Politik

15.11.2019

Umstrittene Globuli-Studie: Deplatzierte Hysterie

Ein Kommentar von Waltraud Taschner

Zu den Vokabeln, die den Empörungsturbo zuverlässig in die Höhe treiben, zählt: Homöopathie. Schulmediziner und Fortschrittsgläubige aller Couleur sehen hier ebenso rot wie die wachsende Zahl der Social-Media-Wutbürger, die bei jedwedem Reizwort dankbar in den Hassmodus schalten. Gerade ist es mal wieder so weit. Der Landtag wolle Riesensummen für eine Homöopathie-Studie ausgeben, kreischt das Netz – befeuert von SPD, FDP und AfD. Ungeheuerlicherweise solle untersucht werden, ob Globuli Antibiotika ersetzen können. Eine groteske Verzerrung der Realität.

Tatsächlich will die schwarz-orange Regierungskoalition, unterstützt von den Grünen, herausfinden, wie der Einsatz von Antibiotika generell reduziert werden kann: vor dem Hintergrund des inflationären Antibiotika-Einsatzes und der bedrohlich wachsenden Zunahme lebensgefährlicher Resistenzen gegen die Medikamente ein sinnvoller Plan. Ein Mini-Aspekt der geplanten Studie soll sein, ob „ergänzend verabreichte“ Globuli hilfreich sein können. Wo ist bitte das Problem?

Die Gesundheitspolitiker aller Parteien dürfen sich gern um die echten Probleme kümmern

Irritierend ist vor allem das Geplärr der Gesundheitspolitiker. Schließlich sind diese über die Details der geplanten Studie sehr wohl im Bild, nutzen aber gern die Chance, sich mal schnell mit der beträchtlichen Zahl von Globuli-Gegnern in der Bevölkerung zu verbrüdern.

Ärgerlich ist darüber hinaus, dass vergleichbarer Aufruhr ausbleibt, wenn es um den fragwürdigen Nutzen anderer Therapieformen geht. Beispiel Rückenschmerz: Jeder Orthopäde wird bestätigen, dass teure Massagen hier nur kurzfristig Linderung schaffen. Während Gymnastik und Co nichts kosten, aber viel helfen. Doch welcher Gesundheitspolitiker will es sich schon mit der Physiotherapeuten-Zunft verscherzen. Von Millionen Schmerzgeplagten zu schweigen, die nichts mehr verabscheuen, als sich mittels Sport aus ihrer Komfortzone zu bewegen. Die Liste vermeidbarer und teurer Unsinnstherapien ist lang: Statt Cholesterin- und Harnsäuresenker zu schlucken, hilft vielfach eine Ernährungsumstellung – oder weniger Alkohol. Auch das ein Rat, den Politiker, die wiedergewählt werden wollen, eher nicht erteilen. Die Gesundheitspolitik voranbringen wird derlei Kalkül ebenso wenig wie wohlfeiles Gebell um vergleichsweise billige Globuli.

Kommentare (11)

  1. Ulfo am 03.12.2019
    Leider handelt es sich bei der epidemischen Homöopathieschelte nicht um Hysterie, sondern mittlerweile um Demagogie. In der Kampagne kommen immer wieder nur die gleichen, selbsternannten "Experten" und ihr mediales Fußvolk zu Wort, teilweise jahrzehntelang praxiserfahrenen (Fach-)Ärzte*innen aber nur ausnahmsweise und die Patient*innen so gut wie nie. Statistik und Studien können Erfahrungen von kranken Menschen und ihren Arzt*innen nicht ersetzen, nie! Patientenschutz ist richtig und wichtig, im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und resultierende Todesfälle potentiell wirksame Therapieergänzungen kategorisch ausschließen zu wollen ist zynisch und menschenverachtend. Darf nach Ansicht der Homöopathiekritiker zukünftig nur das in Studien erforscht werden, was a priori bereits bekannt und gesichert ist? Wo bitte bleiben wissenschaftlicher Ernst und Neugier? Die Kampagne richtet sich nicht nur gegen die Homöopathie, sondern am Ende auch gegen die Freiheit der Wissenschaft. Danke jedenfalls für den erfreulich differenzierten und unaufgeregten Kommentar!
  2. Heinrich Hümmer am 03.12.2019
    Vielen Dank Frau Taschner für den polemikfreien Kommentar.
    Als Ergänzung:
    DIE FAKTEN ZUR HOMÖOPATHIE-DISKUSSION:

    •Die Homöopathie schadet niemandem (bei verantwortlicher Anwendung und mit Blick auf ihre Grenzen)

    •80% der Bevölkerung spricht sich für den Erhalt der Therapievielfalt einschließlich Homöopathie aus

    •Sie hilft sehr vielen Menschen und dies offensichtlich laut überwiegender Anzahl der Metaanalysen auch über Placebo-Effekt hinaus (Conclusions wörtlich!)

