Politik

14.08.2019

Sollen Strafprozesse aufgezeichnet werden?

FDP-Fraktionschef Martin Hagen fordert eine Aufzeichnung von Strafprozessen in Bild und Ton - nur so könne man dem modernen Anspruch von Objektivität, Nachvollziehbarkeit und Transparenz gerecht werden. "Sie dient nicht der Wahrheitsfindung", erklärt dagegen Bayerns Justizminister Georg Eisenreich - er lehnt eine Aufzeichnung von Prozessen ab.

JA

Martin Hagen, FDP-Fraktionschef im Bayerischen Landtag

Deutschland ist bei der Dokumentation von Strafprozessen im 19. Jahrhundert stehen geblieben. Dem modernen Anspruch an Objektivität, Nachvollziehbarkeit und Transparenz werden die bis heute üblichen handschriftlichen Notizen der Richterinnen und Richter längst nicht mehr gerecht. Ein Blick über den nationalen Tellerrand zeigt, wie es gehen könnte: Am Internationalen Gerichtshof in Den Haag werden alle Verhandlungen in Bild und Ton aufgezeichnet. Nicht anders handhabt man es beispielsweise in Schweden. Bei deutschen Strafverfahren müssen die Richterinnen und Richter unterdessen oft gleichzeitig Zeugen hören, Fragen stellen, Angeklagte beobachten und eben Notizen zu den Aussagen machen. Das Fehlerrisiko ist offensichtlich: Notizen können Lücken aufweisen, und es besteht die Gefahr unbewusster Selektion aufgrund der richterlichen Mehrfachbelastung.

Die FDP fordert daher, dass künftig Prozesse gefilmt und Tonaufnahmen gemacht werden. Das bedeutet nicht, dass die Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten künftig weniger geschützt wären. Audio-visuelle Aufzeichnungen sollen in erster Linie die Richterinnen und Richter entlasten und den Prozess besser nachvollziehbar machen. Es ist nicht ihr Zweck, Strafprozesse automatisch in eine Art öffentlichen Livestream zu verwandeln. Auch bei einer erneuten Überprüfung des Urteils in einer höheren Instanz kann genau festgelegt werden, in welchem Umfang man sich auf die Aufzeichnungen berufen kann.

Die Strafverfolgung ist oft ein massiver Eingriff in die bürgerliche Existenz des Betroffenen. Die Folgen eines Urteils können ein ganzes Leben verändern. Objektivität, Nachvollziehbarkeit und Transparenz im Strafprozess sind daher keine Fragen für den Elfenbeinturm der rechtswissenschaftlichen Forschung – sie sind das Gebot eines Rechtsstaats, der beim Thema Strafverfahren endlich im 21. Jahrhundert ankommen muss.

NEIN

Georg Eisenreich (CSU), bayerischer Justizminister

Die pauschale Forderung der Aufzeichnung von Strafprozessen lehne ich ab. Mit der ständigen Erfassung von Ton und Bild im Gerichtssaal ist niemandem geholfen. Sie dient auch nicht der Wahrheitsfindung.

Die bayerische Justiz ist modern, sie geht mit der Zeit. Der Einsatz von Technik erfolgt dort, wo er sinnvoll ist. Dies ist mir als bayerischer Justizminister besonders wichtig. Sinnvoll ist zum Beispiel die Aufzeichnung der Vernehmung von Geschädigten in bestimmten Ermittlungsverfahren. So kann einem stark belasteten Opfer im Einzelfall eine erneute Aussage im Strafprozess erspart werden.

Nicht sinnvoll ist es aber, jeden Strafprozess mitzuschneiden. Für die Wahrheitsfindung ist es wichtig, einen unverfälschten und authentischen Eindruck von Zeugenschilderungen zu bekommen. Zeugen sollen möglichst unbelastet aussagen. Manch introvertierter Zeuge kann schon durch das bloße Wissen um eine Videoaufzeichnung gehemmt sein. Vor allem aber kann ein Gericht nur unter einer Voraussetzung verlässlich den Geschehensablauf aufklären: Es muss sich ein eigenes unmittelbares Bild von den vorhandenen Beweisen machen. Nur wenn das Gericht einen Zeugen selbst hört und sieht, kann es dessen Glaubwürdigkeit zuverlässig beurteilen.

Unser bewährtes System von Tatsachen- und Revisionsgerichten beschreibt diesen Grundsatz. Tatsachengerichte erheben Beweise, ermitteln das Geschehene und entscheiden auf dieser Basis. Revisionsgerichte wachen über die richtige Anwendung des Rechts. Liegen Videoaufzeichnungen von Prozessen erst vor, so ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis Revisionsgerichte gezwungen sind, auch die Tatsachengrundlage zu kontrollieren. Tatsächlich sind Videomitschnitte hierfür aber genauso wenig geeignet wie ein Aktenstudium. Auch die modernste Technik vermag es nicht, die vielschichtigen Vorgänge einer Gerichtsverhandlung authentisch zu erfassen.

