Am 26. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Wahl gerät diesmal ungewöhnlich spannend – klar, dass der Fokus derzeit vor allem auf denen liegt, die um ein Mandat kämpfen. Die Staatszeitung wirft dennoch einen Blick auf Menschen, die freiwillig aus dem Parlament ausscheiden. Warum hören sie auf, was haben sie jetzt vor?
Bela Bach: "Konzentriere mich jetzt auf die Doktorarbeit"
Diese SPD-Frau aus Planegg beendet ihre Polit-Karriere mit einem kleinen Paukenschlag: Bela Bach (30), jüngste Abgeordnete im Bundestag, machte vergangene Woche öffentlich, im Parlament sexuelle Belästigungen erlebt zu haben. Weil sie möchte, dass andere junge Frauen, die ihr nachfolgen, „solche Erfahrungen hoffentlich nicht mehr machen müssen“, erklärt sie.
Der Grund, warum sie nicht mehr für den Bundestag kandidiert, ist indes ein anderer. Bach, die erst im Februar 2020 als Nachrückerin für Martin Burkert für den Landkreis München in den Bundestag eingezogen war, verzichtete im März darauf, als Direktkandidatin bei der Bundestagswahl anzutreten. Grund: Sie hatte keinen aussichtsreichen Platz auf der SPD-Bayern-Liste erzielen können. Bach, bis 2019 Vorsitzende der SPD München-Land und schon öfter als parteiinterne Kritikerin aufgefallen, sieht darin „eine Abstrafaktion“.
Die eineinhalb Jahre im Bundestag aber hält Bach, die im Petitions- und Verkehrsausschuss sitzt, für gut genutzt. „Die Zeit reichte, um einige Pflöcke einschlagen zu können“, sagt sie. Beispielsweise beim Kampf für Entschädigungen von Fluggästen in der Corona-Pandemie.
Nun aber konzentriert sich die Juristin erst mal auf ihre Doktorarbeit mit dem Thema „Die Rolle der Europäischen Zentralbank bei der Umsetzung menschenrechtlicher Standards“, für die sie als Abgeordnete keine Zeit fand. „Und danach werde ich mir eine neue berufliche Aufgabe suchen“, sagt Bach. In welchem Bereich, ist offen.
Gerd Müller: das gute Gewissen der CSU
Manchmal darf man froh sein, wenn Politkarrieren enden. Und manchmal muss man es bedauern. Der CSU-Politiker Gerd Müller (66) ist so ein Fall. Der amtierende Bundesentwicklungshilfeminister wird bei der Wahl am 26. September nicht mehr kandidieren. Was bei vielen der Entwicklungshilfe nahestehenden Verbänden in den Entwicklungsländern selbst oder auch bei kirchlichen Organisationen Betrübnis auslöst.
Der Schwabe hat sich einen Namen gemacht als das gute Gewissen der CSU. Seit 2013 wirkte Müller als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett Merkel. Und erlaubte sich in dieser Zeit – zum Verdruss auch der eigenen Partei – den Luxus einer eigenen Meinung. So lehnte es Müller ab, anders als die Kanzlerin etwa, 2014 an der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien teilzunehmen. Grund: Es entstünden dort teure Protzbauten für die WM, während „die Bevölkerung im Elend darbt“. Mit den gleichen Argumenten wettert Müller übrigens auch gegen die Fußball-WM in Katar. Nicht schlecht für einen CSU-Mann.
In der eigenen Partei fanden sie Müllers Frei-Schnauze-Ansagen nicht lustig. Der Unbotmäßige habe halt nie „in der Parteizentrale nachgefragt, was er tun und sagen darf“, sagen seine christsozialen Bewunderer, die er durchaus hat. Tatsächlich soll Horst Seehofer, damals Parteichef, nach der Bundestagswahl 2018 eine erneute Berufung Müllers zum Entwicklungshilfeminister abgelehnt haben. Dass Müller den Job trotzdem wieder bekam, lag am Druck, den Verbände nach Gerüchten um Müllers mögliches Minister-Aus bei der CSU machten. Zu den Errungenschaften seiner zweiten Amtszeit zählt die Durchsetzung des Lieferkettengesetzes. Auch wenn nicht alle damit rundum glücklich sind.
Jetzt aber ist’s endgültig vorbei mit dem Ministerdasein. Müller hat eine Offerte, Chef der UN-Organisation für industrielle Entwicklung zu werden. Schön für einen Mann, dem die Sache immer schon wichtiger war als politisches Geklüngel. Man darf davon ausgehen, dass er was macht aus dem Posten.
Florian Pronold: "Was anderes machen, ehe ich 50 bin"
„Etwas anderes zu machen, bevor ich 50 bin, habe ich mir schon vor Jahren vorgenommen“, sagt der Passauer SPD-Politiker Florian Pronold. Der 48-Jährige kehrt der Politik nach fast 20 Jahren Bundestagsangehörigkeit komplett den Rücken. Sein ursprünglicher Plan, Gründungsdirektor für die Berliner Bauakademie zu werden, ging zwar nicht auf. Nach Gerichtsklagen und massiver Kritik an seiner fehlenden Qualifikation verzichtete Pronold entnervt auf den Posten. Der Bereich Bau- und Stadtentwicklung, sein „Leib- und Magen-Thema“, werde aber auf jeden Fall sein Tätigkeitsfeld bleiben. Konkretes gebe es noch nicht. Als Staatssekretär im Umweltministerium und bis 2018 dort auch für Bauthemen zuständig, werde er wohl ohnehin erst einmal eine Karenzzeit einhalten müssen.
