Politik

04.11.2022

Meinungsfreiheit: Ein bedrohtes Gut

Ein Kommentar von Waltraud Taschner

In Deutschland ist Meinungsfreiheit ein Grundrecht. Eigentlich. Doch immer mehr Menschen gewinnen den Eindruck, dass ihre Sicht der Dinge nicht mehr geduldet wird. Eine Umfrage vom vergangenen Jahr kam zum Ergebnis: Die Hälfte der Deutschen glaubt, freie Meinungsäußerung sei nicht mehr möglich. Die Übermacht von Social Media, wo sich blitzartig Shitstorms erheben können, wird auch von Politiker*innen beklagt. Da wäre es angebracht, mit gutem Beispiel voranzugehen, Dissens auszuhalten und offen zu sein für Kontroversen. Leider aber regieren auch im politischen Diskurs zunehmend Hass und Hetze.

Boris Palmer oder Sahra Wagenknecht tanzen gern mal aus der Reihe. Deshalb muss man ihnen nicht den Mund verbieten und sie schon gar nicht aus der Partei werfen

Nach Boris Palmers Wahl zum Tübinger Oberbürgermeister Ende Oktober schäumte ein Berliner Grünen-Abgeordneter auf Twitter vom „ersten AfD-Oberbürgermeister“ Deutschlands. Bayerns SPD-Generalsekretär attackierte Palmer als „Rassisten“. Geht’s noch? Klar, Boris Palmer, dessen Grünen-Mitgliedschaft ruht, ist kein Unschuldslamm; er hält nicht viel von diplomatischem Palaver und hätte sich die eine oder andere blöde Bemerkung sparen können. Rassistisch ist er aber keineswegs. Schon, dass die früher mal freiheitsliebenden Grünen den Provokateur Palmer am liebsten aus der Partei geworfen hätten, ist absurd. Ähnliche Anfeindungen muss die Linke Sahra Wagenknecht erdulden. Weil sie nach Verhandlungen mit Putin ruft, wird nun auch in ihrem Fall ein Parteirausschmiss gefordert. Das Signal: Wer nicht auf Linie ist, muss weg. Basta.

Und jetzt das: Die Neufassung des Paragrafen zur Volksverhetzung sieht künftig Freiheitsstrafen für diejenigen vor, die sich zu umstrittenen Konflikten der Gegenwart äußern. Strafbar kann künftig beispielsweise sein: eine Äußerung, die zum Hass gegen eine nationale oder ethnische Gruppe aufstachelt oder die den öffentlichen Frieden stören könnte. Wer das beurteilt? Das Amtsgericht. Allein, dass diese Neuregelung ohne öffentliche Debatte nachts um 23 Uhr vom Bundestag beschlossen wurde, ist mindestens ungeschickt. Katastrophal ist die wachsweiche Vorgabe, Äußerungen sollen nicht den öffentlichen Frieden stören. Wer bereits jetzt die Meinungsfreiheit in Gefahr sieht, wird so erst recht verunsichert. Öffentlicher Frieden lässt sich nicht mit Denk- und Sprechverboten erzwingen. Demokratie muss Konflikte auch mal aushalten.

 

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