Politik

Einen Organspendeausweis haben die wenigsten. Die Folge: Es gibt viel zu wenige Ersatzherzen, -nieren oder -lebern. (Foto: dpa/Carsten Rehder)

23.08.2024

Streit um ein heikles Thema

Organspende: Bayerns Initiative ist nicht nur beim Koalitionspartner umstritten

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: In Bayern warten rund 1200 Menschen auf ein Spenderorgan, bundesweit sind es sogar 8400 Menschen. Jeden Tag sterben zwei bis drei von ihnen, weil es zu wenig Spendernieren, -lebern oder -herzen gibt. Der Bundesrat will die auch im internationalen Vergleich hohen Zahlen nicht länger hinnehmen und hat daher beschlossen, eine entsprechende Initiative Bayerns in den Bundestag einzubringen.

Statt der Entscheidungslösung fordert die CSU eine Widerspruchslösung, wie sie der Bundestag 2020 abgelehnt hat. Bei dieser gilt jede Person als Organspender, wenn sie sich nicht zu Lebzeiten zum Beispiel im Organspende-Register, der Patientenverfügung oder mittels Organspendeausweis dagegen ausspricht. Liegt kein Widerspruch vor, können die Angehörigen entscheiden. Unzulässig soll eine Entnahme nur bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sein.

Der Zeitpunkt des CSU-Vorstoßes überrascht, weil erst im März dieses Jahres das Organspende-Register freigeschaltet wurde. Dort können alle Menschen festlegen, ob sie sich für oder gegen eine Organ- und Gewebespende wie zum Beispiel Herzklappen aussprechen. Der Eintrag ist freiwillig und kann jederzeit geändert werden. Das allein werde aber nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Situation führen, glaubt die CSU.

Vorstoß der CSU zähneknirschend mittragen

Die Freien Wähler tragen den Vorstoß des Koalitionspartners zwar zähneknirschend mit. Koalitionsregierungen müssen im Bundesrat mit einer Stimme sprechen. Menschen sollten aber ohne ausdrückliche Einwilligung nicht zu Organspendern werden, verlangt Florian Streibl im Gespräch mit der Staatszeitung. Die FW-Landtagsfraktion fordert stattdessen eine Erklärpflicht, bei der alle Menschen einmal im Leben aufgefordert werden, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden.

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) will aber an der Widerspruchslösung festhalten. „Zwar wären alle Menschen grundsätzlich Organspender, sie können dieser Regelung aber ja widersprechen.“ Bernhard Seidenath, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU, betont, dass alle bisherigen Maßnahmen zur Erhöhung der Spendebereitschaft den „Tod auf der Warteliste“ leider nicht eindämmen konnten.

Streibl meint, den Koalitionspartner trotzdem noch umstimmen zu können. „Schon oft hat die CSU zunächst vehement Widerstand geleistet, nur um später einzuknicken“, sagt der Fraktionschef. Denn von Angehörigen kurz nach einem Todesfall eine spontane Entscheidung pro oder contra Organspende zu verlangen, sei „lebensfern“.

Die bayerische Grünen-Chefin Gisela Sengl plädiert ebenso wie die CSU für die Widerspruchslösung. „So können schnell und effektiv mehr Spenderinnen und Spender gewonnen werden“, hofft sie. Die Abstimmung im Bundestag unterliegt aber keinem Fraktionszwang. Deswegen sei auch bei den Grünen offen, wie sie sich mehrheitlich positionieren.

Widerspruch auch aus der CSU

Der Medizinethiker Georg Marckmann von der Uni München nennt die Widerspruchslösung ethisch vertretbar, aber sinnlos. „International gibt es keinen Beleg, dass der Wechsel zu einer Widerspruchslösung mit einem erhöhten Aufkommen von Spenderorganen verbunden ist.“ Das Problem in Deutschland sei vielmehr, dass Organspenden von den Krankenhäusern nicht gemeldet würden. Marckmann plädiert für die Zulassung einer Organspende nach kontrolliertem Herz-Kreislauf-Stillstand wie in der Schweiz.

Die AfD im bayerischen Landtag spricht sich klar gegen eine Widerspruchslösung aus. „Das Nichtvorliegen eines Widerspruchs ist nicht hinreichend, um eine Organ-Entnahme zu erlauben“, findet Rene Dierkes, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion. Gerade bei einem so schwerwiegenden Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht. Um die Organspenden trotzdem zu erhöhen, schlägt er eine Erleichterung der Nierenlebendspende vor.

Umstrittenes Thema

Selbst in der CSU ist das Thema umstritten. Deren Münchner Bundestagsabgeordneter Stephan Pilsinger mahnte, die Lektion aus der Corona-Pandemie zu bedenken: Gravierende Einschnitte in die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte dürften nur aufgrund klarer wissenschaftlicher Erkenntnisse mit einem klaren Mehrwert für die Bevölkerung vorgenommen werden. Dies sei bei der Widerspruchslösung nicht der Fall.

Zu den Gründen, warum Menschen sich gegen eine Organspende entscheiden, zählt oft die Angst vor einer falschen Hirntoddiagnose. Diesen sicher festzustellen sei zwar möglich, versichert der Deutsche Ethikrat. Räumt aber ein, dass die Abgrenzung zu Bewusstlosigkeit, Wachkoma oder minimalem Bewusstsein „mitunter schwierig“ sein könne. Auch bei Kirchenleuten ist umstritten, ob hirntote Menschen für tot erklärt werden sollten.
(David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Rudi Seibt am 22.08.2024
    Endlich mal was Positives aus der CSU! Die Widerspruchlösung vervielfacht die verfügbaren Organe nur theoretisch sagen die Statistiker.
    Axel Rahmel, medizinischer Vorstand bei der DSO: "Zu glauben, dass man die Widerspruchslösung einführt und die Spenderzahlen dann explodieren, ist sicherlich zu kurz gegriffen", sagt er. "Aber man kann schon hoffen, dass die Einführung einer Widerspruchslösung einen Kulturwandel mit anstößt." Denn hohe Spenderaten seien vor allem eine Einstellungsfrage - in Spanien gebe es mit Blick auf Organspenden eine ganz andere Mentalität." Die Kultur bei uns: Egozentrik, möglichst wenig für die Gemeinschaft tun. Ich habe seit gefühlt immer schon einen Spenderausweis, weil es hier keine Widerspruchslösung gibt. Wieviel einfacher wäre die Welt, wenn die Ärzte keine Angst mehr haben müssen, wegen Spenderfreigabe verklagt zu werden. Die Kulturwende ist echt lahm.
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