Politik

Leere Hörsäle in bayerischen Hochschulen – im Wintersemester sollen wieder bis zu 200 Personen eine Vorlesung besuchen dürfen. (Foto: dpa/Arno Burgi)

28.08.2020

"Online-PDFs sind noch keine Digitalstrategie"

Bayerns Studierendenvertreter Anna-Maria Trinkgeld und Maximilian Frank über die Probleme im Sommersemester, eine moderne digitale Lehre und wie es im Herbst weitergeht

Die bayerische Landes-ASten-Konferenz (LAK) kämpft für die Rechte von Studierenden. Diese sind besonders während der Corona-Krise unter die Räder gekommen, klagen deren Sprecher Anna-Maria Trinkgeld und Maximilian Frank. Sie werfen der Bundesregierung vor, aus der Not der Studierenden sogar noch Profit schlagen zu wollen.

BSZ Frau Trinkgeld, Herr Frank, viele Studierende haben während der Corona-Krise ihre Nebenjobs verloren. Die Soforthilfe beträgt maximal 500 Euro pro Monat. Haben viele Existenzängste?
Maximilian Frank Das Bundesforschungsministerium hat in dieser historisch einmaligen Situation zu wenig, zu spät und zu bürokratisch reagiert. Es hat drei Monate gedauert, bis die Überbrückungshilfen gezahlt wurden. Selbst das zinslose KfW-Darlehen gab es erst im Mai, obwohl es den KfW-Studienkredit ja schon vor der Krise gab.
Anna-Maria Trinkgeld Nach neun Monaten verlangt die KfW für den Kredit vier Prozent Zinsen. Dass eine Anstalt des öffentlichen Rechts aus der Not der Studierenden auch noch Profit schlagen will, ist für uns unverständlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass im BAföG-Topf noch 900 Millionen Restmittel Euro vorhanden sind, die 2019 nicht ausgegeben wurden. Immerhin kann die Soforthilfe jetzt auch noch im September beantragt werden. Die Krise wird aber im Oktober nicht vorbei sein.

BSZ Jeder zweite Antrag auf studentische Soforthilfe wurde abgelehnt. Hatten die Studierenden doch mehr Geld auf dem Konto?

Trinkgeld Nein. Die Anträge wurden in einer Vorprüfung von einem Algorithmus geprüft. Wenn nur ein Ausweis unleserlich gescannt war, wurde die Soforthilfe pauschal abgelehnt – ohne dass man sich wehren oder bei einem Sachbearbeiter beschweren konnte. Händisch geprüft wurde erst von den Studierendenwerken, die gute Arbeit geleistet haben.
Frank Ich denke, die bürokratischen Fallstricke sind gewollt, um möglichst wenig Hilfen auszahlen zu müssen. Obwohl Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) uns ein einfaches Online-Verfahren versprochen hat, müssen sich Antragssteller durch 16 Seiten klicken – und das jeden Monat aufs Neue.

BSZ Die LAK hat schon letztes Jahr eine Digitalstrategie für eine moderne Hochschule gefordert. Wie gut waren die Hochschulen bei den Online-Vorlesungen aufgestellt?
Trinkgeld Der Umstieg auf eine durchgehend digitale Lehre ist vielen Hochschulen und auch einigen Dozierenden schwergefallen. Aber es wurde schnell in die digitale Infrastruktur wie Server investiert. Insgesamt waren die Rückmeldungen der Studierenden zum Digitalsemester positiv. Allerdings muss nach dem technischen Ausbau auch die Didaktik auf die digitale Lehre umgestellt werden. Also, wie doziere ich online und wie kommt es bei den Studierenden verständlich an? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass in der bisherigen Form keiner konzentriert einer vierstündigen Zoom-Vorlesung folgen kann.
Frank PDFs und Vorlesungsinhalte online zu stellen, sind noch kein ausgeklügelter Online-Unterricht. Darin sieht man auch leider, dass unsere Forderung nach einer Digitalstrategie bayernweit noch nicht überall Anklang gefunden hat.

BSZ Wie ist die Zusammenarbeit mit dem bayerischen Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) in der Corona-Zeit gelaufen?
Trinkgeld Es hat uns sehr geholfen, dass wir von Anfang an Fragen der Studierenden ans Ministerium weiterleiten konnten – zum Teil waren das dreiseitige Word-Dokumente. Es wurden alle innerhalb einer Woche beantwortet und die wichtigsten Antworten auf einer FAQ-Seite des Ministeriums veröffentlicht.
Frank In Gegensatz zu anderen Bundesländern hat Bayern die direkte Kommunikation mit den Studierenden gesucht – nicht nur mit den Hochschulleitungen. Wir konnten Herrn Minister Sibler während des gesamten Semesters von den Problemen vor Ort berichten, auf die auch reagiert wurde. Im Juli haben wir sogar eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem Ministerium zur Verlängerung der Regelstudienzeit veranstaltet. Es war uns ein wichtiges Anliegen, dass aufgrund der sozialen und finanziellen Belastungen im Sommersemester die Regelstudienzeit angepasst wird. Dies hat auch Auswirkungen auf Prüfungsfristen, BAföG oder die Wohndauer in Wohnheimen. Jetzt sind Studierende nicht mehr auf die Kulanz von Sachbearbeitern angewiesen.

