Homosexuell? Ein zweites Mal verheiratet? Bisher hatte die katholische Kirche beim Privatleben ihrer Mitarbeitenden immer ein Wörtchen mitzureden. Fragen der Lebensführung waren ihr alles andere als egal. Mit der Lockerung des kirchlichen Arbeitsrechts kommt die Kirche nun in der Gegenwart an. „Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen ist eine Bereicherung“, heißt es jetzt ausdrücklich im Rechtstext.
Für die rund 800 000 Mitarbeitenden der katholischen Kirche und der Caritas ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ihr Arbeitgeber räumt ihnen endlich ein, was eigentlich völlig selbstverständlich sein sollte: dass sie „unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Alters, ihrer Behinderung, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche“ sein können.
Ganz freiwillig kam die Neuerung allerdings nicht zustande. Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen, inwiefern das kirchliche dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden könnte.
Der Deutsche Caritasverband zeigt sich erleichtert über die Entscheidung der Bischöfe. Sie sei „dringend überfällig“, erklärte die Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Der Würzburger Bischof Franz Jung hält die erneuerte Grundordnung „für einen guten und wegweisenden Schritt nach vorn“. Auch die Plattform katholisch.de feiert die Reform als Paradigmenwechsel, „weg von harten Anforderungen an den privaten Lebenswandel und Lebensformen, hin zur Wertschätzung von Vielfalt“.
Das Katholische LSBT+Komitee ist ebenfalls nicht unzufrieden. Einen Entwurf vom Mai dieses Jahres hatten das Komitee und die Initiative #OutInChurch noch scharf kritisiert. Dass das Thema Geschlechtsidentität darin nicht berücksichtigt werde, schaffe Unsicherheiten für queere Mitarbeitende, so die Sorge. Inzwischen haben die Bischöfe nachgebessert: Aus „sexueller Orientierung“ wurde „sexuelle Identität“.
Für Michael Brinkschröder, Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees, besteht zwar immer noch eine „Restunsicherheit“, da die Bedeutung des Begriffs „sexuelle Identität“ nicht eindeutig ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bezeichne damit zwar auch die Geschlechtsidentität, europäische Gerichte hätten das allerdings anders beurteilt. Und doch: „Für die Zukunft bin ich optimistisch, was die Auslegung der Grundordnung angeht“, so Brinkschröder.
Anderen geht die Reform nicht weit genug. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Bayern zeigt sich zwar grundsätzlich erfreut über die Reform: „Endlich kann sichtbar werden, wie divers unsere Kirche tatsächlich ist!“, so ihr Landesvorsitzender Peter Ziegler. Sie sieht aber größeren Reformbedarf. „Als Katholische Arbeitnehmer-Bewegung bedauern wir, dass es weiterhin keine Mitarbeiterbeteiligung auf Augenhöhe gibt.“
Verdi kritisiert Reform als „völlig unzureichend“
Heftige Kritik äußert auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die neue Grundordnung sei „völlig unzureichend“, die Reform „eine verpasste Chance auf Erneuerung“. Der Grund: Arbeitskampf, Streiks und Tarifverhandlungen sind weiterhin unmöglich. Stattdessen handeln auch künftig Kommissionen, die sich aus Dienstgebern und Mitarbeitenden zusammensetzen, einen Konsens aus. Die betriebliche Mitbestimmung ist schwächer als im weltlichen Arbeitsrecht.
Darüber hinaus bleibt der Austritt aus der katholischen Kirche ein Einstellungshindernis und Kündigungsgrund, ebenso die sogenannte kirchenfeindliche Betätigung. „Es kann zum Beispiel Kündigung drohen, wenn jemand für die Abschaffung der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen demonstriert“, so Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler empört. „Das ist nicht hinnehmbar.“
Jetzt sind die Diözesen an der Reihe, die Reform vor Ort umzusetzen. Die Diözese Regensburg will dies im ersten Quartal 2023 tun, die Bistümer Eichstätt, München und Freising und Würzburg ebenso. Dabei geht es laut Ziegler von der KAB auch um das künftige Profil der katholischen Arbeitgeber.
Denn während bisher die Mitarbeitenden und ihre vorbildliche Lebensführung das „Katholische“ einer Einrichtung ausmachten, soll künftig die Institution selbst katholische Identität vermitteln. Es gilt also zu klären, was einen katholischen Arbeitgeber auszeichnet. Wie ist das Miteinander geregelt? Woran erkennt man das Katholischsein in der Praxis? Was unterscheidet einen Job bei der katholischen Kirche von einer Stelle in der Privatwirtschaft? „Es wird spannend sein zu beobachten, was hier entwickelt wird“, so Ziegler.
Ganz nebenbei könnte die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts auch bei der Lösung eines anderen, drängenden Problems helfen. „Viele Menschen hatten, obwohl – oder weil – sie früher in der kirchlichen Jugendarbeit tätig waren, ein Problem mit der bisherigen Grundordnung“, so Ziegler. Er hofft, dass sich das nun ändert – und bei den nächsten Stellenausschreibungen mehr Bewerbungen eingehen. (Monika Goetsch)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!