Am helllichten Tag tötet ein Mann mitten in einer Wohnanlage in Augsburg den neuen Freund seiner Ex. Es ist keine impulsive Eifersuchtstat. Gegen den Mann liegen schon etliche Anzeigen vor und sogar ein Strafbefehl. Der Täter hat seiner früheren Freundin monatelang nachgestellt. Er war ein Stalker.
Der zuständige Kriminalpolizist in Augsburg sagte nach der Tat, die im Sommer vergangenen Jahres passierte: „Wir machen alles, was das Recht derzeit hergibt, bis hin zum Gewahrsam, bis hin zur amtsärztlichen Untersuchung. Aber irgendwann sind die Möglichkeiten ausgeschöpft.“ Wenn der Täter dann immer noch weitermacht, müsste man ihn eigentlich verhaften, um den Verfolgten zu schützen. „Doch das ist derzeit nur schwer möglich.“
Seit genau fünf Jahren gilt Nachstellen – Stalking – in Deutschland als Straftat. Damals wurde das Delikt im Paragrafen 238 des Strafgesetzbuchs festgehalten. Doch nach Ansicht des Augsburger Polizisten ist damit noch nicht genug für die Opfer von Stalkern getan.
Auch Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) ist dieser Meinung. Das Problem: Stalking ist nur strafbar, wenn das Opfer nachweisen kann, dass es durch die Tat in seinem Leben schwerwiegend beeinträchtigt wird. Wer das Nachstellen erduldet oder nicht ausreichend Beweise hat, erhält keinen Schutz. „Ein Unding“, sagt Merk. Sie fordert: Für eine Anzeige dürfe nicht länger verlangt werden, dass der Täter das Leben des Opfers stark beeinträchtigt. Denn auch wenn der Verfolgte nicht umzieht, den Arbeitsplatz wechselt oder die Handynummer ändert, hinterlasse das Nachstellen Spuren. Merk: „Wir müssen endlich auch denen beistehen, die psychische Qualen still ertragen.“ Merk will jetzt über den Bundesrat oder den Bundestag oder aber über eine Einbindung des Bundesjustizministeriums versuchen, Verbesserungen zu erreichen.
Trotz dieser Schwachstelle im Gesetz findet Bayerns Justizministerin, der Stalking-Paragraf sei ein Meilenstein. Schließlich ist das Phänomen seit der Einführung des Straftatbestands in aller Munde, und das Problem werde von Justiz und Polizei endlich ernst genommen.
Getötet vom Ex
Doch das stimmt nur zum Teil. Im November wurde in der Oberpfalz eine 21-Jährige von einem Mann getötet, der sie seit Monaten verfolgte. Erst eine Woche vor der Tat hatte die junge Frau den Mann angezeigt – nicht zum ersten Mal. Die Beamten hatten den Mann bis zur Tat aber lediglich immer wieder aufgefordert, weitere Kontakte zu der jungen Frau zu unterlassen. Nach dem Tod der Frau erklärte dann die Polizei: Eine konkrete Bedrohung des Opfers sei zum Zeitpunkt der Anzeigen nicht zu erkennen gewesen.
Dabei hatte die Frau alles richtig gemacht: Sie hatte dem Nachsteller zunächst klargemacht, dass sie ihn nicht sehen wolle – und sich danach nicht mehr auf ein letztes klärendes Gespräch eingelassen. Und sie hatte alle Nachrichten und Anrufe aufbewahrt, um das Nachstellen belegen zu können.
Ingrid Pfeifer, Präsidentin des fränkischen Opfervereins „Gemeinsam-gegen-Stalking“ und selbst Stalkingopfer, fordert deshalb nicht nur, dass der Stalking-Paragraf geändert wird. Sie wünscht sich auch, dass die zuständigen Stellen mehr Aufklärung betreiben. „Noch immer wird Stalking von vielen Polizisten und Richtern unterschätzt.“
Die Zahlen geben ihr recht: Seit 2008 gab es in ganz Deutschland jährlich zwischen 25 000 und 26 000 Anzeigen wegen Nachstellens. Gleichzeitig erfolgten nur zwischen 400 und 600 Verurteilungen. In Bayern ist das Verhältnis ein bisschen besser: Im Jahr 2010 wurden rund 1800 Fälle angezeigt – und 55 Stalker verurteilt.
SPD will Sonderreferate
Und viele Fälle werden gar nicht angezeigt. Denn meist sind es Ex-Partner, die das Ende ihrer Beziehung nicht wahrhaben wollen und zum Stalker werden, persönlich, am Telefon, per Brief, per Mail per SMS. „Gerade wenn es Bekannte sind, ist es für die Opfer nicht leicht, anzuzeigen“, sagt Pfeifer.
Im Freistaat ist die Situation nach ihrer Erfahrung besser als im übrigen Deutschland. „Von Opfern aus anderen Bundesländern höre ich manchmal, dass sie von der Polizei weggeschickt werden mit der Begründung: Für Beziehungsstress sind wir nicht zuständig.“ Das gebe es in Bayern nicht.
Die Opposition im Landtag findet dennoch, dass der Freistaat die Situation von Stalking-Opfern verbessern muss – und zwar unabhängig davon, ob das Gesetz geändert wird. Horst Arnold, SPD-Abgeordneter und früherer Staatsanwalt: „Die Opfer müssen der Polizei und den Gerichten vertrauen, wenn sie dort Hilfe suchen sollen.“ In Bayern sei derzeit aber keine Vertrauensbasis vorhanden. „In Stalking-Fällen ermitteln keine Kriminalfachkommissariate, sondern normale Beamte. Und auch bei der Staatsanwaltschaft werden Verfahren wegen Nachstellung in allgemeinen Referaten bearbeitet, zusammen mit Delikten wie Diebstahl, Schwarzfahren und Körperverletzung.“ Diese Referate seien sehr ausgelastet, die Beamten könnten sich nicht angemessen um die sensiblen Stalking-Fälle kümmern. Horst Arnold fordert deshalb Sonderreferate für Stalking-Delikte.
Für Opfervertreterin Pfeifer ist aber am wichtigsten, dass der Stalking-Paragraf geändert wird. „Die Täter hören nur auf, wenn man ihnen mit Strafen droht, die wehtun“, sagt sie. „Ein Bürger ohne Vorstrafen kann sich derzeit als Stalker richtig lange austoben und das Opfer böse schädigen, bevor er mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen hat.“ Das wüssten leider auch die Täter.
(Veronica Frenzel)
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