Politik

04.06.2020

Sollen Kommunen die Altschulden erlassen werden?

Die Spitzen der großen Koalition haben sich auf ein Konjunkturpaket verständigt. Eine Übernahme der Altschulden von Kommunen findet sich nicht darin. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, plädiert für eine Altschuldenregelung. Christian Bernreiter (CSU), Präsident des Bayerischen Landkreistags, ist strikt dagegen.

JA

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds

Deutschland ist von gleichwertigen Lebensverhältnissen – wie sie unser Grundgesetz als Ziel vorgibt – leider noch weit entfernt. Im Gegenteil: Die Schere zwischen armen und reichen Regionen sowie Städten und Gemeinden geht weiter auseinander.

Das hat gravierende Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Die Bildungschancen eines Kindes, die Qualität der kommunalen Daseinsvorsorge, vom öffentlichen Personennahverkehr über die Ausstattung der Kindergärten und Schulen, sind stark von der jeweiligen Finanzsituation der Kommune abhängig.

In Deutschland sind über 2000 Städte und Gemeinden extrem verschuldet. Insgesamt häufen sich die Kassenkredite auf circa 45 Milliarden Euro. Die Ursache für diese Situation ist nicht, wie teilweise argumentiert wird, zu wenig Sparsamkeit in den hoch verschuldeten Städten und Gemeinden, sondern vielmehr eine Mischung aus Strukturwandel, Arbeitslosigkeit, fehlender Investitionskraft und Einwohnerverlust.

Eine Altschuldenregelung muss gewährleisten, dass die Finanzierung allein vom Bund und den betroffenen Ländern getragen wird. Zudem müssen verbindliche Kriterien festgelegt werden, mit denen sichergestellt werden kann, dass die betroffenen Städte und Gemeinden nicht in kurzer Zeit wieder in die Schuldenfalle geraten. In diesem Zusammenhang sollten insbesondere die vom Bund veranlassten Sozialkosten (Kosten der Unterkunft und Heizung) auch vom Bund vollständig übernommen werden.

Die Politik in Bund und Ländern ist insgesamt gefordert, nicht ständig neue und zusätzliche Leistungen zu schaffen, die vielleicht wünschenswert sind, die aber letztlich häufig am Ende die Kommunen finanzieren müssen. Die Altschuldenregelung könnte gleichzeitig zum Anlass genommen werden, den Grundsatz der Konnexität, „Wer bestellt, bezahlt“, endlich in allen Politikbereichen anzuwenden.

NEIN

Christian Bernreiter (CSU), Präsident des Bayerischen Landkreistags

Der Vorschlag zur Schuldenübernahme klingt verlockend. Leider ist er bei genauerer Betrachtung problembehaftet. Wir brauchen starke kommunale Haushalte, um unsere Aufgaben weiter erfüllen zu können. Kommunalpolitik betrifft das Leben der Bürger vom Anfang bis zum Ende. Wir müssen deswegen funktionieren. Heute gilt mehr denn je, dass die Wirtschaft zwar nicht alles ist, aber ohne Wirtschaft eben auch alles nichts ist. Unsere kommunalen Aufträge und Investitionen – wie etwa bei Schulbauten oder Straßeninstandsetzungen – sind ein wesentliches Instrument, um der bayerischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen.

Um die immensen, durch Corona ausgelösten Herausforderungen stemmen zu können, müssen wir die Zukunft und nicht die Vergangenheit in den Blick nehmen. Geld aus Berlin brauchen jetzt bundesweit alle Landkreise für Aufgaben wie die Digitalisierung und in vielen Regionen auch für den verlässlichen Mobilfunkausbau. Wenn Altschulden einzelner Bundesländer durch den Bund getilgt werden, bleibt für Zukunftsinvestitionen nichts mehr im Topf. Der Bund würde zudem all diejenigen Bundesländer entlasten, die ihre Kommunen bisher vernachlässigt haben. Denn wenn eine Kommune gezwungen ist, sich jahrelang über Kassenkredite zu finanzieren, zeigt das, dass das jeweilige Bundesland den Kommunen dauerhaft zu wenig Geld gegeben und deren Finanzen zu lasch beaufsichtigt hat.

