Politik

27.02.2020

Soll Bayern ein Aufnahmeprogramm für Frauen und Kinder auf Lesbos auflegen?

Auf Lesbos sitzen rund 22 000 Geflüchtete fest. Die Grüne Gülseren Demirel fordert, die Aufnahme von alleinlebenden Frauen, Kindern und Menschen mit Behinderung. Von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kommt eine Absage: Ein bayerischer Sonderweg würde völlig falsche Signale senden.

JA

Gülseren Demirel, Sprecherin für Asylpolitik der Landtags-Grünen

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im ersten Artikel unseres Grundgesetzes.

Aus guten Gründen wurde dieser Satz vor 70 Jahren festgeschrieben – hat doch die Vergangenheit gezeigt, dass es gerade im Bereich der Humanität unveräußerliche Werte gibt, für deren Einhaltung und Bewahrung jede Gemeinschaft sich stark machen muss.

Die Not der Menschen in Lesbos ist unfassbar groß. Unbegleitete Kinder und Jugendliche, Schwangere, ältere und kranke Menschen müssen in überbelegten Lagern ausharren, die europäischen Standards nicht im Entferntesten gerecht werden. Sie leben in erbärmlichen Zeltbehausungen und sind in vielerlei Hinsicht an Leib und Leben gefährdet. Es mangelt an Nahrung und medizinische Betreuung ist fast nicht vorhanden. Die Versorgung mit Wasser und Strom sowie die Sanitäranlagen sind desaströs.

Die Asylverfahren verlaufen so schleppend, dass die Menschen teilweise jahrelang in diesen Lagern verbringen müssen. In dieser langen Zeit ist es den Kindern nicht möglich, eine Schule zu besuchen, und die Situation bietet keinen Schutz vor Übergriffen.

Es bleibt hier also keine Zeit mehr für politisches Taktieren. Vor allem sollte man sich vor Augen führen, dass seit des „Deals“ mit der Erdogan-Regierung sich auch der Zweck der Hotspots in Griechenland verändert hat. Es geht hier nicht mehr um Registrierung und Verteilung, sondern um Abschiebung in die Türkei – also in ein Land, das nicht mal die Genfer Flüchtlingskonvention vollumfänglich ratifiziert hat.

Es ist hier also dringend nötig zu handeln – nicht nur um der Menschen selber willen, sondern auch aus Solidarität mit Griechenland, einem besonders belasteten EU-Außengrenzenstaat.
Wir haben hier auch die Gelegenheit, innereuropäisch ein wichtiges Signal zu setzen. Das könnte das Zustandekommen einer gemeinsamen, fairen und nachhaltigen europäischen Verteilpolitik beschleunigen.

Nein

Joachim Herrmann (CSU), bayerischer Innenminister

Nein, das wäre der falsche Weg. Klar ist: Die sich zuspitzende humanitäre Not der auf den griechischen Inseln untergebrachten Migranten ist offenkundig. Die Lösung dieser schwierigen Situation erfordert aber europäische Antworten. Die Staatsregierung setzt dementsprechend wie die Bundesregierung in Griechenland auf ein gemeinschaftlich europäisches Vorgehen. So haben die Europäische Kommission und die Bundesregierung bereits erste logistische Hilfe auf den Weg gebracht. Zugleich hat die griechische Regierung selbst Maßnahmen ergriffen, um die angespannte Situation zu entschärfen.

Ein bayerischer Sonderweg bei der Umverteilung von Migranten wäre dagegen nicht hilfreich: Alleingänge auf nationaler oder sogar Landesebene würde einen gemeinsamen europäischen Lösungsansatz torpedieren und völlig falsche Signale senden. Es würde das trügerische Bild vermittelt, dass es ausreicht, auf dem gefährlichen Seeweg die griechischen Inseln zu erreichen, um in absehbarer Zeit nach Bayern zu gelangen.