"Es braucht es einen Plan B, falls es einen zweiten Lockdown gibt

BSZ Wie geht es im Wintersemester weiter? Datenschützer haben schon Bedenken angemeldet, wenn Universitäten weiter Online-Prüfungen anbieten.
Trinkgeld Es wird wohl ein hybrides Semester mit einem Mix aus Digital- und Präsenzlehre. Das Ministerium hat ja angekündigt, dass bis zu 200 Personen in einen Vorlesungssaal dürfen. Das ist wichtig, denn Wissenschaft lebt vom persönlichen Austausch. Wir fordern aber, dass auch Bibliotheken und Lernräume unter Hygieneauflagen wieder öffnen dürfen. Außerdem braucht es einen Plan B, falls es einen zweiten Lockdown gibt.
Frank Zum Thema Online-Prüfungen: Wir sind froh, dass es hierzu jetzt flächendeckende Regelungen im Hochschulgesetz gibt. Gerade internationale Studierende, die aktuell nicht einreisen dürfen, sind so nicht vom Lehrbetrieb ausgeschlossen. Aber natürlich muss dort, wo Prüfer Studierende per Webcam beaufsichtigen und dabei in deren Wohnungen schauen können, der Datenschutz an erster Stelle stehen. Das Ministerium arbeitet gerade an einer Verordnung, die dann gemeinsam mit uns nach vier Jahren evaluiert wird. Was wir schon sicher sagen können: Es wird immer auch die Möglichkeit geben, Prüfungen an den Hochschulen vor Ort zu schreiben.

BSZ Kommen wir noch zu einigen Themen abseits von Corona. Bislang war das Hauptproblem der Studierenden, bezahlbare Wohnungen zu kriegen. Davon hört man jetzt eher wenig.
Frank Wohnraum bleibt ein Dauerbrenner in Ballungsräumen wie München. Im Sommersemester kam es zwar zu der absurden Situation, dass Wohnungen in Wohnheimen leer standen, weil internationale Studierende nicht einreisen durften. Aber insgesamt machen die Wohnheimplätze in München nur fünf bis sechs Prozent aus – der Rest wird privat vermietet. Studierendenwerke haben zu wenig Grundstücke und kein Geld, um mit Investoren zu konkurrieren. Das Thema muss aber dringend angegangen werden, weil es Teil der vielbeschworenen Bildungsgerechtigkeit ist.

BSZ Viele Experten beklagen den zunehmenden Einfluss der Wirtschaft auf die Wissenschaft. In Bayern gibt es weit über 100 Stiftungsprofessuren von Industrie und Verbänden. Wie unabhängig ist die Lehre?
Frank Hinzu kommen noch die Konkordatslehrstühle, bei denen die Katholische Kirche ein Einspruchsrecht hat. Es ist Aufgabe des Staates, für eine ausreichende Finanzierung der Hochschulen zu sorgen. Aktuell haben wir aber einen Sanierungsstau von vier bis fünf Milliarden Euro. Natürlich ist Drittmittelforschung nicht per se schlecht. Wir fordern aber ein Transparenzregister: Was wird von wem an den Hochschulen finanziert? Sonst geht das Vertrauen in die Wissenschaft und Unabhängigkeit der Hochschulen verloren.
Trinkgeld Insbesondere die Studierenden an HAWs profitieren von Kooperationen mit der Wirtschaft, um schon während des Studiums Kontakte für den späteren Berufsanstieg in ihre Wunschbranche zu knüpfen.

BSZ Bayern hat als einziges Bundesland keine Verfasste Studierendenschaft, sondern nur eine relativ machtlose Studierendenvertretung. Hat denn Minister Sibler seine Ankündigung beim Amtseintritt wahr gemacht und zumindest die Ausstattung der Studierendenvertretungen verbessert?
Frank Davon merken wir bisher nichts. Die CSU hat aus historischen Gründen Vorbehalte gegen eine Verfasste Studierendenschaft. Dadurch dürfen wir zum Beispiel keine Beiträge von Studierenden erheben, sondern sind auf die Mittelzuweisung des Ministeriums angewiesen. Auch bei den Gesprächen mit den Verkehrsbetrieben über Semestertickets dürfen wir nicht dabei sein, weil wir rechtlich nicht in der Lage sind, Verträge zu unterschreiben. In Bayern übernehmen das daher die Studierendenwerke. Wir werden aber weiter für eine Verfasste Studierendenschaft kämpfen. Wichtig ist dabei aber weniger der Titel als die damit verbundene Stärkung der demokratischen Mitsprache der Studierenden. (Interview: David Lohmann)

Bild: Zwei der insgesamt drei LAK-Sprecher: Anna-Maria Trinkgeld (21) von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und Maximilian Frank (25) von der Technischen Universität München. (Foto: Privat)

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