Kommentare (2)

  1. Menschenrechtler am 14.08.2019
    Profit und Kastendenken contra Demokratie und Rechtsstaat

    Nach allgemeiner Feststellung und nach einer Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rainer Funke vom 8. Oktober 1991 herrscht in der Justiz "ein ausgeprägtes 'Kastendenken' bei allen Beteiligten", vgl. dipbt.bundestag.de/doc/btd/12/013/1201338.pdf.
    Das Kastendenken scheint unter allen Verantwortlichen zu herrschen. Menschen die- wie bei Schimpansen oder Wölfen- nicht zur herrschenden Gruppe gehören, werden schlecht behandelt. Schutz-Gesetze sollen offenbar dieses Verhalten verhindern, was jedoch mangelhaft funktioniert. Einzelne werden weiter instinktiv von der herrschenden Gruppe bekämpft.
    Paar Zeugenaussagen, die sich mit dem "Wolfsgesetz" und meinen Erfahrungen decken:
    Der Rechtsstaat steht nur auf dem Papier. Der positive Sinngehalt der einschlägigen Gesetze wird in den Köpfen der zuständigen Beamten derart deformiert, dass vom ursprünglichen Gesetzeszweck so gut wie nichts davon übrig bleibt. Was nützt der beste Rechtsstaat auf dem Papier, wenn er in die Köpfe und die Herzen der Menschen, die ihn vertreten sollen, keinen Eingang finden kann? (Quelle: http://web.wengert-gruppe.de/wengert_ag/news/2003/SteuerstrafverfinDeutschland.pdf). Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen sind systemkonform, siehe dazu z.B. http://www.hans-joachim-selenz.de/kommentare/2008/justiz-sumpf-deutschland.html. "Die angeblich funktionierende Gesetzgebungs- und Gerichtspraxis ist die schlimmste Lebenslüge, denn hier ist die Berichterstattung in allen Medien und die Rechtsliteratur nicht nur sehr weit von den wahren Verhältnissen entfernt, sondern sogar irreführend. Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen (nebst Justizministerien, Petitionsausschüssen etc.) fehlt wegen gewollter Verdrehungsabsicht der Tatsachen und der Rechtslage zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit" (Quelle: https://unschuldige.homepage.t-online.de/). Das Kastendenken erstreckt sich offenbar über alle Verantwortlichen. Lobbyisten haben beim Bundestag „das Sagen“, vgl. https://www.youtube.com/watch?v=y5FiOrJClts. Lobbyisten haben dafür gesorgt, dass aus Profitgründen mit Lebensmitteln Menschen geschädigt und werden, siehe arte-Videos „unser täglich Gift“.
    Auch mit Medizinprodukten werden Menschen geschädigt und getötet, was die Kaste der Verantwortlichen billigend in Kauf nimmt, vgl. https://www.focus.de/gesundheit/arzt-klinik/behoerden-verschweigen-infos-immer-mehr-deutsche-sterben-durch-gefaehrliche-implantate_id_9971803.html, https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/kritik-an-arzneimittelherstellern-die-pharmaindustrie-ist-schlimmer-als-die-mafia-1.2267631, zur Menschenbekämpfung mit Computertomografien vgl. https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Krebs_nach_niedrigen_Strahlendosen.pdf. Sogar Hersteller und Ärzte werden nach meinen Erfahrungen von der Justiz in Schutz genommen, wenn sie gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen. Das hilft niemanden. Die Folgen sind Staatsverweigerer bzw. Reichsbürger.
    Da Menschenrechte vom Kastendenken bzw. dem Gruppenegoismus der Verantwortlichen aushebelt werden und das Volk machtlos ist, sollten Bürgergerichte eingeführt werden, vgl. https://www.change.org/p/strafbarkeit-von-rechtsbeugung-wiederherstellen-b%C3%Bcrgergerichte-einf%C3%Bchren, Rechtsfindung per EDV und die Einschaltung der unabhängigen (!) Verhaltensforschung wären ggf. auch erforderlich. Protestaktionen bei Parlamenten scheinen zunächst zur Durchsetzung von Volksabstimmungen angebracht.
  2. D. G. am 14.08.2019
    Da auch unsere Gerichte nicht frei von Fehlern sind, wäre es sinnvoll Gerichtsverhandlungen die einen Menschen, aller Voraussicht nach, in das Gefängnis oder eine andere geschlossene Einrichtung bringen, aufgezeichnet werden.

    Es ist für unschuldig weggesperrte Menschen in unserem Land nahezu unmöglich ihre Unschuld nach einem rechtskräftigen Urteil zu beweisen, bzw. eine Neuaufnahme des Prozesses durchzusetzen. Eine Aufzeichnung des Prozesses könnte der Gerechtigkeit entsprechend Bahn brechen.
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