Wie viele Ukrainer beziehen Bürgergeld und was kostet das die Bundesrepublik?
Im April hatten 693 418 Ukrainerinnen und Ukrainer Anspruch auf Bürgergeld. Das sind 27 737 weniger als ein Jahr zuvor. Dies geht aus einer aktuellen Statistik der Arbeitsagentur hervor, die der BSZ vorliegt. Gut 497 000 von ihnen sind eigentlich erwerbsfähig, 196 000 sind es nicht – meist handelt es sich um Kinder. Im vergangenen Jahr zahlte Deutschland 6,3 Milliarden Euro Bürgergeld an Ukrainer. Das ergab eine AfD-Anfrage an die Bundesregierung.
Was bekommen die ukrainischen Bürgergeldbezieher?
Der Bürgergeldsatz für alleinstehende Erwachsene beträgt 563 Euro, für Menschen in einer Partnerschaft sind es nur 506 Euro pro Person. Der Satz pro Kind ist altersabhängig und beträgt zwischen 357 und 471 Euro. Zudem werden die Miet- und Heizkosten erstattet. Dazu kommen noch die Beiträge für die Krankenkassen. Ein fiktives Beispiel: Derzeit erhält eine vierköpfige ukrainische Familie – bei einer angenommenen Nettomiete von 1500 Euro im Großraum München – rund 3300 Euro.
Hinzu kommen noch Kosten für die Krankenkasse, die der Staat trägt: Rund 150 Euro an Sozialversicherungsleistungen erstatten die Arbeitsagenturen pro Bürgergeldempfänger im Durchschnitt – wobei die Kosten für die Ukrainer aufgrund deren relativ niedrigen Altersdurchschnitts niedriger sein dürften.
Würde der Staat mit Söders Kürzungsvorschlag Geld einsparen?
Ein alleinstehender Asylbewerber hat laut Asylbewerberleistungsgesetz einen Anspruch auf 441 Euro pro Monat. Beim Bürgergeld beträgt der Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen 563 Euro im Monat. Hier spart der Staat Geld. Hinzu kommt, dass viele Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften leben, was Kosten sparen kann, aber nicht muss. Außerdem bekommen Asylbewerber zumindest in Bayern oft eine zweckgebundene Bezahlkarte statt einer Überweisung, weshalb sie kaum noch Bargeld zur freien Verfügung haben. Dies soll abschreckend wirken. Durch fehlende Pull-Anreize kann die Karte Befürwortern zufolge mittelfristig Sozialleistungen sparen.
Wie genau sich Söder eine Bürgergeldreform vorstellt, ist nicht bekannt. Derzeit bekommen Asylbewerber sowie auch nicht aus der Ukraine stammende Kriegsflüchtlinge nach ihrer Anerkennung und teils nach einem gewissen Zeitraum sogar mitunter auch bei einer nicht erfolgten Anerkennung Bürgergeld. Würden diese Menschen dann im Vergleich zu den Ukrainern bessergestellt werden oder würden diesen auch Gelder gestrichen werden?
Manche bezweifeln ohnehin, dass Söders Vorschlag Geld sparen würde – so auch der eigene Koalitionspartner. Geflüchtete aus der Ukraine, die seit dem 1. April eingereist sind, sollen laut Koalitionsvertrag kein Bürgergeld mehr bekommen. Das SPD-geführte Sozialministerium setzt die Reform gerade um und will nun berechnet haben, dass die Reform keine Einsparungen für den Bund bringt. Die SPD argumentiert mit angeblich erhöhten Verwaltungskosten. Allerdings sind Minderausgaben bei logischer Betrachtung unstrittig. Verwaltungskosten fallen ja so oder so an – die Frage ist nur, bei welcher Behörde.
Wie viele Ukrainer arbeiten und können sie davon leben?
278 900 von 930 000 Menschen im erwerbsfähigen Alter waren laut Arbeitsagentur im Mai dieses Jahres sozialversicherungspflichtig beschäftigt – das ist nicht einmal jeder dritte. Vor einem Jahr waren es noch gut 199 100. Dies zeigt, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer hierzulande nur langsam in Lohn und Brot kommen. Hinzu kommen aktuell noch über 53 000 geringfügig Beschäftigte. Sie sind in der Regel auf staatliche Hilfe angewiesen.
Ein Lichtblick: Die meisten Ukrainer, die sozialversicherungspflichtig angestellt sind, können sich und ihre Familien von ihrem Gehalt auch ernähren. Im Januar mussten allerdings von damals rund 245 100 gut 36 300 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigen mit Bürgergeld aufstocken. Dies entspricht einem Anteil von 15 Prozent. Hinzu kommen weitere etwa 14 000 Ukrainer, die Kinderzuschlag von der Familienkasse bekommen. Das teilte die Arbeitsagentur auf Anfrage mit. Wie viele Wohngeld beziehen, ist nicht erfasst.
Warum arbeiten hierzulande im EU-Vergleich so wenige Ukrainer?