Hinzu kommt: Es wäre bei einem Aufnahmeprogramm kein Asylverfahren zu durchlaufen, da aufgenommene Personen unmittelbar eine Aufenthaltserlaubnis erhalten müssen. Die Folge liegt auf der Hand: Die Situation auf den griechischen Inseln würde sich durch den so entstehenden „Pull-Effekt“ insgesamt sogar verschlimmern. Das kann niemand wollen!

Was wir stattdessen brauchen, ist eine gerechtere Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen Union. Alle Mitgliedstaaten sind gleichermaßen gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Der Ansatz muss sein, solidarisch und europäisch zu denken und zu handeln. Deutschland muss die kommende Ratspräsidentschaft dazu nutzen, sich für diesen Grundpfeiler der Europäischen Union einzusetzen und eine gemeinschaftliche Lösung anzustreben. Gleiches muss für die Europäische Kommission und ihren angekündigten neuen Pakt für Asyl und Migration gelten.

Kommentare (16)

  1. Nein am 03.03.2020
    Nein
  2. Martina am 29.02.2020
    Ich finde das Nichthelfen nicht hinnehmbar.
    Es ist eine Schande, dass Menschen so leben müssen. Wir sind ein reiches Land und haben auch sonst die Ressourcen zu helfen.
    Ich sehe keinen Grund, warum nicht wenigstens die Städte, die sich bereit erklärt haben Geflüchtete aufzunehmen, die nicht tun dürfen.
    Das bisher so wenig Hilfestellung von deutscher Seite kam finde ich eine Schande.
  3. Eliana am 29.02.2020
    Dass man diese Frage überhaupt stellen muss finde ich schon schrecklich. Wir sind immer noch ein reiches Land, zum grossen Teil auf dem Rücken anderer. Diese Menschen aufzunehmen sollte eine Selbstverständlichkeit sein! Wären wir in dieser Lage, würden wir auch auf die Menschlichkeit anderer hoffen.
    Geteiltes Leid ist halbes Leid!
    Geteilte Freude ist doppelte Freude!
  4. mensch am 29.02.2020
    Wie ignorant muss man sein um zu sagen: "Die Staatsregierung setzt dementsprechend wie die Bundesregierung in Griechenland auf ein gemeinschaftlich europäisches Vorgehen". Mindestens ist das unterlassene Hilfeleistung und zutiefst beschämend. Ich bin für ein Austauschprogramm - die Kinder der CSU Abgeordneten gehen für 3 Monate nach Griechenland ubd die Flüchtlingskinder kommen zu uns. Mal sehen, wie die Meinung der Damen und Herren CSU sich dann ändert.
  5. Utinca am 29.02.2020
    Ja, wenn wir so ein „christlich“ motiviertes und offensichtlich reiches Land sind, unbedingt.

