Es ist wie in jedem Jahr. Je näher der erste Schultag rückt, desto mehr steigt die Nervosität. Lehrerverbände klagen über einen Mangel an Pädagog*innen und deren Überlastung, Elternverbände sehen mit Sorge, dass das Angebot an Wahlfächern und Förderstunden ausgedünnt wird und die Opposition im Landtag sieht schwarz für das Bildungsland Bayern. Inmitten dieses Sturmes aus wechselnden Richtungen steht stoisch wie eine alte Eiche Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Er räumt zwar ein, dass wegen Corona und der Integration von rund 30 000 ukrainischen Flüchtlingskindern auch das kommende Schuljahr herausfordernd wird, aber das Wichtigste für ihn ist: „Wir haben aktuell an allen Schulen eine solide Unterrichtsversorgung, der Pflichtunterricht nach der Stundentafel ist gesichert.“
4300 neue Lehrkräfte stellt der Freistaat zum neuen Schuljahr ein, als Ersatz für ausscheidende, aber auch, um neue Aufgaben zu stemmen. Allein für die Beschulung ukrainischer Kinder hat der Landtag 1620 Stellen genehmigt, zum Teil im Vorgriff auf später ohnehin geplante Einstellungen. Trotzdem muss Piazolo eingestehen, dass die Personaldecke dünn ist. In diesem Jahr haben weniger Lehramtsstudierende als üblich ihr Zweites Staatsexamen abgelegt, zudem steigt die Schülerzahl um insgesamt 45 000 (plus 2,8 Prozent). Allein bei den Erstklässler*innen beträgt das Plus 9500, das sind 8 Prozent mehr. Gerade an den Grundschulen sind deshalb selbst wenige Tage vor Schulstart noch „einige 100“ Verträge offen, berichtet Piazolo. Er gehe aber davon aus, dass sich die Lücke schließen lässt.
Viele Schulen haben auf den Lehrkräftemangel auf Empfehlung des Kultusministeriums mit Kürzungen bei Wahlfächern und Neigungsgruppen reagiert. Piazolo nennt das euphemistisch „bedarfssenkende Maßnahmen“. Sie dienten dazu, den Unterricht nach der Stundentafel abzusichern. Denn Pflichtstunden will der Minister nicht streichen, auch die Anhebung der Klassenstärken ist für ihn kein Thema. Derartige Eingriffe hätten viel gravierendere Auswirkungen als etwa eine ausfallende Theatergruppe. Es gehe schließlich auch um die Frage der Bildungsqualität.
Lüftungsgeräte? Klar!
Zu den Herausforderungen des neuen Schuljahrs gehören weiter Corona und neu die sich abzeichnende Energieknappheit. In Sachen Gesundheitsschutz setzt Piazolo zunächst auf die bekannten Hygienekonzepte aus dem vergangenen Schuljahr. Konkret heißt das, dass im Klassenzimmer keine Maskenpflicht herrscht, auf Fluren und in Treppenhäusern wird das Tragen empfohlen. Auch Pflichttests gibt es keine. Sollte sich die Pandemielage wieder verschärfen, sei man vorbereitet, betont Piazolo. Große Energiesparpotenziale an den Schulen sieht der Minister nicht. Schule sei „kritische Infrastruktur“ und müsse daher prioritär versorgt werden. Es liege deshalb in seinem Interesse, dass die Räume „angenehm warm“ sind, selbst wenn Corona weiterhin regelmäßiges Lüften erfordere. Auch die stromfressenden Luftreiniger seien für den Gesundheitsschutz weiter wichtig.
Bei der SPD ist man nicht überrascht, dass Piazolo die Lehrkräfte ausgehen und er Personallücken mit unkonventionellen Maßnahmen, Eingriffen ins Wahlfächerangebot und dem Ausdünnen von Förder- und Neigungsgruppen schließen muss. „Wir weisen schon seit Jahren auf Versäumnisse bei der Personalgewinnung hin, aber die Kultusminister haben die Lage immer schöngerechnet und schöngeredet“, bilanziert die SPD-Bildungspolitikerin Margit Wild. Jetzt, so urteilt sie harsch, stehe man „vor der Katastrophe“. Als dringendste Maßnahmen fordert die SPD die gleiche Bezahlung der Lehrkräfte an allen Schularten und endlich eine Reform der Ausbildung, um die Pädagog*innen flexibler an den Schularten einsetzen zu können.
Der Grüne Max Deisenhofer erkennt ein von der Staatsregierung zu verantwortendes Chaos an den Schulen. „Wir brauchen jetzt einen echten Notfallplan, der verhindert, dass Unterrichtsstunden gestrichen werden“, lautet sein Fazit. Wenn Stellen nicht besetzt werden könnten, dann müssten die Schulen das dafür vorgesehene Geld direkt bekommen, um vor Ort für kreative Lösungen zu sorgen. Dass Minister Piazolo stattdessen vorschlage, Unterrichtsangebote zu kappen, sei fatal.
Handlungsbedarf sehen SPD und Grüne auch an anderer Stelle. Vor dem Hintergrund gestiegener Lebensmittel- und Energiepreise sprach sich die SPD dieser Tage zur Entlastung der Eltern für eine Ausweitung der Lernmittelfreiheit aus. Diese sollte nicht nur die Schulbücher umfassen, sondern auch die ergänzenden Arbeits- und Übungshefte, die die Eltern zusätzlich kaufen müssten, und die Kopierkosten für Arbeitsblätter, erklärte die SPD-Abgeordnete Simone Strohmayr. Außerdem sollte die Lernmittelfreiheit digitale Endgeräte und Programme umfassen. Schule werde schließlich immer digitaler. Dem müsse der Staat Rechnung tragen, indem er dauerhaft allen Schulkindern Laptops oder Tablets zur Verfügung stelle.
Die Grünen veröffentlichten derweil eine von ihnen in Auftrag gegebene Umfrage unter Schüler*innen aller Schularten. Demnach fühlen sich von diesen gut zwei Drittel zu wenig auf ihr späteres Leben vorbereitet. Defizite sehen sie vor allem in der Berufsorientierung, beim Umgang mit Geld, Finanzdienstleistungen und Versicherungen sowie bei der Bewältigung von Stresssituationen. Fraktionschefin Katharina Schulze nennt das Ergebnis „erschütternd“ und ein „Armutszeugnis für die bayerische Bildungspolitik“. Es brauche mehr Pflichtpraktika, psychologische Unterstützung und Vermittlung von Alltagskompetenz. (Jürgen Umlauft)
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