Nach der Verfassung sind die Länder in der Verantwortung kommunaler Kassenkredite. Was wir jetzt brauchen, ist eine Auffanglösung für Gewerbesteuerausfälle, um unsere Pflichtaufgaben weiter erfüllen zu können. Zudem benötigen wir ein kommunales Konjunkturpaket, das 2021/22 umgesetzt werden kann, um notwendige Investitionen in unsere Schulen sowie die Infrastruktur tätigen zu können. Dabei geht es in erster Linie um die Digitalisierung, aber auch um Straßen und vieles mehr. Darüber hinaus brauchen wir dringend Hilfe bei den zu erwartenden Mehrkosten bei Hartz IV.

Fotos: Patrick Gawandtka/DStGB und dpa

Kommentare (3)

  1. Demokratischer Widerstand am 08.06.2020
    Nachtrag - Der Zusammenhang PPP zu Altschulden besteht darin, dass manche Kommunen das PPP-Instrument wählen um ihren Investitionshaushalt nicht weiter zu belasten. Folglich führen die PPP-Maßnahmen zu einer schleichenden Privatisierung der Daseinsvorsorge. Beispiele: Kommunen betreiben keine eigenen Immobilien mehr, sie mieten von einem privaten Dritten, mit dem Absprachen getätigt wurden. Es kann sich dabei um ein Bürgerstiftung handeln oder auch um den Bau von Gebäuden mit der Maßgabe, dass dann diese Gebäude für 20 oder 30 Jahre durch die Kommune angemietet werden. Für den Immobilienbetreiber ein lohnendes Geschäft - vor allen Dingen in den Großstädten! Die Alternative Bau und Nutzung eigener Immobilien, aber das ist heute nicht mit opportun. Wir sollten uns wieder auf unsere eigenen Fähigkeiten als Kommunen und Landkreise verlassen und uns nicht in irgendwelche obskuren Prozesse wie z. B. Cross-Border-Leasing verleiten lassen. Wir sollten uns Baubetriebshöfe wieder voll reaktivieren und selber bauen. Mia san Mia und Mia san besser als die Wirtschaft!
  2. Demokratischer Widerstand am 08.06.2020
    Natürlich brauchen die Kommunen einen Altschulden-Erlass. Nur so können sich die Kommunen erfolgreich entschulden! Die Neuaufnahme von Krediten - ohne Obergrenzen - erscheint sinnvoll, muss aber durch die genehmigenden Behörden (Regierung, Landkreise) kontrolliert werden, ggf. müssen Verordnungen und Richtlinien erlassen und diese kompetent und streng überprüft werden. Es kann nicht sein, dass sich jeder Feudalfürst ein Denkmal setzt (Brücken, Museen, etc.). Es geht generell um die Daseinsvorsorge und um Infrastruktur-Investitionen, die müssen ermöglicht werden und hierzu erscheint der Schuldenschnitt als einzige Möglichkeit der Befreiung. Klar die CSU präferiert PPP-Maßnahmen, wo das Staatsvolk richtig zur Kasse gebeten wird, da hier horente Gewinne der Wirtschaft eingepreist sind (Bestandteil der Kalkulation). Aus diesem Grunde sind die Argumente gegen einen Schuldenerlass obsolet. Um als Kommune agieren zu können müssen die Altschulden weg. Was die Gewerbesteuer angeht blockiert die CSU seit langem optimale Lösungen. Es kann nicht sein, dass die Kommunen wahllos Gewerbegebiete ausweisen, die Infrastruktur herstellen oder herstellen lassen und letztendlich bei Konjunktureinbrüchen auf Gewerbesteuereinnahmen verzichten und auf für Kosten (AHK, Kapitaldienste und Umweltkosten) aufkommen müssen. Aus diesem Grunde sollte die Planung von Gewerbegebieten auf die Bezirksregierungen oktroyiert werden - zum Schutz der Steuergelder und der Natur! Die derzeitige Zersiedelung Bayerns ist definitiv wirtschaftlich und unweltpolitisch der falsche Weg. Ein Gegenargument zur Wirtschaft, wir können auch die Wirtschaft vergesellschaften - nicht so wie in der DDR - sondern aufgrund der heutigen IT-Techniken und wirtschaftlichen Optionen (Operation Research) kein Problem, dann könnte man viele Dingen "optimal" lösen, ohne Zerstörung von Finanz- und Umweltressourcen. Aber das bedeutet auch, keine Profite für das Großkapital und das möchte die CSU mit Sicherheit verhindern, denn sie ist deren Motor!
  3. Andre am 06.06.2020
    Ja sofort
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