCloud Schule, mit der das Kultusministerium die Nutzerfreundlichkeit steigern will. Bisher müssen die Schulen mit der ungeliebten Verwaltungssoftware ASV arbeiten, „ein ganz unangenehmes Programm“, wie Leibl immer wieder von Lehrkräften und Schulleitungen gespiegelt wird, „und überhaupt nicht praktikabel.“ Mit der BayernCloud wäre die lästige ASV-Software wohl passé. Fleischmann fürchtet allerdings, dass dann abermals die Schulleitungen gefragt sind und das IT- Management übernehmen müssen – wo man doch eigentlich IT-Hausmeister anstellen müsste, die sich um die Cloud kümmern.
Auch Leibl hätte ein paar Wünsche: Verwaltungsangestellte, die den ganzen Unterrichtstag zur Verfügung stehen. Vereinfachte Vertragsverlängerungen von Unterstützungslehrkräften. Unkomplizierte Anstellung von ukrainischen Lehrkräften.
Eine Sprecherin des Kultusministeriums weist unterdessen darauf hin, dass es ein zentrales Anliegen sei, „die Schulleitungen bei ihrer täglichen Arbeit zu entlasten und Verwaltungsprozesse zu vereinfachen – nachhaltig und langfristig“. Alle Abteilungen des Staatsministeriums arbeiteten hier eng zusammen und stünden im engen Austausch mit der gesamten Schulfamilie. Konkrete Aussagen seien vor Abschluss der Abstimmungen allerdings noch nicht möglich. Es heißt also, sich zu gedulden.
Und sich derweil einem ganz aktuellen Problem zu widmen: Normalerweise steht Ende Mai fest, wie viele Schüler*innen im neuen Schuljahr wo unterrichtet werden. In diesem Jahr ist dies nicht der Fall. Und das hat nicht nur mit den geflüchteten Kindern aus der Ukraine zu tun. Auch Corona wirkt nach: In den Pandemiejahren schob man viele Schülerinnen und Schüler irgendwie durch. Wer schwächer war, blieb weder sitzen noch wechselte er oder sie auf eine andere Schulart. Das dürfte zum neuen Schuljahr anders sein. Noch eine Herausforderung, der sich die Schulen stellen müssen.
(Monika Goetsch)
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