Politik

Mit dem Organspendeausweis zeigt man seine Zustimmung zur Organentnahme. (Foto: dpa/Hans Wiedl)

04.10.2019

Ringen um eine neue Regelung

In Deutschland gibt es zu wenige Organspender – und einen grundlegenden Konflikt um die Lösung

Rund 9500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für eine Organspende. Die meisten brauchen eine neue Niere. 2018 gab es bundesweit aber nur 955 Organspender. Das ist zwar ein Anstieg um rund 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zuvor aber war die Zahl der Organspender auf einen historischen Tiefststand gesunken. Und im ersten Halbjahr 2019 ist bereits wieder ein leichter Rückgang zu beobachten.

Aktuell liegt die Zahl der Spender, denen tatsächlich Organe entnommen werden, damit bei etwa neun Personen je eine Million Einwohner – und damit unter der kritischen Marke von zehn Spendern je eine Million Einwohner, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO als Voraussetzung für ein ernstzunehmendes Organspendesystem gilt. Deutschland gehört damit zu den Schlusslichtern in der EU. Nur Griechenland, Rumänien und Bulgarien haben eine noch niedrigere Quote. Belgien beispielsweise kommt auf 30 Spender je eine Million Einwohner, der europäische Spitzenreiter Spanien sogar auf 47.

Dabei stehen laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vom Mai dieses Jahres 80 Prozent der Deutschen einer Organspende positiv gegenüber. Allerdings haben nach eigenem Bekunden nur 58 Prozent für sich eine Entscheidung getroffen und nur 27 Prozent haben einen entsprechenden Ausweis. Bisher braucht es in der Bundesrepublik eine eindeutige Erklärung, ob man Organe spenden will. Liegt von einem Hirntoten kein entsprechendes Dokument vor, werden die Angehörigen zum Willen des Patienten befragt. „Doch die sind sich häufig unsicher und antworten mit Nein“, bedauert Jürgen Schneider, Transplantationsbeauftragter am Münchner Uniklinikum Rechts der Isar.

Die Politiker haben das Problem erkannt. Noch in diesem Herbst will der Bundestag ein Gesetz beschließen, mit dem die Zahl der Organspender erhöht werden soll. Bei der Abstimmung darüber soll der Fraktionszwang aufgehoben werden. Zwei parteiübergreifend ausgearbeitete Gesetzentwürfe stehen sich dabei gegenüber.

Auf der einen Seite gibt es den Gesetzentwurf der Abgeordneten um den gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion und Bewerber um den Parteivorsitz, Karl Lauterbach. Der Entwurf dieser Gruppe sieht vor, alle Bürger zu Organspendern zu erklären – es sei denn, „diese widersprechen zu Lebzeiten, oder Angehörige haben Kenntnis von einer entgegenstehenden Willenserklärung“. Bei dieser Widerspruchslösung also ist jeder automatisch Organspender, der nicht ausdrücklich zu Lebzeiten einer Entnahme seiner Organe widerspricht. Selbst Touristen, die hierzulande infolge eines Unfalls einen Hirntod erleiden, gelten bei fehlendem Widerspruch als Spender.

Eine Widerspruchslösung geht vielen zu weit

Über die Voraussetzungen der Organentnahme und die Änderungen informieren soll künftig die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Wer nicht Spender sein will, kann in einem bundesweiten Register seinen Widerspruch hinterlegen – so ist es etwa auch in Österreich geregelt. Ärzte, die eine Organentnahme planen, sind verpflichtet, nach Feststellung des Hirntods dort anzufragen, ob ein Widerspruch vorliegt. Fast alle europäischen Länder praktizieren laut Mediziner Schneider inzwischen die Widerspruchslösung, zuletzt kam Holland neu dazu.

Auf der anderen Seite steht eine Gruppe um den früheren Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock. Ihr Gesetzentwurf trägt den Titel „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“. Bei Beantragung von Pässen, Führerscheinen oder elektronischen Gesundheitskarten sollen die Bürger durch die Kommunen und die Krankenkassen umfangreiche Informationen erhalten und die Gelegenheit bekommen, „sich unmittelbar zur Organspende zu erklären“. Zudem sollen Hausärzte alle zwei Jahre eine Beratung zum Thema anbieten.

Der Münchner Arzt und CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger gehört ebenfalls zu den Initiatoren des alternativen Gesetzentwurfs zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft. „In Deutschland gibt es zu wenig Organspenden. Das wollen wir ändern“, betont er. „Dazu brauchen wir aber eine Lösung, die die Freiwilligkeit einer Organspende in den Mittelpunkt rückt.“ Ein staatlicher Zwang zur Organspende, wie es der Entwurf zur Widerspruchsregelung vorsieht, wecke Ängste und senke das Vertrauen in die Organspende. Pilsinger: „Ich bin überzeugt, dass wir durch wiederholte, direkte Ansprache sowie durch verbindliche Aufklärungsangebote und ein sicheres Online-Register die Menschen auch ohne Zwang dazu bewegen können, ihren Willen zu erklären.“

Die Ärzteschaft hingegen sei im Großen und Ganzen für die Widerspruchslösung, erklärt Jürgen Schneider vom Münchner Uniklinikum. In gewissem Maße hätte es die ja auch schon mal gegeben, nämlich in der ehemaligen DDR. Dass Menschen nach Skandalen – wie beispielsweise 2012 am Regensburger Uniklinikum, wo ein Arzt bestimmte Patienten auf der Warteliste nach vorn schob – skeptisch und zurückhaltender werden, weiß Schneider zwar, aber nach spätestens einem Jahr wäre das meist wieder vergessen.

Was Menschen auch oft vor einer Spende schreckt: die Angst, vorzeitig für tot erklärt zu werden, weil Ärzte auf Organe spechten. Darauf wies kürzlich in einem FAZ-Beitrag der Chefarzt am Offenbacher Ketteler-Krankenhaus, Stephan Sahm, hin. Er beanstandet, „dass die Gleichsetzung des Hirntods mit dem Tod des Menschen keine naturwissenschaftlich-medizinische Erkenntnis ist. Es handelt sich vielmehr um eine normative Setzung“, schreibt er. Der aus Juristen und Medizinern bestehende Deutsche Ethikrat habe den Hirntod eindeutig als Beendigung des Lebens definiert, erklärt dagegen der Mediziner Schneider.

Im Gegensatz zu ihrem CSU-Kollegen Pilsinger ist die Schweinfurter Ärztin und Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar (SPD) für einen Paradigmenwechsel bei den rechtlichen Bedingungen für eine Organspende. Etwa 1000 Menschen pro Jahr, die auf der Warteliste stehen, sterben. Da reiche das bereits verabschiedete Gesetz zur besseren Zusammenarbeit und für bessere Strukturen nicht aus, um eine ausreichende Anzahl an Spendern zu erreichen, sagt sie der BSZ. Dittmar versichert: „Niemand wird Organspender, wenn die Familie nach dem Tod ihres Angehörigen glaubhaft versichert, dass dieser sich gegen die Organspende entschieden hätte.“ Man wolle „keine Pflicht zur Organspende, aber die Pflicht, sich damit zu beschäftigen“.
(André Paul)

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