In gewisser Hinsicht hat Markus Söder Recht behalten - wenn auch aus nicht ansatzweise absehbaren Gründen. Als der bayerische Regierungschef im Oktober 2019 den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) antritt, betont er, wie wichtig eine Debatte über das Verhältnis von Bund und Ländern ist. "Es wäre ein wichtiges Signal, wenn wir die Diskussion über eine Reform des Föderalismus wieder beleben", sagt der CSU-Chef und räumt sogleich ein: "Das Ganze ist ein längerer Prozess - das wird nicht in einem Jahr abgeschlossen sein." Nachdem der Vorsitz zum 1. Oktober an das Land Berlin übergegangen ist, muss man konstatieren, dass diese Frage zwar nicht gelöst ist, aber das Problem noch nie so greifbar war.
Ein Jahr ist seither vergangen, ein Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland durchgeschüttelt wurde, wie wohl nie zuvor in ihrer etwas mehr als 70-jährigen Geschichte. Und mehr noch - wohl nie war bisher so klar für jeden Bürger erkennbar und spürbar, wo die Kompetenzen des Bundes enden und wo die Länder das Sagen haben. Der Grund dafür heißt jetzt aber nicht etwa Markus Söder oder Föderalismusreform, sondern Sars-CoV-2. Seit das Virus auch in Deutschland grassiert, ist quasi nichts mehr wie es war, auch politisch.
"Die MPK fand unter Corona-Sonderbedingungen statt. Es war nie so herausfordernd für die Länder, sich mit dem Bund abzustimmen und eine einheitliche Linie zu finden", sagt Söder rückblickend auf die vergangenen zwölf Monate. Dies wird sicher niemand bestreiten. Treffen sich die Ministerpräsidenten in normalen Jahren vier Mal zu ihren Konferenzen, kommen selbst Teilnehmer bei den Treffen seit Ausbruch der Corona-Krise nicht mehr mit dem Zählen hinterher.
"Noch nie haben Konferenzen von Ministerpräsidenten so lange gedauert wie jetzt in Corona-Zeiten - und es wurde wohl noch nie so kontrovers diskutiert, auch jenseits aller Parteilinien. Jedes Land hat seine Sichtweise eingebracht. Am Ende sind wir aber immer zu guten Ergebnissen gekommen", fasst Söder seine Sicht zusammen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die MPK auch nie so weitreichende Entscheidungen über Freiheitseinschränkungen treffen musste.
Oft gingen die Ansichten über Maßnahmen weit auseinander
Dass dieses Fazit im Oktober 2020 recht stabil dasteht, ist auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geschuldet. Sie war es, die trotz fehlender Kompetenzen des Bundes im Infektionsschutz die Länder am Ende irgendwie unter einen Hut bekommen musste. Gerade zu Beginn der Krise im Frühjahr gingen die Ansichten der Länder - etwa zu Ausgangsbeschränkungen oder Maskenpflicht weit auseinander und erzeugten einen Flickenteppich der Gebote und Verbote.
Wenn man so will, ist die Corona-Allianz der Lockerungsbremser Söder und Merkel im Rückblick sicher ein positiver Nebeneffekt der Krise, das Verhältnis der beiden war nie so gut und die Zusammenarbeit so vertrauensvoll. Und noch etwas muss erwähnt werden: Bundesweit ist das Ansehen Söders - auch wegen der vielen gemeinsamen Auftritte der beiden nach den Konferenzen - in der Zeit so weit gestiegen, dass er sogar außerhalb Bayerns oft als Merkels Nachfolger gehandelt wird.
Dementsprechend fällt auch das Fazit des nach eigenen Angaben überzeugten Föderalisten Söders nun auch differenzierter aus: "An einigen Stellen wie dem Infektionsschutz kann es sinnvoll sein, dass der Bund mehr Kompetenzen bekommt", sagt der Mann, der vor einem Jahr noch sagte, die Länder brauchten mehr Eigenständigkeit. Dabei, und auch das gehört zur Wahrheit in der Corona-Krise, war es auch nicht selten Söder selbst, der wegen der hohen Infektionszahlen in Bayern nicht erst auf Beschlüsse der MPK wartete. Etwa mit den Schulschließungen Mitte März schuf er vorab alleine Fakten, die dann die anderen Länderchefs unter Zugzwang setzten.
Wegen Alleingängen war die Stimmung immer wieder angespannt
Immer wieder war wegen Alleingängen die Stimmung in der MPK angespannt. Söders Fazit fällt aber dennoch seit Wochen sehr versöhnlich aus: Jeder Regierungschef habe sein Bestes gegeben, um die Pandemie zu bekämpfen, sagt Söder gerne. Gleichermaßen werden die Bayern (wie andere Länder) nicht müde, zu betonen, bei welcher Entscheidung sie Taktgeber waren. Obwohl Söders Freistaat nach wie vor zu den meist betroffenen Bundesländern zählt, nimmt er die Bewertung auch für sich in Anspruch: "Unterm Strich haben wir Bayern gut beschützt und zusammen Deutschland gut durch die Krise geführt."
Und die im Schein der schillernden Auftaktkonferenz von Söders MPK-Vorsitz im Luxus-Schloss Elmau samt Gruppenbild auf der berühmten Holzbank von Barack Obama geforderte Föderalismusreform? Auch im Schatten der Krise ist sich Söder sicher, dass hier noch viel Arbeit auf die Länder wartet: "Föderalismus bleibt eine Dauerbaustelle", sagt er und erinnert an den bei seinen Amtskollegen nicht mehrheitsfähigen "Föderalismus der zwei Geschwindigkeiten". Es gebe Länder, die aus eigener Kraft stärker entscheiden könnten und andere, die sich schon aufgrund der finanziellen Möglichkeiten schwerer täten. "Man muss immer überprüfen, wo es Sinn macht, mehr regional zu entscheiden - oder ob es bundesweite Vorgaben braucht."(Marco Hadem und Christoph Trost, dpa)
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