Im neuen Verfassungsschutzbericht heißt es, Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für Bayerns Sicherheit. Die Münchner Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg hat bereits für die Landesregierung in Thüringen ein Konzept gegen Rechtsextremismus erarbeitet – was die Staatsregierung davon lernen könnte.
BSZ: Frau Schellenberg, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts, der Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für die innere Sicherheit. Nimmt die Staatsregierung rechte Gewalt endlich ausreichend ernst?
Britta Schellenberg: Die Gefährdungslage durch rechtsextreme Gewalt und Terrorismus ist aktuell sehr hoch. Ein umfassendes Handlungspaket ist nötig. Was auffällt: Wenn es um Extremismuskonzepte geht, wird in Bayern auch immer fast neurotisch von Linksextremismus gesprochen.
BSZ: Unbestritten ist auch die linke autonome Szene ein Problem in Bayern.
Schellenberg: Ja, aber wir haben eine für unsere Demokratie und die Sicherheit von Menschen bedrohliche Lage. Ich rate dazu, Abstand vom Rechts-Links-Schema zu nehmen, weil diese Debatte der Bearbeitung unserer Probleme nichts bringt. Es geht um Hass- und Vorurteilskriminalität, die unsere freie Gesellschaft bedroht: Ob ein Antisemit rechts oder links eingestellt ist oder aus einem islamistischen Hintergrund handelt, ist für die Aufarbeitung der Tat zwar wichtig, reicht aber für eine umfassende Problemanalyse und für angemessene Gegenstrategien nicht aus.
BSZ: Die Zahl der Rechtsextremisten im Freistaat ist im Vergleich zum Vorjahr um 210 auf 2570 Personen gestiegen – darunter sind rund 1000 Gewaltorientierte. Ist Bayern rechter als andere Bundesländer?
Schellenberg: Traditionell sind Gewalttätigkeit und Rechtsterrorismus in Bayern tief verwurzelt. Man denke an das Oktoberfestattentat und den Mord kurz darauf in Erlangen an einem jüdischen Verlegerehepaar aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann. Die Hälfte der NSU-Morde fand in Bayern statt und auch die jüngsten Umtriebe zeigen sich hier besonders. Wenn man aber nur die Zahlen der Gewaltdelikte anschaut, sind diese im Osten deutlich höher.
BSZ: Herrmann sprach auch von einer „neuen Dimension der Bedrohung“ durch die rechtsextremen Terrorzellen. Hat die Gefahr zugenommen oder die Berichterstattung?
Schellenberg: Das Problem des Rechtsextremismus begleitet uns seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland. Aber die Aggressivität und Gewalttätigkeit hat sich in jüngster Zeit ausgeweitet und potenziert. Neben den klassischen Feindbildern wie Menschen mit ausländischen Familienbiografien trifft es jetzt auch Bevölkerungsgruppen wie Journalisten und Politiker oder Menschen, die sich für Obdachlose beziehungsweise Geflüchtete einsetzen.
BSZ: Die schreckliche Bluttat von Hanau, die Attacke von Halle an der Saale, der Mord an Walter Lübcke, das OEZ-Attentat in München: Wieso kommt es aktuell vermehrt zu rechten Anschlägen?
Schellenberg: Das ist die Konsequenz aus dem jahrzehntelangen Versagen des Staates und der staatlichen Behörden. Ein Grund dafür ist die erwähnte einseitige konzeptionelle Herangehensweise: Man redet zwar immer öfter von Rechtsextremismus und highlightet manche Punkte, handelt aber unzureichend. Zudem werden etwa die Auswirkungen auf die potenziellen Opfer und die Gesamtgesellschaft oft übersehen – einiges könnte man mit Hasskriminalitätsansätzen besser fassen.
BSZ: In Zeiten von Corona werden in Bayern chinesisch aussehende Menschen rassistisch angegriffen, rechte Parteien versuchen mit vermeintlicher Nachbarschaftshilfe neue Anhänger zu gewinnen. Gibt Covid-19 Rechtsextremismus Auftrieb?
Schellenberg: Ja, noch schwerwiegender allerdings auf globaler Ebene. Tatsächlich verbreitet aktuell in anderen Ländern auch politisches Führungspersonal die üblichen rassistischen Verschwörungstheorien über die Gründe für den Ausbruch des Virus. In Deutschland reagiert die politische Ebene bisher vernünftig und besonnen. Aber in sozialen Netzwerken und einschlägigen Gruppen fallen solche Theorien natürlich auf fruchtbaren Boden.
„Eine CDU- oder CSU-Politik, die AfD-Positionen verstehen will, ist brandgefährlich“
BSZ: Wie beurteilen Sie die jüngsten politischen Aktionen, um Hass und Hetze einzudämmen – beispielsweise den neuen Hate-Speech-Beauftragten in Bayern?
Schellenberg: Im Bereich Antisemitismus wurde auf Bundesebene einiges initiiert und umgesetzt, im Bereich Rassismus wurde aber viel zu wenig getan – auch in Bayern. Menschen, die bedroht werden, fühlen sich oft allein gelassen. Das liegt auch daran, weil die Konzepte auf altbackenen Extremismus-Konzeptionen und dem Links-Rechts-Denken beruhen. Es braucht zusätzlich zum Antisemitismusbeauftragten konkrete Ansprechpartner für Opfer von Rassismus und Vorurteilskriminalität. Das muss endlich zur Chefsache werden. Der Hate-Speech-Beauftragte kann ein guter Anfang sein.
