Eigentlich ist die Sache ganz einfach, meint Christine Lüders. Die ethnische Herkunft eines Tatverdächtigen hat nichts in einem Polizeibericht zu suchen, wenn sie nicht der Täterermittlung dient. Allerdings merkt sie auch: Aktuell herrscht eine große Verunsicherung in den Behörden. Vor allem weil der Druck aus der Gesellschaft immer stärker wird: Vertuschungsvorwürfe zeigen ihre Wirkung.
BSZ: Frau Lüders, seit der Kölner Silvesternacht wird hitzig darüber debattiert, ob Polizei und Medien die Herkunft von Tatverdächtigen nennen sollen. Wann ist das aus Ihrer Sicht angezeigt?Christine Lüders: Es gibt eine ganz klare Regel: Wenn es zur Ermittlung der Täter wichtig oder für das

Verständnis einer Tat von herausragender Bedeutung ist, darf man die Herkunft nennen. In Köln war eine Nennung legitim, denn es gab ein erhebliches Fahndungsinteresse. In vielen anderen Fällen aber ist die Herkunft nicht relevant. Und manchmal führt die Nennung dann nur dazu, Vorurteile zu schüren.
BSZ: Im Sommer 2015 schritten Sie ein, als die Dortmunder Polizei vor Taschendiebstählen mittels des sogenannten Antanztricks warnte und von „meist nordafrikanischen jungen Männern“ sprach. Wo ist der Unterschied zu Köln?Lüders: Dort ging es nicht um eine Täter-Ermittlung, sondern um einen pauschalen Warnhinweis gegenüber einer ganzen ethnischen Gruppe. Das halte ich für schwierig – in Bahnhöfen etwa wird doch bei Warnungen vor Taschendieben aus gutem Grund auch nicht nach Volksgruppen unterschieden. Sonst geraten zahlreiche Menschen unter einen Generalverdacht.
BSZ: Nennen Polizei und Medien nach Maulkorb-Vorwürfen und Vertuschungsunterstellungen öfter die Herkunft eines Täters als nötig?Lüders: Dazu gibt es keine Zahlen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass es seit Köln innerhalb der Polizei eine stärkere Unsicherheit gibt. Die Polizei steht aktuell enorm unter Druck. In der Gesellschaft ist es gerade populär zu fordern, immer und sofort die Nationalität von Tätern zu nennen. Diese Stimmung wird von Pegida und Co. noch befeuert. Dieser Verunsicherung muss dringend entgegengewirkt werden, auch durch klare Ansagen von Innenministern und Vorgesetzten. Noch einmal: Eine Nennung muss der Ermittlung der Täter dienen.
"Opfer von Diskriminierung verlieren die Motivation, werden krank"
BSZ: Wird es aktuell gar wieder hoffähig, Vorurteile offen auszusprechen?Lüders: Dass gerade durch soziale Medien Vorurteile, Diskriminierung und Hetze rasend schnell und massiv verbreitet werden können, muss uns alarmieren. Aber wir sollten nicht daraus schließen, dass solche Einstellungen deshalb mehrheitsfähig werden. Hoffähig würden sie nur, wenn nichts dagegen getan würde. Ich habe aber durchaus das Gefühl, dass Gesellschaft und Politik hier aktiv sind.
BSZ: Welchen Effekt hat Diskriminierung eigentlich auf die Gesellschaft?Lüders: Sie verhindert Chancengleichheit und eine gerechte Teilhabe in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Betroffene verlieren die Motivation, werden krank, leben isoliert. Und der Schaden daraus zeigt sich überall. Zum Beispiel auch in der Wirtschaft, wo Potenziale nicht mehr ausgeschöpft werden können.
BSZ: Eine Diskussion nach Köln war auch, ob Clubbesitzer Flüchtlinge oder Migranten abweisen dürfen. Manche sprachen sogar von Notwehr, mit der sie andere Gäste schützen wollten.Lüders: Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass es Disco-Besitzer gibt, die mit Gästen, die sich danebenbenehmen, schlechte Erfahrungen machen. Und solche Gäste können sie ja auch ohne Probleme des Hauses verweisen. Ein Clubbetreiber aber hat nicht das Recht, Menschen pauschal zu unterstellen, sie seien Belästiger oder Störenfriede, nur weil sie aus einem bestimmten Land kommen. Das ist beleidigend und diskriminierend. Eine ganze Gruppe auszusperren geht deshalb nicht.
