Politik

Eine Masernimpfung erfolgt in der Regel bei Kleinkindern. Doch viele Eltern haben Angst vor Nebenwirkungen. (Foto: DPA)

02.08.2013

Streit um den kleinen Pieks

Masern-Impfpflicht in Bayern: Die meisten Parteien lehnen sie ab – auch Juristen haben Bedenken

Für Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) ist es überhaupt keine Frage: „Die Freiheit des einen hört da auf, wo sie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit/ Leben berührt“, schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite. Daher sei sie „uneingeschränkt“ für eine Masern-Impfpflicht. Gesundheitsminister Marcel Huber (CSU) hat ebenfalls eine klare Haltung: Er lehnt eine Impfpflicht kategorisch ab. Also sprach Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) einmal mehr ein Machtwort und sagte: „Aufklärung und Information ja, aber keine Impfpflicht.“
Die Debatte ist damit allerdings keineswegs beendet. Denn hier hat in erster Linie das Bundesgesundheitsministerium das Sagen. Per Rechtsverordnung kann es eine Impfpflicht erlassen, die der Bundesrat absegnen muss. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) denkt bereits über eine Impfpflicht nach. Vorstellbar ist beispielsweise, dass nur noch geimpfte Kinder einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz bekommen. Das fordert etwa der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte.
Nirgendwo in Deutschland ist die Impfquote niedriger als in Bayern. Nur 34,5 Prozent der Kleinkinder im Freistaat sind nach den Empfehlungen der ständigen Impfkommission zeitgerecht und zweifach gegen Masern geimpft, heißt es in der aktuellen Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Im Schnitt sind es in ganz Deutschland 37 Prozent. Dazu kommt: In keinem anderen Bundesland gab es heuer so viele Masernfälle wie im Bayern. Bis Mitte Juli wurden deutschlandweit 1207 Maserninfektionen gemeldet. Allein 515 Menschen erkrankten in Bayern. 2012 wurden insgesamt nur 165 Erkrankungen bekannt – im ganzen Jahr. Die meisten Erkrankten waren ungeimpft, unter fünf oder über 20 Jahre alt.
Der sprunghafte Anstieg der Zahl der Fälle bereitet den Gesundheitsbehörden Sorgen. Denn sie sehen in den Masern keineswegs eine harmlose Kinderkrankheit. Zu den möglichen Komplikationen zählen Hirnhautentzündungen, die tödlich ausgehen oder zu schweren Behinderungen führen können.

Enge rechtliche Grenzen

Impfpflichtgegner geben zu bedenken, dass auch die Impfung nicht risikofrei sei. „Wir wissen wenig über die Langzeitfolgen“, sagt etwa Martin Hirte, Münchner Kinderarzt und Homöopath. „Und wenig über die Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen.“
Auch juristische Bedenken werden laut. „Es gibt verfassungsrechtliche Grenzen, da sie in die Grundrechte auf Selbstbestimmung und körperliche Integrität eingreift“, sagt Ulrich M. Gassner, Professor für öffentliches Recht an der Uni Augsburg, der Staatszeitung. „Ein solcher Schutz gegen sich selbst ist nur zulässig, wenn es tatsächlich um den Schutz ungewollt geimpfter Personen geht.“ Doch immer mehr Menschen in Bayern entscheiden sich ganz bewusst gegen eine Impfung ihrer Kinder – auch das ist ein Ergebnis der Studie.
Auch das Infektionsschutzgesetz, das das Gesundheitsministerium zur Rechtsverordnung ermächtigt, setzt einem Impfzwang Grenzen. „Es muss sich um eine übertragbare Krankheit mit schweren Verlaufsformen handeln und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen sein“, erklärt Gassner. „Aber ein stark gehäuftes Auftreten liegt wohl kaum schon bei 2000 Fällen im Jahr vor.“ Grundsätzlich ist Gassner damit unzufrieden, dass eine so zentrale Frage per Rechtsverordnung entschieden werden kann. Ein Gesetzgebungsverfahren hält er für angemessener. „Und sollte es  zu einer Impfpflicht kommen, müsste es ausdrücklich in der Rechtsverordnung vorgesehen sein, dass ein Bußgeld als Sanktion für Nichteinhaltung verhängt werden kann“, sagt Gassner. „Das kann bis in die Höhe von 25 000 Euro gehen.“
„Da würde man ja wohl mit Kanonen auf Spatzen schießen“, sagt Theresa Schopper, gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen. Wie SPD-Frau Kathrin Sonnenholzner hält sie von einer Impfpflicht nichts. Beide plädieren für mehr Aufklärung. „Oft betrifft es Familien mit Migrationshintergrund“, so Schopper. Mehrsprachige Flyer könnten hilfreich sein.
Karl Vetter, gesundheitspolitischer Sprecher der Freien Wähler, lehnt eine Impfpflicht dagegen nicht strikt ab. Man müsse mittelfristig darüber nachdenken, sollten die öffentlichen Informationskampagnen nicht fruchten, sagt er. „Denn es ist unverantwortlich, Kinder ohne zwingende Notwendigkeit einem solchen Infektionsrisiko schutzlos auszusetzen.“ Als Ultima Ratio sieht die FDP-Abgeordnete Julika Sandt die Einführung einer Impfpflicht. Es gebe aber eine Reihe an notwendigen Maßnahmen, die vorher zu ergreifen seien. Unter anderem sollte der Impfstatus nicht bei Aufnahme in die Grundschule, sondern in den Kindergarten erhoben werden. „Und beim Auftreten von Masern müssen sofort alle, die keinen ausreichenden Impfschutz haben, vorübergehend vom Besuch der Schule oder des Kindergartens ausgeschlossen werden können.“
Die Bundesregierung will den Etat der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Steigerung der Durchimpfungsraten nun auf drei Millionen Euro erhöhen. Die bayerische Staatsregierung will in den nächsten drei Jahren 450 000 Euro in eine Impfoffensive investieren. Künftig sollen auch Gesundheitsämter kostenlose Masernimpfungen anbieten. Denn an dem Ziel, die Masern bis Ende 2015 ausrotten zu wollen, will man festhalten, so Bayerns Gesundheitsminister Huber. Dazu müssten aber 95 Prozent der Bevölkerung immunisiert sein. „Wir setzen auf Freiwilligkeit und eine objektive und industrieunabhängige Information“, sagt Huber der BSZ. „Wir wollen mündige Bürger, die sich bewusst und aus Überzeugung für das Impfen entscheiden.“ (Angelika Kahl)

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