Gegenwind: Für den ehemaligen Landesvorsitzenden der Bayern-SPD ist das nichts Neues. Angesichts der immer lauter werdenden Kritik an der Parteiführung trat Pronold 2017 nicht mehr wie ursprünglich geplant als Parteichef an. Pronold, einst Chef der bayerischen Landesgruppe der SPD-Fraktion und Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion, kann aber auf einige politische Erfolge verweisen. Nicht zuletzt auch als Regierungsmitglied. „Das ist jedoch fast immer eine Teamleistung“, betont er. „Wirklich stolz bin ich aber darauf, dass ich in den Koalitionsverhandlungen 2013 die Mietpreisbremse und eine deutliche Aufstockung der Städtebauförderung durchsetzen konnte.“
Harald Weinberg: "Bundestag hat eine Eigenlogik"
Harald Weinberg sitzt seit 2009 für die Linken im Bundestag. Durch „sanften Druck“ durch die Fraktionsspitze kam der ehemalige Gewerkschaftler bei einem Verdi-Bildungsträger zur Gesundheitspolitik, aktuell ist der Nürnberger Vizevorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Einer seiner größten politischen Erfolge sei es gewesen, den Pflegenotstand auf die Agenda gehoben zu haben, wodurch die Volksbegehren in Berlin, Hamburg, Bremen und Bayern entstanden sind. Kurz darauf folgte die Ernüchterung, weil alle Verfassungsgerichte das Pflege-Volksbegehren nicht zuließen.
Auch der Lobbyismus im Gesundheitssektor war ihm ein Dorn im Auge. „Beim Versuch, die Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung durchlässiger zu machen, sind wir keinen Millimeter vorangekommen.“ Nach zwölf Jahren will Weinberg seinen außerparlamentarischen Blick schärfen. „Der Bundestag hat durchaus eine Eigenlogik und eine Sogwirkung“, erklärt er. Auch der ständige Streit um die Grundausrichtung der Partei habe Energie gekostet.
Zusätzlich kämpft Weinberg mit gesundheitlichen Problemen. Der Rückzug aus dem Bundestag fällt dem 64-Jährigen trotzdem nicht leicht. „Nicht aus Angst vor einem Bedeutungsverlust“, betont er. „Ich wäre aber gern dabei gewesen, wenn in den nächsten vier Jahren wichtige Weichen in der Krankenhauspolitik gestellt werden.“ Aktuell ist er auf dem Weg nach Griechenland, wo er ein Haus und Freunde in der Politik hat. Sie will er zukünftig in internationaler Gesundheitspolitik beraten. Sein Nachfolger im Stimmkreis Nürnberg-Ost wird der in der Partei umstrittene Erkan Dinar – gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren.
Horst Seehofer: "Sehnsucht nach mehr Privatheit"
Vier Jahrzehnte in der großen Politik: Das muss man erst mal aushalten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wurde 1980 in den Bundestag gewählt, bekleidete zahllose Spitzenämter, darunter den Posten des Gesundheits- und des Landwirtschaftsministers. Und war stets einer der umstrittensten Christsozialen. Weil er stur sein konnte, kein parteiinternes Netzwerk hatte und als Einzelgänger galt. Sein Rücktritt als stellvertretender und für Gesundheit zuständiger Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion im Jahr 2004 ist legendär. Vorausgegangen war ein Streit um die Kopfpauschale, also einkommensunabhängige Krankenkassenbeiträge – die Union und FDP mehrheitlich befürwortet hatten. Realisiert wurde die Kopfpauschale dann aber nie.
2008 trat ein, wovor den Landtagsabgeordneten in Bayern stets gegraut hatte: Seehofer wurde Ministerpräsident. Damals hatte die CSU die Landtagswahl grandios vergeigt, der amtierende Ministerpräsident Günther Beckstein trat zurück. Und die verzweifelte CSU wählte den beim Wahlvolk populären, den Funktionären aber sus-pekten Seehofer zu Becksteins Nachfolger. Seehofer blieb zehn Jahre im Amt, warm geworden ist man in der CSU trotzdem nicht mit ihm.
Entsprechend gehässig sind die parteiinternen Kommentare zu seinem angekündigten Rückzug: Seehofer „war einer der schwächsten Innenminister in der Geschichte der Bundesrepublik“, heißt es abschätzig. Geteilt wird in der CSU im Übrigen der Vorwurf der Grünen, wonach Seehofer aus der Zuständigkeit für Heimat im Bundesinnenministerium nichts gemacht habe.
Verständlich, dass der Gescholtene sich auf die Zeit nach der Politik freut. „Es überwiegt eine Sehnsucht nach Privatheit, nach dieser Freiheit von Terminen und Zwängen“, erklärte Seehofer kürzlich in einem Interview. Was dann kommt? Seehofer selber sagt nix Konkretes. Dass er einen Posten in der Wirtschaft annimmt, hat er erstens stets ausgeschlossen. Zweitens, lästern CSU-Leute, fehle ihm dafür die wirtschaftspolitische Kompetenz.
Bekannt ist indes, dass Seehofer gern schafkopft, radelt und seine Spielzeugeisenbahn befehligt. Nach Jahrzehnten nervenzehrenden Politärgers ist das ja auch der perfekte Ausgleich.
(Angelika Kahl, David Lohmann, Waltraud Taschner)
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