In anderen EU-Ländern ist die Beschäftigungsquote zumeist deutlich höher als in Deutschland – teils arbeitet dort mehr als jeder zweite erwerbsfähige Ukrainer. Die Gründe sind vielschichtig: Teils liegt dies Forschern zufolge an Faktoren wie den hierzulande mitunter noch immer langwierigen bürokratischen Verfahren, beispielsweise bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, und an überhöhten Sprachanforderungen von Arbeitgebern. Eine Rolle für die zögerliche Arbeitsaufnahme spiele auch die Hoffnung mancher Flüchtlinge, bald zurückkehren zu können.
Prinzipiell setzt man in Deutschland im internationalen Vergleich stärker darauf, die Ukrainer möglichst gut auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten – durch aufwendige Sprach- und Integrationskurse. Die oft gut ausgebildeten Flüchtlinge sollen nicht schnell in Helfertätigkeiten gezwungen werden, sondern später in Jobs arbeiten, die ihrer Qualifikation entsprechen. Konkret heißt das: Die Medizinerin soll als Ärztin und nicht als Arzthelferin arbeiten. Auch deshalb besuchten zuletzt rund 77 000 Ukrainer Integrationsmaßnahmen.
Klar ist diversen Experten zufolge und aus Sicht der Union aber auch: Die im internationalen Vergleich sehr hohen Sozialleistungen für ukrainische Flüchtlinge sind ein Hauptgrund für die hohe Arbeitslosigkeit dieser Migrantengruppe. Der Anreiz zu malochen fehle, wenn das Bürgergeld mit dem Ersparten ein gutes Leben ermöglicht, so Befürworter einer Kürzung. Unstrittig ist: Das Bürgergeld ist für aus ärmeren Ländern stammende Menschen vergleichsweise hoch – auch, weil selbst hohe Mietkosten in der Regel erstattet werden. Zudem gibt es anders als für Asylbewerber ein zumindest für ukrainische Verhältnisse hohes Schonvermögen.
Überdies berichten Mitarbeiter von Jobcentern, dass sie in der Praxis kaum Möglichkeiten haben, zu überprüfen, inwieweit Ukrainer in ihrem Heimatland noch größere Vermögen besitzen, die sie eigentlich erst verbrauchen müssten.
Fakt ist jedenfalls: Ein großer Teil der ukrainischen Erwerbslosen würde dem Arbeitsmarkt im Prinzip zur Verfügung stehen. Fast 217 000 Ukrainer waren im Juli arbeitslos gemeldet.
Stimmt es, dass viele ukrainische Flüchtlinge keine Betreuung für ihre Kinder finden und deshalb nicht arbeiten?
Das vielfach gepflegte Narrativ, ein großer Teil der Ukrainerinnen und Ukrainer könne mangels Kitaplatz keinen Job annehmen, muss hinterfragt werden. Bei lediglich 24 400 erwerbslosen Ukrainern führt die Arbeitsagentur „Erziehung/Pflege“ als Gründe fürs Nichtarbeiten an. Die Hälfte der ukrainischen Haushalte hat gar keine Kinder. Und: Vier von zehn in Deutschland lebenden Ukrainern im erwerbsfähigen Alter sind Männer – sie fehlen der Ukraine im Kampf gegen die übermächtigen russischen Truppen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Bürgergeldstreichung umgesetzt wird?
Auf absehbare Zeit ist dies sehr unwahrscheinlich. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD lediglich vereinbart, dass ab 1. April 2025 eingereiste Geflüchtete aus der Ukraine nur noch Asylbewerberleistungen erhalten sollen. Eine gesetzliche Regelung steht bisher aber noch aus. Als Folge erhalten derzeit auch neu einreisende Ukrainer noch immer Bürgergeld.
Eine weitergehende Kürzung blockiert die SPD. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas sagt: „Wir sollten uns alle auf den Koalitionsvertrag konzentrieren.“ Auch vor dem 1. April gekommenen Ukrainern das Bürgergeld zu kürzen, halte sie „nicht für richtig im Moment, weil es am Ende die Kommunen belastet“. Auch Co-SPD-Chef Lars Klingbeil ist nicht erfreut über Söders Forderung. Der Vorschlag trage „nicht dazu bei, dass wir in der Koalition gemeinsam vorankommen“, sagte er.
Klar ist aber auch: Sollte sich die Wirtschaft nicht bald erholen und sollten die Ausgaben des Bundes weiter im Rekordtempo wachsen, wird der Sozialbereich als größter Haushaltsposten immer stärker in den Fokus geraten. Auch Finanzminister Klingbeil sagte jüngst, alle Ressorts seien zum sparen aufgerufen. Um etwa Rente und Pflege zu stabilisieren, wird die Union womöglich ihren Widerstand gegen Steuer- und Beitragserhöhungen aufgeben und die SPD in der Folge Einsparungen beim Bürgergeld zustimmen.
Die Genossen haben dann die Wahl, bei lange hier lebenden potenziellen Wählergruppen zu sparen oder weiter Flüchtlinge im internationalen Vergleich besonders großzügig zu alimentieren. (Tobias Lill)
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