Politik

Gestern Abend startete ein erster Charterflug mit 34 jungen Afghanen von Frankfurt nach Kabu. (Foto: dpa)

15.12.2016

Protest gegen Zwangsabschiebungen

Erstmals sind abgelehnte Asylbewerber in einer Sammelabschiebung nach Afghanistan zurückgeflogen worden. Verantwortungslos, sagen Kritiker und protestieren. Seehofer aber hofft auf weitere Abschiebungen

Erstmals sind 34 abgelehnte afghanische Asylbewerber in einer umstrittenen Sammelabschiebung von Deutschland aus Richtung Kabul geflogen worden. "Darunter befanden sich auch acht Afghanen aus Bayern", bestätigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer Mitteilung am Mittwochabend. Er kündigte weitere Rückführungen auch nach Afghanistan an und widersprach Kritik an dieser Praxis. Auch CSU-Chef Horst Seehofer begrüßte die Maßnahme. "Und ich hoffe, dass es keine einmalige Aktion ist", sagte er in der ARD-Sondersendung "Farbe bekennen", die am Mittwochnachmittag aufgezeichnet wurde.

Von elf dem Bayerischen Flüchtlingsrat bekannt gewordenen Fällen wurden vier Personen gestern Nacht abgeschoben. Ein Flüchtling aus Dingolfing versuchte sich der Abschiebung durch einen Sprung aus dem Fenster zu entziehen. Ein Afghane mit Hepatitis B wurde aus unbekannten Gründen von der „Schubliste“ gestrichen, eine Person wurde von der Polizei nicht angetroffen, eine Person wurde ins Kirchenasyl genommen. Ein Flüchtling wurde aus der Psychiatrie nach Frankfurt gebracht, kam dort gefesselt an, weil er auf dem Transport noch mal versucht hatte, sich selbst zu verletzen. In letzter Minute stoppte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seine Abschiebung. Sieben von 15 aus Bayern gemeldeten Passagieren der Abschiebecharter sind somit nicht an Bord gewesen.

„Nach allem, was wir unabhängigen Quellen entnehmen können, ist die Aussage, es gebe sichere Gebiete in Afghanistan, wo die Abgeschobenen leben können, eine politische Willensbekundung, die den Tatsachen nicht standhält,“ stellt Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, fest. Bei den Fällen in Bayern handele es sich teils um Flüchtlingen, die fünf oder sechs Jahre hier sind, die in festen Arbeitsverhältnissen stehen und gut integriert sind. „Diese Menschen zwangsweise abzuschieben ist in unseren Augen politischer Unfug und menschlich nicht vertretbar.“

Herrmann verteidigte die Abschiebungen. Bedrohungen durch radikale Kräfte gebe es in vielen Teilen der Welt. Afghanische Sicherheitskräfte sorgten aber mit Unterstützung deutscher Bundeswehrsoldaten und Polizisten für die Sicherheit der dort lebenden Menschen und für eine weitere Stabilisierung des Landes. "Das rechtfertigt auch eine Rückführung abgelehnter Asylbewerber in gesicherte afghanische Provinzen", betonte Herrmann. Das hätten das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium übereinstimmend festgestellt. Seehofer sagte, radikale Kräfte in Deutschland hätten nur dann keinen Erfolg, wenn abgelehnte Asylbewerber auch in ihre Länder zurückkehren müssten.

An Bord waren auch acht Afghanen aus Bayern

An dem ersten Sammelcharterflug beteiligten sich nach Herrmanns Angaben neben Bayern auch Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und das Saarland.
Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil es in weiten Teilen des Landes Kämpfe zwischen Regierungstruppen und radikalislamischen Talibanrebellen gibt und immer wieder zu Anschlägen kommt.

Laut Informationen von Pro Asyl und Medienberichten sollte ein Charterflug mit 50 Afghanen Richtung Kabul starten. Die Bundespolizei und der Flughafenbetreiber Fraport wollten sich nicht äußern und verwiesen auf das Bundesinnenministerium. Dieses hatte bereits zuvor erklärt, solche Maßnahmen nicht zu kommentieren.

Sprechchöre: "Abschiebung ist Folter"

Das Bundesverfassungsgericht stoppte kurz vor dem Start der Chartermaschine die Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers nach Afghanistan. Dabei sei die Frage, ob angesichts der Lage in Afghanistan Abschiebungen verfassungsrechtlich vertretbar sind, offen gelassen worden, teilte das Gericht mit. Die Entscheidung beruhe allein auf einer Folgenabwägung. Der 29-Jährige könne auch zu einem späteren Termin abgeschoben werden, sein Asylverfahren könne er nach einer Abschiebung aber kaum noch fortführen. (Az. 2 BvR 2557/16)

Bei den Protesten am Flughafen in Frankfurt trugen Demonstranten Schilder mit der Aufschrift: "Stopp - Keine Abschiebung nach Afghanistan". In Sprechchören forderten sie: "Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord, Bleiberecht für alle, jetzt sofort!".

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl appellierte an die Grünen in Landesregierungen, Sammelabschiebungen von nicht als Asylbewerber anerkannten Afghanen zu verhindern. "Wir wenden uns explizit an die Grünen in Hessen, Baden-Württemberg und Hamburg, alles zu tun, dass diese Menschen nicht abgeschoben werden", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Zunächst hatte der "Spiegel" berichtet, dass am Mittwoch der erste Charterflug mit 50 Afghanen von Frankfurt nach Kabul starten sollte. (BSZ/dpa) Foto (dpa): Ankunft in Kabul: Eine Gruppe aus Deutschland abgeschobener Asylbewerber.

Kommentare (1)

  1. Ein Passauer am 15.12.2016
    Schon seltsam, welche Intention Sie als Zeitung mit der Verwendung des Wortes "Zwangsabschiebung" vertreten! Womit Sie sich ja (aber scheiss auf die journalistische Neutralität!) die Ansicht der Gegner zu eigen machen?
    Der Vollzug des vom Gericht eines demokratischen Rechtsstaats getroffene Urteils ist also Zwang? Nach Ihrer Logik sind dann auch Steuern "Zwang" (man würde das Geld ja lieber behalten)", die Straßenverkehrsordnung ist "Zwang" (Rasen macht mehr Spaß), selbstverständlich ist auch die Schulpflicht nur diktatorischer Zwang eines Unrechtsstaats, oder?
    Dann seien Sie (und Ihe Freunde bei Pro Asyl, deren redaktionelle Helfershelfer Sie ja augenscheinlich sein wollen) wenigstens ehrlich und konsequent: Plädieren Sie für die vollständige Umsiedlung der afghanischen Bevölkerung nach Bayern! Warum einen einzigen dort leben lassen, wenn es diesen genannten Personen nicht zumutbar ist?! Die bayerische Bevölkerung könnte da was dagegen haben? Na, aber dann rasch die Nazikeule schwingen, damit die Leute ruhig sind.
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