Politik

Dass ukrainische Grundschulkinder in normalen Klassen unterrichtet werden, halten nicht alle Fachleute für sinnvoll. (Foto: dpa/Markus Schreiber)

04.08.2023

Ukrainische Kinder haben das Nachsehen

Wie steht es mit Zwergerln, die schon in der Kita kein Deutsch können? Ein Überblick

Ein „Sturm im Wasserglas“, wie der bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Matthias Fischbach sagt? Oder endlich ein Vorstoß in die richtige Richtung? Die Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), im nächsten Jahr verpflichtende Sprachtests für Schüler und Schülerinnen zu Schulbeginn einzuführen, hat für Wirbel gesorgt. Kein Wunder: Integration und Sprache hängen eng zusammen. Umso wichtiger ist es, dass die rund 32 Prozent der Schüler*innen in Bayern, die einen Migrationshintergrund haben, bestmöglich dabei unterstützt werden, Deutsch zu lernen.

Die Vorschläge Söders gehen allerdings nicht wesentlich über das hinaus, was ohnehin schon angeboten wird, weshalb Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) über die starken Wahlkampfworte des Ministerpräsidenten ein wenig verschnupft sein dürfte.

Wie gut die Kinder Deutsch sprechen, beurteilt zunächst das Kita-Personal. Bei der Schuleingangsuntersuchung guckt das Staatliche Gesundheitsamt drauf, bei der Schuleinschreibung im März sind die Grundschulen selbst gefragt.

Sollten Sprachdefizite erkannt werden, stehen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung: zunächst der freiwillige „Vorkurs Deutsch 240“ für Kindergartenkinder in den letzten beiden Jahren vor der Einschulung mit 120 Stunden pro Jahr. Gilt ein Kind aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse als nicht schulfähig, wird es zurückgestellt und verbringt ein weiteres Jahr im Kindergarten. Der Besuch eines Vorkurses ist dann schon heute Pflicht.

Weitere Angebote gibt es für Schulkinder mit Sprachdefiziten: Sie können zusätzlich zum Regelunterricht an einem Deutsch-Plus-Kurs von bis zu vier oder einem Differenzierungsangebot von bis zu zwölf Wochenstunden teilnehmen. Neu zugewanderte Schüler*innen mit großem Förderbedarf werden meist erst mal ein- bis maximal zwei Jahre lang in Deutschklassen unterrichtet, mit zehn Wochenstunden Deutsch als Fremdsprache und sprachsensiblem Unterricht in allen anderen Fächern.

Ein Problem: Eltern, die kein Deutsch können

Insgesamt 3500 Vorkurse hat der Freistaat im vergangenen Schuljahr für 33 000 Kinder eingerichtet. Das Kultusministerium betont: „Im Schuljahr 2022/23 kamen alle geplanten Vorkurse zustande, zwischenzeitliche krankheitsbedingte Ausfälle oder vereinzeltes Nichtzustandekommen wegen zu geringer Schülerzahl ausgenommen.“ Auch im nächsten Schuljahr sei die Versorgung mit Sprachförderbedarf sichergestellt.

Alles in Butter also? Nicht ganz. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) kritisiert, die Vorkurse seien zu voll und „reihenweise“ abgesagt worden. Grund hierfür ist der Mangel an Lehrkräften. Auch Matthias Fischbach zweifelt daran, ob wegen fehlender Fachkräfte das Angebot an Vorkursen in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht.

Aus wissenschaftlicher Sicht äußert sich der Augsburger Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer zu Sinn und Nutzen verpflichtender Sprachtests. „Testen ist immer gut. Denn so weiß man, wo die Lernenden stehen. Viel entscheidender ist allerdings, was man mit so einer Testung macht.“ Er zitiert ein altes Sprichwort: „Allein durchs Wiegen wird die Sau nicht fett.“ Vor allem die Zeit, die Kinder außerhalb der Schule verbringen, sei relevant. „Der Kampf der Schule gegen ein außerschulisches Umfeld, in dem Deutsch keine Rolle spielt, ist ein Kampf gegen Windmühlen“, erklärt er. „Man muss die Eltern unterstützen und auch in die Pflicht nehmen, sie sind entscheidend für den Bildungserfolg ihrer Kinder.“

Experte: "Nur drinsitzen und aufsaugen reicht nicht"

Die einst in Verruf geratene Berliner Rütli-Schule ist aus Sicht des Bildungsforschers ein glänzendes Vorbild: Informelle Einladungen zum Frühstück, gemeinsame Gespräche, Deutschkurse auch für Eltern bringen dort die Integration voran. „Ein gegenseitiges, respektvolles Geben und Nehmen ist die Voraussetzung von Integration. Integration heißt, mit Gleichaltrigen in Berührung kommen, die Sprache im Alltag nutzen.“

Ein schlechtes Zeugnis stellt er der Integration der Kinder aus der Ukraine aus. In einem sogenannten Sprachbad werden ukrainische Grundschulkinder bewusst in normalen Klassen unterrichtet. Das klingt zwar gut. Aber: „Ein Sprachbad ist mehr Wunsch als Wirklichkeit“, so Zierer. „Nur drinsitzen und aufsaugen: Das reicht nicht. Es funktioniert nur, wenn die Kinder in der Klassengemeinschaft ankommen, die Mehrheit Deutsch spricht und eine vertrauensvolle, fördernde Lernatmosphäre herrscht.“ Falsch sei es gewesen, die Leistungsvoraussetzungen der Kinder aus der Ukraine nicht systematisch zu erheben.

Außerdem kritisiert Zierer das Fehlen von Konzepten für ihre Unterstützung und Förderung, für Erlebnispädagogik, Elternarbeit und Klassenzusammenhalt. Ein besonderes Problem sind in dieser Hinsicht Jahr für Jahr die Sommerferien. „In den Sommerferien tauchen viele Kinder vollkommen in ihre Herkunftskultur ein“, so Zierer. „Aus Studien wissen wir, dass bildungsferneren Schülern und Schülerinnen in den Schulferien bis zu einem halben Schuljahr an Stoff verloren geht.“

Den Verlust aufhalten könnten Sommerschulen, wie man sie in der Pandemie zwar eingeführt, aber nicht verstetigt hat. Möglicherweise ein Plan für die Zukunft. (Monika Goetsch)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sind Landesgartenschauen sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.