Politik

Computersimulation der Sharing-Stadt Schwabinger Tor. (Foto: Jost Hurler)

21.08.2015

Share Economy: Der neue Trend

Besitzen? Ist von gestern – neben Privatpersonen entdecken nun auch Unternehmen, was man alles teilen kann

Austausch ist für den Besitz dasselbe wie der iPod für die Musikkassette und das Solarmodul für das Kohlebergwerk. Austauschen ist sauber, frisch, urban. Besitzen ist langweilig, selbstsüchtig, ängstlich, rückständig.“ New-York-Times-Reporter Mark Levine hat diesen Satz vor ein paar Jahren aufgeschrieben. Und im Freistaat Bayern scheint es eine wachsende Zahl von Menschen zu geben, die ihm intuitiv zustimmen. Einer von ihnen ist Sebastian Zajonz. Der 31-jährige Politikwissenschaftler arbeitet in München in der Medienbranche und hat die sogenannte Share Economy für sich entdeckt. Anstatt selbst viel Geld in Eigentum zu investieren, teilt er Räume, Gegenstände oder Ideen oder mietet sie für eine Weile.

Zum Beispiel: Steht ein Raum in seiner Wohnung leer, vermietet Zajonz ihn unter. Im Spanien-Urlaub bucht er kein Hotel, sondern eine gerade ungenutzte Privatwohnung. Statt Bücher zu kaufen, liest er platzsparende E-Books. Und wenn die U-Bahn Verspätung hat, schaut er auf seinem Handy nach, wo das nächste DriveNow-Auto steht. Ein eigenes Auto? Viel zu viel Aufwand, findet er. „Ich könnte jetzt sagen, all das ist auch aus gesellschaftlicher Sicht besser“, erklärt Zajonz, „aber ich finde Teilen in erster Linie praktischer. Warum soll ich mich mit hohen Anschaffungskosten herumschlagen, wenn es auch anders geht?“

Teilen hat Konjunktur. Egal ob Autos von DriveNow, Schlafplätze über Airbnb oder Wissen bei Wikipedia – unter dem Stichwort Share Economy nutzen immer mehr Menschen immer mehr Ressourcen gemeinsam. Sebastian Zajonz findet das effizient. Er hat gelesen, „dass ein Carsharing-Auto zehn herkömmliche Besitzstandsautomobile ersetzen könnte, weil es nicht so häufig herumsteht“.
Der Gedanke des Teilens ist gar nicht neu. Seit Jahrhunderten verleihen Bibliotheken Bücher, nutzen Bauern gemeinsam Landmaschinen, helfen sich Nachbarn gegenseitig beim Hausbau. Dass die Share Economoy zuletzt so enorm gewachsen ist, verdankt sie digitalen Vermittlungsplattformen. Sie haben aus der Kultur des Teilens einen Marktplatz gemacht, auf dem jeder Internetnutzer mitmischen kann – als Nachfrager oder Anbieter. Weltweit wurden 2014 laut Bundesverband der Verbraucherzentralen 6 Milliarden Dollar in Start-ups der Share Economy investiert. 2010 waren es erst 300 Millionen Dollar.

Benutzen statt besitzen

„Mich hat es immer verwundert, warum man innerhalb einer Familie vieles teilen kann und im Geschäftsleben nichts. Ameisen produzieren trotz wesentlich höheren Verkehrsaufkommens keinen Stau, weil sie im Gegensatz zum Menschen als Kollektiv denken. In Familien ist das genauso und bringt viele Einsparungen“, sagt Tim Ruhoff, der 2010 sein Unternehmen fleetster in München gegründet hat. Ruhoff hat eine Software für das sogenannte Corporate Car Sharing entwickelt. Sie hilft dabei, das Reichweiten-Management von Unternehmensfuhrparks zu steuern und die Autos effizienter zu nutzen. „In Anbetracht einer Weltbevölkerung von knapp 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 führt kein Weg am Sharing vorbei“, gibt sich Ruhoff überzeugt. Corporate Car Sharing sei sein Thema geworden, weil ihm die Wirtschaft so viel Freude mache. „Und als Münsteraner war ich auf dem Fahrrad schon immer ein Mobilitätsrebell.“

Ob der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin jemals die zahlreichen Radwege in Münster erkundet hat, ist nicht belegt. Er hat aber die Sharing Economy bereits im Jahr 2000 in seinem vielfach gerühmten Buch Access vorhergesagt: „Eigentum bleibt nicht, was es war. Und das wird weitreichende Folgen für das gesellschaftliche Leben haben.“ Heute gilt Rifkin als großer Vordenker, und Teilen liegt im Trend. Das treibt auch Blüten.

Unter dem Motto „Talente. Teilen. Toleranz“ entsteht in München-Schwabing, zwischen Leopoldstraße und Berliner Straße, gerade ein komplettes Stadtquartier, in dem „der Sharing-Gedanke in all seinen Facetten gelebt“ werden soll: Das neue Quartier, es nennt sich Schwabinger Tor, soll 2017 fertig sein. Laut seinem Planungsbüro wird es nicht nur Büros, Einzelhandel, Wohnen, Gastronomie und ein Hotel beherbergen, es wird auch ein neues Lebensgefühl atmen: „Es wird die erste Sharing-Stadt! Die Losung der Sharing Economy bringt es auf den Punkt: Benutzen statt Besitzen.“ Was konkret mit diesen Versprechungen gemeint ist, wird sich noch herausstellen. Zumindest belegt solches Marketing, dass man am Teilen nicht mehr vorbeikommt, wenn man hip sein will.

Neben Wohnen und Mobilität teilen auch immer mehr Menschen ihren Büroraum. Im Impact Hub Munich zum Beispiel kann man sich kurz- oder langfristig einen Schreibtischplatz mieten, WLAN, oder auch nur einen Telefonier-, Skype- oder Konferenzraum. Auch Veranstaltungsräume stellt das Hub zur Verfügung, bald allerdings nur noch seinen „Members“.

Die klassische Wirtschaft fühlt sich ein wenig überrumpelt vom neuen Sharing-Trend. Es ist zum Beispiel noch nicht überall geklärt, ob Uber-Fahrer dieselben Ortskenntnisse haben müssen wie Taxifahrer und ob ein privater Zimmervermittler ähnliche Sicherheitsvorschriften beachten muss wie Hoteliers – für deren Herbergen etwa Rauchmelder auf den Zimmern vorgeschrieben sind.

Bei der IHK München und Oberbayern fühlt man sich der alteingesessenen wie der innovativen Wirtschaft gleichermaßen verpflichtet. Was rät man dort denen, die die Konkurrenz der Besitzlosen fürchten? „Halten Sie sich auf dem Laufenden, was die Share Economy in Ihrer Branche anzubieten hat, und haben Sie ein Auge auf die Start-up-Szene“, sagt Referentin Dorothee Murfeld. Sie ermutigt Unternehmen dazu, selbst die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, um „Wettbewerbern voraus zu sein, Prozesse zu optimieren und Kosten zu sparen“. Und um Kunden wie Sebastian Zajonz oder Mark Levine für sich zu gewinnen. (Jan Dermietzel)

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