BSZ: Sie saßen in der Thüringer Enquete-Kommission der Landesregierung, um die Ursachen von Rassismus und Diskriminierung zu untersuchen. Wie sah das genau aus?
Schellenberg: Wir haben mit Experten aus allen Bereichen verschiedene deutsche und internationale Forschungsergebnisse aus dem Bereich Rassismus, Diskriminierung und Rechtsextremismus diskutiert, um die für Thüringen passende Bekämpfungsstrategie zu finden. Leider hat sich die Situation vor den näherrückenden Landtagswahlen zugespitzt und die CDU hat sich von den gemeinsamen Ergebnissen zunehmend distanziert. AfD-Fraktionschef Björn Höcke hat die Sachverständigen mit ausländischen Familienbiografien von Anfang an nicht als gleichwertige Gesprächspartner anerkannt. Danach war keine Zusammenarbeit in der Kommission mehr möglich. Jetzt besteht die Gefahr, dass Aktenordnerweise gute Ideen verstauben, die man nur in die Praxis umsetzen müsste. Das macht mich als Wissenschaftlerin sehr traurig.
BSZ: Was könnte Bayern aus den Strategiepapieren übernehmen?
Schellenberg: Rassismus und Diskriminierung gibt es auch bei Polizei und kommunaler Verwaltung. Bayern sollten das Wissen und die Strukturen in den Institutionen verbessern, zum Beispiel unabhängige Beschwerdestellen einrichten, damit mögliche interne Probleme nicht unter den Tisch fallen. Besonders wichtig ist, dass das Personal im Bereich Demokratie und Menschenrechte noch fitter wird. Und es sollte Schulungen zum Thema Rassismus und Hasskriminalität geben, weil die neuen Gesetze vielen noch gar nicht bekannt sind. Es wäre toll, wenn unsere Unterlagen in anderen Bundesländern weiter ausgewertet werden würden. Ich habe mit einem Team an der Universität München mit „Den Menschen im Blick“ auch ein Antidiskriminierungstraining speziell für die kommunale Verwaltung und Wohlfahrtsverbände entwickelt. Die Stadt München wird es mit uns für ihre Bedarfe adaptieren.
BSZ: Auch in Bayern konnte die AfD bei den Kommunalwahlen weiter zulegen, obwohl es den Menschen doch wirtschaftlich besser geht als in Ostdeutschland. Wie erklären Sie sich das?
Schellenberg: Die AfD wählen nicht nur Arbeitslose oder Protestwähler – erst recht nicht dort, wo die Partei 20 oder noch mehr Prozent erreicht. Studien zeigen: Die meisten Wähler sind Männer mittleren Alters, die solide im Beruf stehen. Es sind Menschen, die Angst um ihre soziale und finanzielle Position haben, zum Beispiel durch die Gleichstellung von Frauen und Menschen mit ausländischen Wurzeln. Sie sind objektiv nicht benachteiligt. In der Wissenschaft nennen wir das relative Deprivation. Außerdem hatte es die AfD durch ihren Coup bei der Thüringer Ministerpräsidentenwahl geschafft, sich als starke Partei zu positionieren.
BSZ: Wie lässt sich der Aufstieg populistischer oder rechtsextremer Parteien stoppen?
Schellenberg: Es gibt einen Trend in Deutschland, dass die Menschen liberaler, weltoffener und demokratiefreundlicher werden. Daher hängt alles davon ab, wie man mit potenziell demokratiefeindlichen Wählern im öffentlichen Diskurs umgeht. Nimmt man „besorgte Bürger“ und ihre Ängste vor sogenannten Fremden und „Volksverrätern“ ernst oder sagt man, Menschenverachtung und NS-Ideologie haben bei uns in der Gesellschaft keinen Platz? Ich halte aus diesem Grund eine CDU- oder CSU-Politik, die demokratiefeindliche AfD-Positionen verstehen will, für brandgefährlich. Dass der Verfassungsschutz den AfD-„Flügel“ Mitte März als rechtsextremistisch eingestuft hat, war hingegen überfällig.
BSZ: Glauben Sie, Rassismus lässt sich dauerhaft besiegen? Der Münchner Historiker Davide Cantoni hat herausgefunden, dass die AfD heute dort erfolgreich ist, wo es vor 80 Jahren auch schon die NSDAP war.
Schellenberg: Natürlich gibt es Traditionen bei der politischen Haltung und beim Wahlverhalten – das zeigt sich in der Tat in Bayern und Franken bis heute auf regionaler Ebene. Andererseits sehen wir heute etwa in München, dass in Gegenden mit Menschen mit unterschiedlichen Familienbiografien und Religionen nur ganz wenig AfD gewählt wird, obwohl dort früher auch die NSDAP stark war.
BSZ: Ist es schwierig bei Ihrer Arbeit, stets so optimistisch zu bleiben?
Schellenberg: Ich versuche immer die positiven Seiten zu sehen. Ich gebe aber zu, das ist nicht immer einfach, wenn man sich jeden Tag mit rassistischen Äußerungen und rechtsterroristischen Bestrebungen auseinandersetzt. Auf der anderen Seite leben wir in einer Gesellschaft, die es zu verteidigen lohnt. Das macht mir Mut. (Interview: David Lohmann)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!