Es gibt Momente, in denen eine abstrakte politische Debatte für die Menschen vor Ort plötzlich ganz konkret wird. Für viele Bewohner der oberbayerischen Gemeinde Wörthsee wurde der Klimawandel am Pfingstmontag im wahrsten Sinne greifbar, als Hagelkörner, groß wie Tennisbälle, auf den Wörthsee prasselten.
Natürlich sind nicht alle Wetterextreme auf den Klimawandel zurückzuführen, doch deren Zunahme ist nach Ansicht von Experten menschengemacht. Auch der Wörthseer Grünen-Gemeinderat Florian Tyroller sah den heftigen Niederschlag in seiner Heimat mit großer Sorge – und handelte. Ende Juli beantragte er, dass seine Gemeinde den „Klimanotstand“ erklärt. Das Gremium folgte der Empfehlung der Ökopartei – gegen die Stimmen der Christsozialen. Dem Beschluss zufolge muss die Gemeinde künftig bei jeder Maßnahme – vom kommunalen Neubau bis zur Anschaffung eines neuen Fahrzeugs – darauf achten, dass diese möglichst klimaneutral erfolgt.
Wörthsee ist damit nach Erlangen die zweite bayerische Kommune, die offiziell den Klimanotstand ausgerufen hat. Den Anfang hatte bundesweit im Mai Konstanz gemacht. Anfang August waren dem Bundesumweltamt zufolge bereits mehr als 40 deutsche Städte und Gemeinden dem Beispiel der Stadt am Bodensee gefolgt. Klimaaktivisten mahnen, es seien mittlerweile sogar mehr als 50, darunter Bonn, Kiel oder Köln.
Kommunen, die den Klimanotstand beschließen, erkennen an, dass ihre bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels nicht ausreichen. Die Verwaltung wird durch den Beschluss beauftragt, „wirksame Maßnahmen zu ergreifen“, heißt es in der Definition des Bundesumweltamts.
Die CSU zickt
„,Klimanotstand’ ist kein eingeführter Rechtsbegriff“, sagt der Hamburger Verwaltungsrechtsexperte Martin Wickel. Es handle sich nicht um eine konkrete Notsituation, wie etwa bei einer Flutkatastrophe. Durch den Beschluss „Klimanotstand“ allein entstehe noch keine Rechtsverbindlichkeit. „Es hängt davon ab, wie die Gemeinden ihn mit Inhalt füllen.“ Wenn sich etwa Gemeinden in ihrem Klimanotstandsbeschluss jedoch verpflichten – so wie Wörthsee –, künftige Maßnahmen auf deren Klimaverträglichkeit zu prüfen, sei dies durchaus verbindlich. Gleiches gelte für den Fall, dass sich eine Kommune in dem Beschluss für eine bestimmte Maßnahme ausspricht, etwa den Kauf von Elektrobussen, erläutert der Jurist.
Zwar gibt es einzelne Städte, die mit dem Ausrufen des Klimanotstands kaum konkrete Maßnahmen verbinden. Doch dem Großteil der Kommunen ist es ernst. Da verpflichtet sich etwa ein Oberbürgermeister, künftig auf seinen Dienstwagen zu verzichten, oder die Rathausmitarbeiter müssen Zug fahren. Auch Erlangen beließ es nicht bei leeren Worten. Dort sollen etwa Parkplätze in Fahrradstellplätze umgewandelt werden. Die Klimaschutzkonzepte beim Wohnbau oder die Anzahl der Druckaufträge kommen ebenso auf den Prüfstand. Zudem soll es in den Kitas weniger Fleisch geben.
Die Liste betroffener Kommunen wird immer länger
Die Liste der bayerischen Städte und Gemeinden, die den Klimanotstand ausgerufen haben, dürfte bald länger werden. In München, Fürstenfeldbruck, Freising und anderswo gibt es entsprechende Anträge. Doch vielerorts, wie etwa in Kronach oder Ebersberg, stört sich eine Mehrheit der Kommunalpolitiker schlicht an der Terminologie – in Adelsdorf wurde deshalb aus dem „Klimanotstand“ eine „Klimaoffensive“, auch in Zorneding oder Poing flog das Wort gleich ganz aus dem Antrag. Ansonsten orientiert sich dieser aber ganz an den Vorbildstädten wie Konstanz, so Poings Bürgermeister Albert Hingerl (SPD). „Alles, was wir künftig entscheiden, wird auf die Folgen fürs Klima überprüft.“ So etwa die Erneuerung des Fuhrparks. Selbst das Feuerwerk beim Volksfest könnte dem Beschluss zum Opfer fallen.
In der CSU sind die Vorbehalte gegen den Begriff „Klimanotstand“ besonders groß. „Den Klimanotstand auszurufen mag ja eine publicityträchtige Maßnahme sein“, sagt Gemeindetags-Chef Uwe Brandl. Um die Nachhaltigkeit kommunaler Entscheidungen zu überprüfen, brauche „es aber keine plakative Klimanotstandserklärung, sondern nur ein verantwortungsbewusstes Abwägen“. Dieses sollte „Tagesgeschäft in jeder Kommune sein“, so der Christsoziale. Die ÖPNV-Preise zu senken oder kommunale Immobilien energetisch zu optimieren, „wäre ohnehin einer nachhaltigen Stadtpolitik geschuldet“. (Tobias Lill)
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