Politik

18.11.2016

Millionenfacher Schmerz

Noch immer wird Tieren in wissenschaftlichen Versuchen Leid zugefügt – in Bayern sogar besonders oft

Tierversuchs-Hochburg Bayern: Rund 14 Prozent der bundesweit 2,8 Millionen Versuchstiere entfallen auf den Freistaat. Staatliche Mittel gibt es kaum dafür, jedoch hält sich auch der staatliche Kampf gegen das Tierleid in Grenzen.

Die Bilder sind nicht schön: Äffchen, am Kopf verkabelt und auf OP-Tischen festgebunden, reißen angstvoll ihr Maul auf; Mäuse winden sich nach Injektionen auf dem Käfigboden. Tierversuche abzulehnen, indem man Emotionen anspricht, wie es die Organisationen Peta, Vier Pfoten oder Animal Peace tun, ist nicht schwer. Obendrein geben Behörden wie das bayerische Kultusministerium offen zu: „Eine Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen aus Tierversuchen auf Menschen kann nicht in vollem Umfang sichergestellt werden.“

Trotzdem bleiben die Zahlen hoch: Im Jahr 2014, dem jüngsten, für das belastbare Daten vorliegen, wurden nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums deutschlandweit 2,8 Millionen Tiere für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Knapp ein Fünftel der Fälle, etwa 450 000 Tiere, entfiel auf Bayern: Die für den gesamten Freistaat zuständigen Regierungen von Oberbayern und Unterfranken genehmigten insgesamt 359 Tierversuchsanträge. Im ersten Halbjahr 2016 waren es 104.

Weltweit dagegen gibt es weniger verlässliche Zahlen. Tierschützer nennen zwischen 60 und 115 Millionen Versuchstiere. Wenn man aber bedenkt, dass in der Bundesrepublik nur zirka ein Prozent der Weltbevölkerung lebt, dann sind die Deutschen auf diesem Sektor überproportional stark aktiv – was aber auch damit zu tun haben kann, dass hier die führenden internationalen Pharmaunternehmen wie Bayer oder Novartis ansässig sind.

Der größte Teil der betroffenen Tiere, mehr als 80 Prozent, waren Mäuse und Ratten: Sie sind leicht zu halten, brauchen wenig Futter, sind intelligent. Hinzu kommen noch mehrere tausend Meerschweinchen, einige hundert Vögel und Fische sowie, wie die Regierung von Oberbayern korrekt auflistet, „175 Katzen, 40 Hunde und sechs Paviane“. Immerhin: Bei ihren Würzburger Kollegen wurden „Tierversuche in Bezug auf Primaten, Hunde und Katzen, Pferde und Rinder … im Jahr 2015 in unserem Zuständigkeitsbereich nicht beantragt“.

Auf den ersten Blick scheint die Rechtslage eindeutig: Laut Paragraph 7 des Tierschutzgesetzes „dürfen Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zum Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, zum Erkennen von Umweltgefährdungen, zur Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit und im Rahmen der Grundlagenforschung zugefügt werden.“

Und ebenso klar ist geregelt: Das alles gilt nur im medizinischen Kontext. Kosmetikprodukte dagegen, die durch Tierversuche entwickelt wurden, dürfen in der gesamten Europäischen Union seit 2013 nicht mehr verbreitet werden. Vorbild war hier, man mag es kaum glauben, China: Die Regierung in Peking verlangt inzwischen Strafgebühren, wenn Kosmetikhersteller Tiertests durchführen und ihre Produkte in China vermarkten wollen.

Generell gilt: So genau mögen die meisten Bürger nicht hinschauen beziehungsweise nachlesen, wenn’s um Tierleid geht. „Es gibt ein Informationsdefizit in der Öffentlichkeit, viele unklare Situationen, viele dramatische Bilder, wenig fachbasierte Informationen“, klagt Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen, der selbst an Affen forscht.

Deutsche Bestimmungen umgehen? Dann forscht man eben im Ausland

Tierversuche seien in der Pharmaforschung nicht zu umgehen, meint Wissenschaftler Treue. „Es gibt kaum wirklich große medizinische Durchbrüche, kaum eine Therapie, die heute eingesetzt wird, die nicht auch auf Tierversuchen beruhte – allein schon deswegen, weil jedes Medikament, das auf den Markt kommt, natürlich erst mal auf seine Sicherheit überprüft werden muss. Dazu gehörten auch Tierversuche – „und natürlich die Grundlagenforschung, die uns erlaubt zu verstehen, was bei diesen Krankheiten denn schiefgeht“.

Doch es gibt in der Wissenschaft durchaus andere Stimmen – Robert Landsiedel beispielsweise. Er ist Leiter der Einheit Toxikologische Kurzzeit-Prüfungen bei BASF in Ludwigshafen. Mit seinen Mitarbeitern führt Landsiedel regulatorische Toxizitätsprüfungen durch und forscht an der Entwicklung neuer Alternativmethoden. Dafür erhielt er 2013 sogar den Tierschutz-Forschungspreis des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Und natürlich gibt es immer noch die Möglichkeit zu tricksen. Die oberfränkische SPD-Landtagsabgeordnete Susann Biedefeld wollte im vergangenen Jahr vom bayerischen Kultusministerium wissen, wie die Regierung zu verhindern gedenke, „dass auf dem Wege der internationalen Kooperation die in Deutschland geltenden Standards für Tierversuche an bayerischen Forschungseinrichtungen unterlaufen werden“.

Antwort aus dem Hause von Ressortchef Ludwig Spaenle (CSU): schwierig. Die Bestimmungen würden nun mal nur für Deutschland gelten. Das deutsche Tierschutzrecht beinhalte keine Regelungen für Erkenntnisse, „die in Drittländern nach ausländischem Recht gewonnen wurden.“

Immerhin: Der Staat engagiert sich auch nicht sonderlich in diesem Forschungszweig. Die Münchner LMU beispielsweise, die einzige tierärztliche Ausbildungsstelle Bayerns, erhält vom Freistaat jährlich lediglich 26 000 Euro für Ausgaben rund um das Thema Tierversuche. Meist werden dafür neue Tiere gekauft oder Futter angeschafft. (André Paul)

Kommentare (1)

  1. GoVegan am 21.11.2016
    Jedes Jahr werden über 12 Millionen Tiere in Laboren der EU gefoltert und getötet – für den Biologieunterricht, das Medizinstudium, aus Wissbegier und zum Testen von Chemikalien, Medikamenten, Lebensmitteln und Konsumgütern.
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