Politik

09.11.2023

Soll an bayerischen Schulen eine Verfassungsviertelstunde eingeführt werden?

Im Koalitionsvertrag der neuen Staatsregierung ist die Einführung einer sogenannten Verfassungsviertelstunde angekündigt worden. Wie Ministerpräsident Markus Söder erklärte, soll einmal pro Woche 15 Minuten lang über eine Textpassage aus dem Grundgesetz oder der bayerischen Verfassung oder über Werte diskutiert werden. Der CSU-Landtagsabgeordnete Peter Tomaschko findet das gut. Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands, findet die Idee dahinter gut, hält aber die Einführung eines neuen Formats für nicht sinnvoll

JA

Peter Tomaschko, CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag

Die neue Verfassungsviertelstunde ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der politischen Bildung. Gerade in der aktuell aufgeheizten Situation des immer stärker werdenden politischen Radikalismus und des Antisemitismus sehen wir umso deutlicher die Notwendigkeit einer Wertevermittlung im Sinne unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Bayerische Verfassung von 1946 und das Bonner Grundgesetz von 1949 bilden deren Basis. Sie sind epochale Texte, die die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen und die Weichen für die Gegenwart und Zukunft stellen.

Die Verfassungsviertelstunde soll aber nicht bloß Kenntnisse unserer verfassungsrechtlichen Grundlagen vermitteln. Die Schülerinnen und Schüler sollen vielmehr erkennen, dass Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit jeden Tag mit Leben gefüllt und verteidigt werden müssen. Die Aufgabe für die Lehrkräfte wird also darin bestehen, passende aktuelle Bezüge herzustellen.

Für die konkrete Umsetzung der Verfassungsviertelstunde wird es natürlich einen breiten pädagogischen Spielraum geben. Vieles, was engagierte Lehrkräfte heute schon tun, kann künftig darin Platz finden: das Verhältnis zwischen dem Grundrecht politisch Verfolgter auf Asyl und der gegenwärtigen Zuwanderung, zwischen dem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und antiisraelischen Demonstrationen oder zwischen der Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und der Integralrechnung.

Wo endet Meinungsfreiheit und wo beginnt Volksverhetzung? Die Verfassungsviertelstunde soll Raum bieten, auf Fragen der Kinder und Jugendlichen zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzugehen und sie zum Nachdenken darüber anzuregen. Guter Unterricht leistet dies auch heute schon. Mit der Verfassungsviertelstunde wollen wir die vielfach bestehenden wertvollen Ansätze im Schulalltag verankern und ihnen eine Struktur geben, damit künftig alle Schülerinnen und Schüler davon profitieren. 

NEIN

Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands 

Politische Bildung und Erziehung in der Schule im Sinne der wehrhaften freiheitlichen Demokratie sind heute wichtiger denn je. Ob hier geboren oder zugewandert, junge Menschen wollen ernst genommen werden. Sie sollen politische Haltung entwickeln, um später Verantwortung für und in unserer Demokratie zu übernehmen. Die Frage ist, wie die bayerischen Schulen ihren Beitrag dazu leisten können. Die Antwort ist in unseren Augen ganz einfach: Das tun sie bereits. 

Politische Bildung wurde in den letzten Jahren in allen Schularten gestärkt. Aber diese Bildung findet nicht nur in Fächern wie „Geschichte“ und „Politik und Gesellschaft“ statt. Demokratische Prinzipien müssen gelebt werden – und das werden sie in den Schulen auch: alltäglich in jeder Diskussion, beim Regeln einhalten, beim Streit schlichten und Kompromisse finden; institutionell in Form von Wahlen für die Gremien der Schülermitverantwortung und im Schulforum. Dazu kommen außerunterrichtliche Aktivitäten wie die Junior-Wahl, Bildungsfahrten, zum Beispiel in die Bundeshauptstadt inklusive Besuch politischer Institutionen, sowie Exkursionen zu Gedenkstätten. Und um all dies umzusetzen, brauchen Lehrkräfte vor allem eines, zumal in Zeiten von Lehrermangel: keine zusätzlichen Projekte, die es neu zu entwickeln gilt.

Dennoch ist das Anliegen hinter der Verfassungsviertelstunde absolut berechtigt und kommt in der Präambel des neuen Koalitionsvertrags klar zum Ausdruck. Wir müssen die Demokratie stärken und dabei herausstellen, welch wertvolles Gut wir mit unserer freiheitlichen Verfassung zu verteidigen haben. Statt neuer Konzepte sollte aber besser auf bereits existierende Formate zurückgegriffen werden. Wie wäre es beispielsweise, die bereits an einigen bayerischen Schulen bestehenden Klassenleiterstunden flächendeckend auszubauen – für mehr demokratiefördernde Zeit mit den Schülerinnen und Schülern?
 

Kommentare (1)

  1. FredFeuerstein am 13.11.2023
    Vorschlag: führt an den Schulen echten Geschichtsunterricht ein, in dem auch über das Dritte Reich berichtet und diskutiert wird - und führt die Verfassungsviertelstunde im Landtag ein, damit Klima- und Umweltschutz endlich ernst genommen und seine dringendste Notwendigkeit eingestanden und verstanden wird!
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