Politik

Werkeln für die Volksvertreter: Im Plenarsaal des Bundestags bauen Arbeiter derzeit neue Sitze ein – damit alle Platz nehmen können. (Foto: Bundestag/Achim Melde)

20.10.2017

Sacharbeit? Kommt später

Was die Abgeordneten so treiben, bis die neue Bundesregierung steht

Langeweile? Habe ich derzeit überhaupt nicht“, sagt die Grüne Margarete Bause. Ständig pendelt die noch Landtags- und neu gewählte Bundestagsabgeordnete zwischen München und Berlin hin und her. Und ist angesichts der Umzugswirren im Bundestag froh, dass sie zumindest vorübergehend schon mal einen kleinen Raum beziehen konnte, in dem sie den Laptop auf- und den Koffer abstellen kann. Der Münchner FDP-Abgeordnete Daniel Föst dagegen hat noch nicht mal einen Arbeitsplatz in Berlin – seine Fraktion zieht wie die AfD neu im Bundestag ein. „Uns fehlt es noch an allem“, klagt Föst. „An Büroflächen, Technik und Personal.“

709 Abgeordnete hat der neue Bundestag – 78 mehr als zuletzt. Am 24. Oktober sitzen sie zum ersten Mal im Plenum zusammen. Bei der konstituierenden Sitzung, die spätestens 30 Tage nach der Wahl stattfinden muss. Doch auch danach wird sich der Bundestag noch geraume Zeit in einem eigenartigen Zwischenstadium befinden. Denn erst wenn die neue Regierung steht, kann die parlamentarische Arbeit richtig beginnen. Erst dann können Fachausschüsse eingesetzt werden. Deren genaues Aufgabengebiet hängt nämlich ab vom künftigen Zuschnitt der Ministerien.

Das Plenum wiederum wird bis zur Wahl der Bundeskanzlerin wohl nicht mehr zusammenkommen. Es sei denn, eine Sondersituation tritt ein. Als 1998 Rot-Grün noch in Koalitionsverhandlungen steckte, eskalierte die Situation auf dem Balkan. Der Bundestag beschloss damals einen Bundeswehreinsatz im Kosovo.

Gut möglich, dass die neue Bundesregierung erst zu Weihnachten – oder noch später – feststeht. Denn die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition werden nicht einfach. Doch was treiben eigentlich die Abgeordneten bis dahin? Nicht alle sind ja an den Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen beteiligt. Immerhin werden sie bereits bezahlt: Ihre Diäten bekommen sie, seit das amtliche Endergebnis feststeht, also seit 12. Oktober.

Viele sitzen noch in provisorischen Büros - ohne Mitarbeiter

Vor allem die neu gewählten Abgeordneten sind derzeit dabei, sich eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen. So wie Katrin Staffler (CSU) aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck. „Ich muss mir jetzt Mitarbeiter suchen und schauen, dass ich bald ein arbeitsfähiges Büro habe“, berichtet die 35-jährige Biochemikerin. Rund 20 000 Euro im Monat darf jeder Bundestagsabgeordnete für Mitarbeiter ausgeben. Staffler will mit dem Geld eine Vollzeit-Sekretärin und vier wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in Teilzeit beschäftigen. Gerade erst hat sie eine Info-Veranstaltung des Bundestages darüber besucht, was man beim Abschließen von Arbeitsverträgen beachten muss. Einige Gremien tagen im Übrigen bereits vor der Regierungsbildung. So treffen sich alle wöchentlich zu Fraktionssitzungen; die Abgeordneten der Linken und der SPD fanden sich diese Woche zu einer Klausurtagung zusammen. Und bei der CSU treffen sich beispielsweise die Arbeitsgruppe Frauen und die Junge Gruppe. Zudem besprechen Arbeitsgruppen der Jamaika-Koalitionäre in spe Details der laufenden Verhandlungen.

Blöd für die neuen Abgeordneten: Sie sitzen noch in provisorischen Büros. Denn noch sind nicht alle der ausgeschiedenen Parlamentarier aus ihren Räumen ausgezogen. Und außerdem ist der neue Bundestag größer als der alte, es müssen neue Räume geschaffen werden. Was auch bedeutet, dass man enger zusammenrücken muss. „Früher hatte ein Arbeitskreisvorsitzender vier Räume für sich und seine Mitarbeiter zur Verfügung“, berichtet ein altgedienter CSU-Mann. Künftig seien es nur noch drei.

Und wie geht man mit der AfD um?

FDP-Mann Föst hofft, bis Mitte November „voll arbeitsfähig“ zu sein. Zur Not will er sich übergangsweise ein Büro irgendwo in Berlin mieten. Ebenso wie Katrin Staffler von der CSU ist auch er derzeit viel in seinem Wahlkreis unterwegs, spricht mit Verbänden, Vereinen, Parteikollegen und Bürgern. Um sich dann in Berlin für die Anliegen der Wähler einsetzen zu können. In welchem Ausschuss sie künftig sitzen werden – das wissen die neuen Abgeordneten allerdings noch nicht. Nicht alle werden in ihrem Wunschgremium Platz nehmen dürfen. Bei Katrin Staffler wäre das: der Forschungsausschuss. Daniel Föst würde sich gern um Infrastruktur und Wohnungsbau kümmern. Und der 30-jährige AfD-ler Johannes Huber möchte gern in den Petitionsausschuss. „Mein Thema ist die direkte Demokratie“, sagt der Soziologe aus Freising. Und besonders engen Kontakt zum Bürger habe man nun mal bei der Bearbeitung von Petitionen. Überhaupt, die AfD: Wie sie mit deren Abgeordneten umgehen sollen, fragen sich derzeit noch viele Bundestagsabgeordnete. Das beginnt schon mal damit, dass keiner neben der AfD sitzen will. Für die konstituierende Sitzung kommende Woche gibt es eine provisorische Lösung: Danach muss die FDP neben der AfD Platz nehmen – was den Liberalen gar nicht behagt. Gleichwohl: „Man muss sich mit der AfD inhaltlich auseinandersetzen“, betont der Bayreuther FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Hacker. So sehen es die meisten.

Wenn es dumm läuft, könnte die FDP demnächst vor der Frage stehen, ob sie in einer Sachfrage mit der AfD kooperiert: Diese will nämlich einen Untersuchungsausschuss zu Merkels Flüchtlingspolitik des Jahres 2015. Gleiches wünscht sich FDP-Chef Christian Lindner – allerdings nur für den Fall, dass die Liberalen in der Opposition sind. Wenn also die Jamaika-Gespräche platzen. Dann drohen Neuwahlen. Und die Abgeordneten müssen noch viel länger darauf warten, endlich loslegen zu können im Parlament.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

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