    Wir brauchen Zuwanderung!
  6. Mit freundlichen Grüßen Spiegl am 29.02.2020
    Keine Frage, selbstverständlich müssen wir helfen und aufnehmen!
  7. Jenny am 29.02.2020
    Man muss sich nur mal in ihre Lage versetzen und die Antwort ist ist: man muss ihnen helfen. Wir haben nur Glück, dass wir hier geboren worden sind ihr nicht in Syrien
  8. heinti am 29.02.2020
    JA. Weil die Menschen, Frauen, Kinder, Männer JETZT unsere HIlfe brauchen.
  9. Munger am 28.02.2020
    Menschlichkeit muss vor taktischen Überlegungen stehen. Deshalb klar:JA
  10. Cruiser am 28.02.2020
    Klipp und klar: Ja, diesen Menschen muss geholfen werden.
  11. Schlawiner am 28.02.2020
    Der immergleiche Verweis auf die europäische Lösung. Wohlwissend, dass diese nie kommen wird. Mind. die unbegl. mj. Flüchtlinge und kranke Kinder (mit 1 Begleitperson) müssten geholt werden. Bei syrischen Fl. stellt sich doch die Asylfrage nicht ernsthaft: mind. der subsidiäre Schutz wird allemal zuerkannt. Aber typisch Herrmann: kein Wort dazu, wie prima sich viele Kinder/Jugendliche aus der 2014/15-Welle bis heute gemacht haben: Schulabschlüsse und die ersten Berufsabschlüsse gerade auch in den sog Mangelberufen. Natürlich haben etliche ihre Chance auch nicht genutzt, aber das gilt für in Deutschland geborene uns aufgewachsene Jugendliche auch.
  12. Frau mit Kind am 28.02.2020
    Als Mutter kann ich nur sagen, rettet die Kinder und ihr Eltern! Es kann nicht sein, dass Kinder auf europäischem Boden unter unwürdigen Bedingungen leben müssen.
  13. Dünnwadl am 28.02.2020
    Innenminister Herrmann hat Recht, an die europäische Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen zu erinnern. Er irrt, wenn er sagt, erst muss sich Europa auf eine Lösung einigen, und dann können wir helfen. So lange das Elend auf den griechischen Inseln andauert, wird mit den Bildern und Berichten, aber auch mit der elendigen Lage der Geflüchteten Politik gemacht. Diese Menschen brauchen jetzt unsere Hilfe. Wären diese Menschen in Bayern in dieser Situation, dann wäre die Haltung Herrmanns unterlassene Hilfeleistung und der Aufruf dazu. Kein gutes Beispiel, das der oberste Hüter von Recht, Ordnung und allen Hilfsdiensten hier bietet.
  14. Akwieking am 28.02.2020
    Die Kinder, Jugendlichen, Frauen, Alte und Kranke brauchen jetzt Hilfe. Alles andere ist menschenverachtend. Die Lager auf Lesbos sind die Hölle. Holt zumindest die (unbegleiteten) Kinder da raus! Jetzt! Sofort!
  15. voa zua am 28.02.2020
    Ich bin dafür, alles dafür zu tun, dass erstens die Fluchtursachen bekämpft werden und zweitens die Flüchtlinge da wo sie jetzt sind so zu unterstützen, dass sie nicht frieren und hungern müssen. Das geht genau so.

    Das falsche Signal wäre meines Erachtens tatsächlich wieder ungehinderten Zugang für unsere Sozialsystem zuzulassen. Das bekämpft die Fluchtursachen nicht - das verstärkt sie. Insofern ist der Weg unserer Regierung richtig. Ob die Anstrengungen ausreichen, darüber kann man trefflich diskutieren.

    Davon getrennt zu sehen ist die gezielte und in Bahnen gelenkte Migration. Diese braucht jedes Land. Auch wir. Der Fachkräftemangel macht das deutlich. Das Eine hat mit dem Anderen nichts gemeinsam.

    Aber helfen müssen wir diesen Menschen. Die Zustände in Griechenland sind unserer EU-Gesellschaft unwürdig. Da stimme ich allen zu.
  16. Dogsfriend am 27.02.2020
    Die Geflüchteten leben auf den griechischen Inseln unter menschenunwürdigen Bedingungen, wenig oder nichts zu essen, frierend, kleine Kinder stehen barfuß in Kälte und Schlamm. Diese Menschen sind vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflüchtet und brauchen unsere Hilfe! Wir reden hier in Europa von unseren westlichen Werten und von den Menschenrechten und was tun wir? Nichts!! Schäm Dich Europa! Deutschland und Frankreich würden helfen, wenn sich alle anderen Länder beteiligen würden? Vorschlag: Den Verweigerern alle EU-Subventionen streichen! Wer nicht mithelfen will, soll auch nicht kassieren!
    Natürlich bin ich dafür, dass Deutschland bzw. Bayern wenigstens Frauen, Kinder und Behinderte aus ihrem Elend befreit und zu uns holt. Wer könnte so herzlos sein und das verweigern?
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