Politik

Ist nicht nur Bauminister, sondern auch Vorsitzender der bayerischen JU: der 37-jährige Hans Reichhart (CSU). (Foto: Peter Kneffel/dpa)

29.05.2019

Noch jede Menge Nachholbedarf

Der bayerische JU-Vorsitzende Hans Reichhart kritisiert CDU-Reaktion auf Rezo-Video

Bayerns Landesvorsitzender der Jungen Union (JU), Hans Reichhart, hat in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk Kommunikationsfehler der CDU in Bezug auf das Rezo-Video eingeräumt. Er bezeichnete die Antwort der Schwesterpartei der CSU als "nicht wirklich geglückt". "Zunächst zu sagen, ich mach' was, dann eine Hängepartie zu machen und dann zu sagen, ja, ich mache doch nichts und dann ein zwölfseitiges PDF-Dokument zu veröffentlichen (...) zeigt, dass wir dort wirklich noch Nachholbedarf haben, auch in der Kommunikation", sagte Reichhart, der auch bayerischer Bauminister ist.

In der medialen Debatte nach Annegret Kramp-Karrenbauers umstrittener Aussage zur "Meinungsmache" im Internet sieht er vieles als "verkürzt dargestellt". Weiter sagte er, man dürfe niemandem das Wort verbieten. "Wir können uns nicht über Jahre beklagen, dass die junge Generation kein Interesse für Politik hat und dann kommt eine Diskussion auf und dann sagen wir: 'nein, aber so nicht'."

Kramp-Karrenbauer hatte am Montag Regeln für "Meinungsmache" im Internet in Wahlkampfzeiten ins Gespräch gebracht und dafür heftige Kritik kassiert. Ihr wurde vorgeworfen, sie wolle die Meinungsfreiheit einschränken - was sie zurückwies. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Jeder, den ich kenne in der CDU, oder jede, setzt sich für Meinungsfreiheit als ein Grundprinzip ein."

Rezo ist einer der erfolgreichsten Musik-Videoblogger in Deutschland. Seine Generalabrechnung mit der Politik von CDU, CSU, SPD und AfD sprengt alle Rekorde. 12,7 Millionen Mal wurde das 55-Minuten-Video mit dem Titel "Die Zerstörung der CDU" inzwischen abgerufen. Das ist mehr als die durchschnittliche Reichweite der "Tagesschau". 

Und der Rant - die Wutrede - des 26-Jährigen mit dem blau gefärbten Haar hinterließ in der Politik tiefe Spuren - im Gegensatz zum Versuch der Jungen Union. Unter dem Hashtag #JU4EU traten zwar auch Influencer wie Yvonne Pferrer, die über eine Million Instagram-Abonnenten hat, in einem Hoodie der Nachwuchsorganisation auf. Doch die Posts entfalteten keine virale Wirkung.

Jetzt sind plötzlich alle ganz aufgeschreckt

Auf das Zerstörungs-Video von Rezo wurden dagegen nicht nur die Online-Experten im Konrad-Adenauer-Haus schnell aufmerksam. Die Christdemokraten kritisierten die Wutrede als einseitig, unsauber recherchiert, zugespitzt. Doch eine wirksame Reaktion aus der CDU-Zentrale blieb aus.

Ein angebliches Antwort-Video des ebenfalls 26-jährigen Unionsabgeordneten Philipp Amthor, über das im Netz gemunkelt wurde, wurde nie veröffentlicht. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer lamentierte lediglich: "Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab." Auf die konkreten Vorwürfe aus dem Video ging sie nicht ein.

Nach einigem Hin und Her rang sich die Parteiführung immerhin dazu durch, sich in einem langen Dokument "Wie wir die Sache sehen" an den inhaltlichen Punkten von Rezo abzuarbeiten, die der Blogger in seinem Video aufwendig mit Quellenhinweisen belegt hatte. Ulf Buermeyer, Bürgerrechtler, Richter und Podcaster ("Lage der Nation") kann dabei nur den Kopf schütteln: "Sie veröffentlichen ein 11-seitiges PDF im Internet, eng bedruckt, keine Grafiken. Man nennt das in der Fachsprache eine 'Bleiwüste'. Und ganz ehrlich: Das liest halt niemand. Und vor allem lesen das exakt null Prozent von denjenigen, die das Rezo-Video gesehen haben."

Nach der Europawahl können die Verantwortlichen der Union das Youtube-Debakel nicht einfach abhaken und zur Tagesordnung übergehen. Zu deutlich haben Rezo und die rund 70 anderen Youtube-Stars, die sich mit seiner Kritik solidarisiert hatten, die Meinungsbildung vor dem Urnengang geprägt. "Jetzt sind plötzlich alle ganz aufgeschreckt", schreibt Social-Media-Experte Philipp Jessen im "Tagesspiegel Background Digital". "Weil sie sehen, welchen politischen Einfluss ein Youtuber mit blauen Haaren und ein kluges Mädchen mit Namen Greta haben können, beide mit Smartphone und großen Ideen bewaffnet, aber ohne Parteizugehörigkeit", so der Geschäftsführer der Kommunikationsberatung Storymachine.

Doch statt versöhnlicher Signale aus der CDU-Zentrale kommen in der Netz-Szene nur Äußerungen an, die als Affront empfunden werden. Unter dem Hashtag #AKKRuecktritt empörten sich unzählige Twitter-Nutzer über die Gedankenspiele der CDU-Vorsitzenden zu Regeln für "Meinungsmache" im Netz. "Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD", sagte sie und erklärte, dass "Regeln aus dem analogen Bereich" auch online gelten müssten.

Zuvor hatte bereits Thomas Bareiß, CDU-Vorstandsmitglied und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Öl ins Feuer gegossen. Via Twitter reagierte er auf die Stimmenverluste der Union mit einem Hinweis, der von vielen jungen Leuten als überheblich empfunden wurde: "Wenn die #Erstwähler mal ihr eigenes Geld verdienen und selber spüren wer das alles bezahlen muss sieht die #Wahl vielleicht auch wieder anders aus." In über 4000 Kommentaren auf Twitter kam sein Statement durchweg nicht gut an.
(dpa)

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