Der irische Schriftsteller Brendan Behan hat einmal gesagt: "Es gibt keine schlechte Publicity, außer Deinem eigenen Nachruf." Hubert Aiwanger, Ur-Bayer und Bundesvorsitzender der Freien Wähler, scheint diesen Grundsatz verinnerlicht zu haben. Für die einen hüpft er, seit er 2018 mit seiner Partei die CSU in eine Koalitionsregierung zwang, von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. Für die anderen erhöht er zielstrebig seinen Bekanntheitsgrad, weit über die Grenzen des Freistaates hinaus. Schon in zwei Monaten will Aiwanger im Bundestag Platz nehmen - und in seinem breiten niederbayerischen Akzent, der dem einst zum Kult gewordenen "O-Ton-Süd" des Skifahrers Markus Wasmeiers kaum nachsteht, möglichst sogar ein Wörtchen bei der Regierungsbildung in Berlin mitreden.
Für Aiwanger scheint das Erreichen des Ziels die Mittel zu heiligen, die er auf dem Weg dorthin einsetzt. Mit seiner öffentlich zur Schau getragenen persönlichen Haltung zum Thema Corona-Impfung hat er sich mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einen heftigen Schlagabtausch hineingeredet. Die CSU müht sich redlich, vor der nächsten Infektionswelle so viele Menschen wie möglich zu immunisieren. Aiwangers Skepsis wird da als etwas empfunden, das nicht allzu weit hinter Brunnenvergiftung kommt.
Aus Kreisen der CSU wird Aiwanger inzwischen zumindest indirekt der Verzicht auf das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten nahegelegt. Selbst eine Aufkündigung der Koalition aus CSU und Aiwangers Freien Wählern scheint nicht mehr völlig ausgeschlossen, wie CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer am Montag in einem Interview fallen ließ. Es ist erst ein paar Tage her, da betonten noch beide Parteien, wie erfolgreich die Regierungsarbeit in Bayern doch laufe.
Kreuzer: Aiwanger soll Funktion als Vize-Ministerpräsident überdenken
Für seinen Regierungschef Söder ist klar: Aiwanger buhlt um Stimmen am rechten Rand. Kreuzer sagt es noch deutlicher. Die öffentliche Impf-Haltung Aiwangers sei "billiges Kalkül". Aiwanger will, so vermuten sie bei der CSU, mit den Stimmen von Querdenkern in den Bundestag. Kreuzer legte Aiwanger nahe, seine Funktion als stellvertretender Ministerpräsident zu überdenken - und schickte gleich noch die Drohung hinterher, es gebe ja für die CSU auch noch andere Koalitionsmöglichkeiten in Bayern - eine Aussage, die durchaus als eine neue Stufe der Eskalation in der inzwischen zum Dauerstreit entwachsenen Causa Aiwanger gewertet werden darf.
Aiwanger nimmt für sich nicht nur das Recht in Anspruch, sich nicht gegen das Coronavirus impfen zu lassen - als einziger in Söders Kabinett. Er pocht auf dieses Recht auch in der Öffentlichkeit. "Es ist natürlich fatal, wenn sich ein stellvertretender Ministerpräsident in einer Zeit äußert, wo wir wissen, dass Impfen das einzige Mittel ist, das uns aus der Pandemie führt", sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Montag im ARD-Morgenmagazin.
Er habe ja immer gesagt, Impfen sei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Corona, beteuert Aiwanger, aber es müsse freiwillig bleiben. Es ist dieses gekonnte Zurückrudern im letzten Moment, dieses Gerade-Noch-die-Kurve-kriegen, das bei Aiwanger auffällt. Auch etwa, als er in der Impfdiskussion vor einer Apartheidsdebatte warnte. Nur um wenig später zu beteuern, er habe ja nur gesagt, die Impfgegner könnten sich als Opfer einer solchen Debatte wähnen, würde weiter gegen sie Druck gemacht.
PR-wirksame Klage vor dem Verfassungsgericht
Söder fällt es schwer, die öffentlich zur Schau getragene Impfskepsis Aiwangers nicht als Angebot an bestimmte Wählerschichten zu begreifen - etwa an die Moderateren unter den Querdenkern, die vor einem Kreuz bei der AfD noch zurückschrecken. Dass Aiwanger etwa im Frühjahr PR-wirksam beim Bundesverfassungsgericht gegen die damals zur Debatte stehende Bundesnotbremse in der Corona-Politik klagte, deren Einführung er in Bayern selbst mit beschlossen hatte, würde in ein solches Bild gut passen. Immer gut verpackt in das Image des studierten, aber stets geerdeten Landwirts aus Niederbayern, der den oft als abgehoben empfundenen Positionen der großen Politik den gesunden Menschenverstand des kleinen Mannes entgegenstellt.
Schon mehrfach in seiner politischen Karriere hat sich Aiwanger mit Thesen hervorgetan, die einem politischen Wählerspektrum rechts von der Union gut gefallen könnten. Etwa als er 2019 ein Tragerecht für Messer verlangte. "Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte, und wir würden die Schwerkriminellen einsperren. Das wäre der richtige Weg", hatte er damals erklärt. Eine Argumentationslinie, die der der erzkonservativen US-Waffenlobbyorganisation NRA folgt, die das Tragerecht für Schusswaffen aus einer Art Selbstjustiz der Anständigen ableitet.
Aiwanger wird für solcherlei verbale Exkursionen teils angefeindet, von Söder gerne auch einmal bloßgestellt. So richtig geschadet hat es ihm bisher nicht - im Gegenteil. Die Umfragen sehen seine Partei zwar nicht im Höhenflug, aber zumindest im Aufwärtstrend. Die Freien Wähler, so rechnet Aiwanger vor, stehen derzeit bei drei Prozent der Wählerstimmen auf Bundesebene. Neben Bayern zählen Rheinland-Pfalz und Brandenburg als Hochburgen, wo sie in den Landesparlamenten sitzen, mit Abstrichen auch Baden-Württemberg. Das Schließen der Lücke bis zur Fünf-Prozent-Hürde hält der 50 Jahre alte Familienvater Aiwanger für möglich - wenn nicht diesmal, dann eben später.
Und sollte der Sprung in den Bundestag tatsächlich gelingen - dann hält sich Aiwanger sogar für ein Ministeramt bereit. Sein Kalkül: Im Falle eines Einzugs der Freien Wähler wäre die politische Landkarte im Bundestag so vielfältig, dass eine bürgerliche Kraft wie die Freien Wähler in fast jeder denkbaren Koalitionsvariante willkommen sein müsste.
(Michael Donhauser, dpa)
Umfrage: Mehrheit hält Aiwangers Impfkritik für falsch
Eine Mehrheit der Deutschen hält einer Umfrage zufolge die impfkritischen Äußerungen von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) für falsch. 63,3 Prozent der Befragten finden es laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der "Augsburger Allgemeinen" (Dienstagausgabe) "eher falsch" oder "eindeutig falsch", dass sich Aiwanger als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern kritisch zu Corona-Schutzimpfungen äußert. Nur etwas mehr als ein Viertel der Befragten (28,4 Prozent) gaben an, sie hielten dieses Vorgehen für "eindeutig richtig" oder "eher richtig".
Am meisten Zustimmung für Aiwangers öffentlich geäußerte Impfkritik kam unter den Befragten demnach von Wählern der AfD: 74,8 Prozent von ihnen gaben an, sie fänden Aiwangers Äußerungen "eindeutig richtig". Am stärksten war die Ablehnung bei Wählern der Grünen: 73,5 Prozent der Befragten gaben an, die Aussagen seien "eindeutig falsch".
(dpa)
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