"Es geht doch zu weit, zu unterstellen, dass alle Flüchtlinge Frauen sexuell belästigen"
BSZ: Der Türsteher kann ja einfach behaupten, dass der Club voll ist.Lüders: Nein, das kann er nicht ohne Weiteres. Denn oft machen Betroffene den Test mit anderen Personen, die dann eingelassen werden. Ich kann davor nur warnen, denn vor Gericht haben in der Vergangenheit Betroffene immer wieder Entschädigungen erwirkt, zum Teil bis zur Höhe der Abendeinnahmen des Clubs. Es geht mir nicht darum, Clubbesitzern in ihr Hausrecht reinzureden. Aber Menschen dürfen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft nicht benachteiligt werden. Und zu unterstellen, dass alle Menschen, die in einer Flüchtlingsunterkunft leben, Frauen sexuell belästigen oder randalieren, geht zu weit.
BSZ: Mit dem bayerischen Integrationsgesetz plant die CSU, dass Schwimmbäder, Stadien und Bibliotheken Flüchtlingen erst dann den Zutritt gewähren können, wenn sie über die dort geltenden Verhaltensregeln belehrt worden sind. Ist das denn legitim?Lüders: Mit Blick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz klingt das für mich problematisch. Denn Flüchtlinge würden beim Zugang zu solch einer Einrichtung im Vergleich zum nicht geflüchteten Nutzer anders behandelt. Und das wäre eine unmittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft. Das ist verboten. Sie belehren ja auch keine Deutschen, sich nicht danebenzubenehmen.
BSZ: Bekommen Sie viele Beschwerden von Flüchtlingen oder Migranten?Lüders: Wir beobachten schon seit einiger Zeit, dass die Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft zunehmen. Es ist anzunehmen, dass dieser Trend anhält, was ja auch die Diskussionen um Zutrittsverbote für Flüchtlinge zeigen. Wir bereiten uns darauf vor, indem wir zum Beispiel ab Sommer ein mehrsprachiges Informationsangebot gezielt für Flüchtlinge anbieten wollen und eine Beraterin oder einen Berater mit Arabischkenntnissen einstellen werden. Ein Viertel der Beratungsanfragen, die uns erreichen – insgesamt sind es knapp 15 000 seit 2006 – betreffen Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft. Um aber das tatsächliche Ausmaß von Diskriminierung zu erfassen, haben wir die bislang größte Umfrage Deutschlands gestartet. Im April werden die Ergebnisse veröffentlicht.
"Der bayerische Ministerpräsident ließ mir ausrichten, dass Bayern bereits genügend gegen Diskriminierung tut"
BSZ: Es gibt auf Ihr Wirken hin eine „Absichtserklärung der Länder“. Was ist das und warum ist Bayern nicht dabei?Lüders: Es geht um eine Offensive gegen Diskriminierung, die der Bund nicht alleine stemmen kann. Zehn Länder haben dazu bereits eine Absichtserklärung unterschrieben. Darin können sie eigene Konzepte formulieren – etwa mit einer Antidiskriminierungsstelle auf Landesebene oder Beschwerdestellen an Schulen. Der bayerische Ministerpräsident hat mir allerdings ausrichten lassen, dass Bayern bereits genügend gegen Diskriminierung tut.
BSZ: Und stimmt das?Lüders: Für die Antwort fehlt mir der umfassende Einblick. Eines aber habe ich bemerkt: Wir fördern als Bundesstelle in den einzelnen Ländern Netzwerke gegen Diskriminierung – vor allem auch finanziell. Doch trotz intensivster Bemühungen haben wir in Bayern noch keinen Partner für die Umsetzung gefunden.
(
Interview: Angelika Kahl)
Foto: Christine Lüders (63) leitet seit 2010 die Antidiskriminierungsstelle, die Opfer unterstützt und das Thema wissenschaftlich begleitet.
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