    •Die Evidenz ist nicht schlechter als die von Therapien der sog. wissenschaftlichen Medizin (laut Cochrane-Analysen)

    •Ebenso wie die Studienlage der sog. wissenschaftlichen Medizin verbesserungswürdig ist, wird auch die Homöopathie noch eine eindeutigere Evidenz nachweisen müssen

    •Wo und wie die homöopathische Wirkung ansetzt wissen wir (noch) nicht wirklich (Genexpression?)

    •Das Prinzip der Wirkung potenzierter Substanzen erscheint (bisher) noch unplausibel

    •Die Homöopathie kostet einen Bruchteil anderer Therapien

    •Möglicherweise kann sie zur Einsparung von Antibiotika beitragen.

    WARUM wird sie also wie die Hebammen des Mittelalters (die „zu viel“ wussten!) zum Scheiterhaufen getrieben?

    Nachdem sich also definitiv --KEINE RATIONALEN -- ARGUMENTE GEGEN die HOMÖOPATHIE anführen lassen, was ist das wirklich Bedrohliche an ihr?

    https://homoeopathiewirkt.wordpress.com/2019/10/14/homoopathie-unethisch-oder-einfach-nur-unheimlich/
  3. Joseph Kuhn am 20.11.2019
    @ Gast:

    "Die Schweiz hat über 5 Jahre die Homöopathie im Vergleich zur Allopathie bei unterschiedlichen Erkrankungen landesweit getestet"

