Politik

Sanne Kurz und Dardan Kolic auf dem Truderinger Wochenmarkt. (Foto: loh)

29.09.2023

Schnabbeln für Ja-Stimmen

Wahlkampf mit den Grünen: Sanne Kurz setzt auf persönliche Gespräche – auf dem Wochenmarkt, an der U-Bahn-Haltestelle oder einfach an der Haustür

Es regnet in Strömen, doch die Grünen-Landtagsabgeordnete Sanne Kurz strotzt vor Energie. „Flyer oder Saatgut?“, ruft sie den wenigen Menschen zu, die über den Truderinger Wochenmarkt eilen. Sobald einer nur kurz zögert, hat er beides in der Hand. Kurz ist in ihrem Element, das „Schnabbeln“ mit den Menschen, wie sie sagt, liegt der gebürtigen Pfälzerin. Während andere Kandidierende den Straßenwahlkampf eher als notwendiges Übel sehen, steht die 48-Jährige dafür regelmäßig auf dem Wochenmarkt. Dazu noch an jedem Werktag ab sieben Uhr an der U-Bahn-Haltestelle und sonntags vor der Bäckerei. Dreimal pro Woche zieht sie mit ihrem Team los zum Haustürwahlkampf. Nur samstags gönnt sie sich eine Pause. 

In wenig Zeit viel erledigen – das ist sie gewohnt, erzählt Kurz. Sie hat vier Kinder, war zwölf Jahre lang alleinerziehend, hat trotz der Kinder studiert, als Soloselbstständige gearbeitet und parallel ihre Patchwork-Familie gemanagt. Die Präsenz im Stimmkreis München-Ramersdorf ist ihr wichtig, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. „Bei der Landtagswahl 2013 lag sie deutlich unter 60 Prozent“, erinnert sich Kurz. In Ramersdorf sind die Mieten noch vergleichsweise günstig, weshalb dort viele Familien und weniger einkommensstarke Menschen leben. Die Landtagsabgeordnete nimmt für sich in Anspruch, 2018 durch ihr Engagement mehr Menschen an die Wahlurne gelockt zu haben.

Ein wichtiges Thema auf dem Wochenmarkt sind öffentliche Verkehrsmittel. „Wie wollen Sie den Bustakt verbessern?“, fragt eine Frau Anfang 40. Ihr elfjähriger Sohn muss teilweise über eine Stunde warten, weil die Busse so selten kommen – oder gar nicht. Kurz erklärt, die Grünen seien gegen „Prestigeprojekte“ wie die zweite Stammstrecke und würden das Geld lieber in den lokalen Bahnausbau, Nachtlinien und eine Taktnachverdichtung investieren.

„Scheiß Grüne“ – Sanne Kurz bleibt da gelassen

Die Abgeordnete kämpft auch für eine Verlegung der Verwahrstelle für abgeschleppte Autos. Was vor allem den Menschen im Truderinger Gleisdreieck zugute- käme. Ansonsten würden nach dem Bahnausbau München-Ost die Güterzüge in Moosfeld praktisch durch die Vorgärten rattern.

Obwohl der kleine Schirm ihres Wahlkampfstands kaum vor Wind und Regen schützt, bleiben an diesem Tag überraschend viele Menschen stehen. Eine Frau mittleren Alters läuft sogar gezielt auf Kurz zu. „Ich wollte mich bedanken, dass Sie trotz Steinwurf so tapfer weiterkämpfen“, sagt sie und drückt ihr zur Stärkung einen Vitaminsaft in die Hand. „Ich würde kneifen.“

Bei einem Wahlkampfauftritt der Grünen in Neu-Ulm hatte ein Mann unlängst einen Stein in Richtung des Grünen-Spitzenduos Ludwig Hartmann und Katharina Schulze geworfen. „Ich hätte nicht gedacht, dass in unserem Land so etwas mal passiert“, sagt Kurz. Sie beklagt, dass Ministerpräsident Markus Söder den Steine-Angriff anschließend nicht öffentlich verurteilt habe. 

Die Grünen stehen bei dieser Wahl besonders im Fadenkreuz der Kritik – wortwörtlich. Immer wieder werden Zielscheiben auf das Plakat mit dem Gesicht von Kurz gemalt. „Beim Aufhängen wurde ein ehrenamtlicher Helfer rassistisch beschimpft“, klagt die Abgeordnete. Ebenso der Grüne Dardan Kolic, der im Stimmkreis für den Bezirkstag kandidiert. Das finden auch die Gegenkandidaten der CSU und SPD nicht gut, die auf dem Wochenmarkt neben Kurz einen Wahlstand aufgebaut haben. „Wenn wir nicht mit Respekt und Anstand miteinander umgehen, untergraben wir die Gesellschaft“, warnt Stephen Sikder (CSU). Just während des Gesprächs schreit ein Mann in Richtung Kurz: „Scheiß Grüne, scheiß Umwelt, ich hasse euch!“ Die Abgeordnete reagiert gelassen. Mei, so sei es nun mal mit den Hatern, sagt sie schulterzuckend.

Politisch ist der gelernten Filmemacherin vor allem die Kultur ein Anliegen. Im Landtag war sie seit ihrer Wahl 2018 kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, saß im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst und war Mitglied des Rundfunkrats. Als Erfolge nennt Kurz die Öffnung von Jugendtreffs während der Pandemie, die Hilfen für Soloselbstständige und Kunstschaffende, ein Anreizmodell für eine Fünfzig-fünfzig-Mittelvergabe an Frauen und Männer beim Film und eine Nachhaltigkeitsstrategie für den Bayerischen Rundfunk. Sollte sie wiedergewählt werden, will sie den bayerischen Kulturfonds auch für Menschen in Großstädten zugänglich machen, kulturelle Bildung stärker fördern und Barrierefreiheit, Mindesthonorare, Klimaschutz und Diversität in öffentlichen Kultureinrichtungen voranbringen. Auch fordert sie ein Ende von Söders verordneter „Denkpause“ für den Münchner Konzertsaal. Kurz befürchtet, dass Söder nach der Wahl das Aus für den teuren Bau verkünden wird.

Ob ihr erneut der Sprung in den Landtag gelingt, ist noch nicht ausgemacht. Sie ist zwar Direktkandidatin der Grünen in ihrem Stimmkreis und holte 2018 aus dem Stand 24,4 Prozent der Erststimmen. Allerdings konkurriert sie unter anderem mit Kunst- und Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) um das Direktmandat. Außerdem steht sie in Oberbayern auf Listenplatz 13 der Grünen. Bei Umfragen der Grünen von zwischenzeitlich 20 Prozent wäre das ein sicherer Platz gewesen. Aktuell steht die Partei aber bei nur noch 14 Prozent und damit nur knapp vor der AfD. „Vielleicht ist die 13 ja eine Glückszahl“, sagt Kurz und lacht.

Egal ob mit oder ohne Mandat: Sie will sich auch weiterhin für Kulturschaffende einsetzen. „Ich habe noch eine ganz lange To-do-Liste, die ich unbedingt abarbeiten will.“ (David Lohmann)

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