    Könnten Sie dazu freundlicherweise eine Quelle angeben?
  4. Gast am 20.11.2019
    Die Schweiz hat über 5 Jahre die Homöopathie im Vergleich zur Allopathie bei unterschiedlichen Erkrankungen landesweit getestet und festgestellt, dass sie mindestens gleich gut hilft, nebenwirkungsfrei ist und deutlich günstiger. Die Gesundheitsbeiträge dürften demnach anders als bei uns günstiger bleiben/werden.
  5. Elvira am 18.11.2019
    Gutes Video (aus Schweden / Untertitel Deutsch) zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=B7ZvvzY6DgA
  6. Das schau her... am 18.11.2019
    Es ist schon interessant, wie immer wieder - sobald es um Homöopathie geht - das Totschlagargument "wissenschaftlich als unwirksam bewiesen" hervorgeholt wird. Dabei, bewiesen ist das nur, wenn man sich die Beweisen recht selektiv heraussucht. Im Gegenteil, die "Beweislage" ist hier alles andere als eindeutig. Eine interessante Analyse (ursprünglich bezogen auf den Antrag der "grünen Jungen") hat die Uni Witten/Herdecke veröffentlicht. Man könnte diese sogar lesen (außer, am behält lieber seine Vorurteile). https://www.bph-online.de/gruene-anti-homoeopathie-antrag-haelt-einer-wissenschaftlichen-betrachtung-nicht-stand/
  7. Christine am 18.11.2019
    Hocherfreulich, dass hier mal ganz klare echte Fakten dargestellt werden und aufgedeckt wird welche Machenschaften naturheilkundliche Verfahren und deren Anwender diskreditieren sollen.
    Die Medizin ist ein sehr weites Feld. Zum Wohle des Patienten macht es absolut Sinn Synergien zu finden und das Beste für das jeweilige Individuum aus mehreren Bereichen zusammen zu stellen. Die moderne Schulmedizin ist in vielerlei Hinsicht ebenso ein Segen, wie die seit Jahrtausenden gelebte Erfahrungsmedizin. Die Erfahrung, dass etwas in der Praxis funktioniert, auch wenn vielleicht nicht auf Anhieb erklärbar, zählt hier mindestens genauso viel, wie im Labor wissenschaftlich nachweisbare Phänomene.
    Wenn Ärzte und Heilpraktiker jeweils ihren besten Job machen und dabei jeweils die Stärken des anderen anerkennen, hat der Patient ein starkes Team für seine Gesundheit hinter sich!
    Danke für diesen Artikel und die damit verbundene Aufklärung!
  8. Olaf am 18.11.2019
    Ich bin dankbar für diese offene Haltung, auch gegenüber alternativen Heilmethoden, die aus dem Gesundheitssystem einfach nicht wegzudenken sind. Gleiches gilt für Heilpraktiker, denn sie sind die hauptsächlichen Vertreter der altbewährten Therapien und Bewahrer von Traditionen, die natürlich mit modernen Verfahren verbunden gehören. Wo deren jeweilige Stärken und Schwächen liegen, ist in erster Linie eine therapeutische Erfahrung, die Evidenz schlechthin.
    Ob und wie man den Antibiotikaeinsatz reduzieren kann, gehört zu den wesentlichen Themen - dies will eben erforscht sein und da darf man keine skeptischen Scheuklappen aufsetzen.
    Alternativen sind aber auch Aromatherapie, Phytotherapie und eine allg. Resistenzsteigerung durch eine gesunde Lebensweise (Kneipp lässt grüßen) - ob Homöopathie hilfreich sein kann? Ich habe in über 30 Jahren Praxis zahlreiche verblüffende Phänomene in dieser Richtung erlebt.
  9. Dodo am 15.11.2019
    Endliche mal eine andere Meinung und ein guter Blick auf die Absichten der Politiker.
    Die Autorin hat recht, und stellt die richtigen Fragen, Übrigens wird gerade in Bayer in weiten Landstrichen die Kühe homöopathisch behandelt um Antibiotika einzusparen... Das ist doch bemerkenswert. Sonst hätten wir den ganzen Medikamentencocktail in der Milch. Leider ist es so, ohne eine homöopathische Erfahrung , die einem Menschen die Augen öffnet, tut sich nichts, und solange wird immer wieder das Gleiche gefaselt... Man kann aber nur Entwicklungen machen, indem man Erfahrungen macht. wenn Abermillionen Patienten Medikamentenrückstände ins Wasser ausscheiden, dass wir nicht mehr sauber bekommen, bei zunehmender Antibiotkaresistenz, bekommen wir eine KATASTROPHE...
  10. Uwe In am 15.11.2019
    Das Problem ist zum Beispiel da, dass bei dem Antragspaket mit dem Ziel der Reduktion des Einsatzes von Antibiotika ein wichtiges Thema angegriffen wird, bei dem Esoterik nichts verloren hat. Tatsächlich ist es nur ein Teilaspekt des Beschlusses, aber gerade weil das Thema Homöopathie gerade einigermaßen hoch in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, darf man es nicht peanutisieren, wie es Herr Spahn getan hat und wie Sie es gerade versuchen.

    Aus wissenschaftlicher Sicht ist Homöopathie genauso unwirksam wie der Klimawandel auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist. Deshalb darf sich die Politik nicht herausnehmen, entgegen dieses anerkannten Wissensstandes per Forschungsgeldzusage Bonbons an die Globuligläubigen (ist gleich Pharmalobby!) zu verteilen.

    Wer sich an wissenschaftlicher Evidenz orientiert, dem sind auch unwirksame Methoden bei der Physiotherapie ein Dorn im Auge. Auch hier gibt es Gruppen, die eine richtige Einordnung der verschiedenen Richtungen anstreben (z.B.: https://physiomeetsscience.com). Auch hier gibt es einiges zu tun, aber das kommt in dem betroffenen Antrag eben gerade nicht vor.

    Trotzdem darf man eine erwiesenermaßen wirkungslose Methode nicht dadurch adeln, dass man sie in einem Forschungsprojekt mit echter wissenschaftlicher Forschung auf eine Stufe hebt.

    P.S. zum Begriff "Schulmediziner" sehen Sie sich vielleicht mal diesen Artikel an: https://www.derstandard.at/story/2000109455158/wie-viel-nazi-ideologie-steckt-im-begriff-schulmedizin
  11. Joseph Kuhn am 15.11.2019
    Was für ein Framing: "Schulmediziner ... Fortschrittsgläubige ... Social-Media-Wutbürger ... Hassmodus".

    In dem fraglichen Antrag (Drucksache18/3320) ist die Homöopathie übrigens kein "Miniaspekt". Es heißt vielmehr: "Dabei soll auch und insbesondere die Rolle alternativmedizinischer Methoden in den Blick genommen werden". Gegen die anderen in der gleichen Landtagssitzung beschlossenen Anträge zur Antibiotika-Reduktion hat niemand etwas.
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