In der Theorie ist die Sache klar. Sie ist geregelt in Artikel 56 Absatz 5 des bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes (BayEUG): „Im Schulgebäude und auf dem Schulgelände sind Mobilfunktelefone und sonstige digitale Speichermedien, die nicht zu Unterrichtszwecken verwendet werden, auszuschalten. Die unterrichtende oder die außerhalb des Unterrichts Aufsicht führende Lehrkraft kann Ausnahmen gestatten.“ Aber wie das bei Gesetzestexten oft so ist, bleibt ihre praktische Ausgestaltung auslegungsfähig. Die einen sehen im Artikel 56 ein strenges Handyverbot an Schulen, die anderen Spielraum für die sinnvolle Nutzung der Geräte.
Schon eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis zeigt die Spannbreite auf. An der einen Schule herrscht ein striktes Nutzungsverbot, an der anderen darf man in den Pausen die Smartphones zücken, in wieder anderen gibt es spezielle Handy-Bereiche, in der nächsten ist die Nutzung ab einer bestimmten Jahrgangsstufe zu bestimmten Zeiten gestattet. Manche Lehrer drücken die Augen zu, für andere scheint es geradezu ein Sport zu sein, die Geräte bei verbotswidriger Nutzung zeitweise zu konfiszieren, wie es das BayEUG empfiehlt. Eine klare Linie sieht anders aus, und die Ausnahmeregelungen an so mancher Schule sind vom Wortlaut des Gesetzes kaum gedeckt.
Eine Ursache für die verworrene Lage liegt im Alter und in der Entstehungsgeschichte des BayEUG-Artikels. Der stammt aus dem Jahr 2006, als die Staatsregierung auf das neue Phänomen reagierte, dass Schüler mit ihren nun internetfähigen Handys reale Mobbing- und Prügel-Videos an Schulen drehten und in die aufkommenden sozialen Netzwerke stellten. „Happy Slapping“ hieß das damals, die Opfer standen wehrlos am digitalen Pranger. Das Handy in Schülerhand galt seinerzeit als etwas Böses, diesen Geist haucht das Gesetz bis heute. Obwohl sich im Laufe der Jahre der Anwendungsbereich der Geräte massiv ausgeweitet und die Nutzung Alltag ist.
Unsinnig: Digitalisierung der Schulen ohne Endgerät
Als nun die neue Direktorin eines Gymnasiums in Unterfranken die bisher liberale Handhabung an ihrer Schule kassierte und unter Berufung auf das BayEUG ein Handy-Verbot aussprach, meldeten sich einmütig der bayerische Elternverband (BEV) und der Landesschülerrat zu Wort. Bei aller Notwendigkeit einer Nutzungsregelung seien die aktuellen Vorgaben des BayEUG „aus unserer Sicht nicht befriedigend, nicht demokratisch und nicht transparent“, erklärte BEV-Landeschef Martin Löwe. Sie bürde zum einen der einzelnen Lehrkraft eine enorme Verantwortung auf, zum anderen entstehe der Eindruck, bayerische Schulen verschlössen sich der technischen Entwicklung. Es müssten Möglichkeiten geschaffen werden, die Geräte in der Schule „gewinnbringend zu nutzen“.
Der BEV hat sich deshalb mit einer Petition an den Landtag gewandt. Er spricht sich dafür aus, dass die einzelne Schule ermächtigt wird, Ausnahmen vom grundsätzlichen Nutzungsverbot festzulegen. Dies sollten Lehrerkonferenz sowie Eltern- und Schülervertretungen im Einvernehmen tun. Susanne Arndt, Vorsitzende der Landeselternvereinigung der Gymnasien, betonte ergänzend, die Mediennutzung an den Schulen müsse „eindeutig pädagogischen Grundsätzen folgen“. Dazu brauche es je nach Schulart und -standort individuelle Leitplanken. Allerdings stellte sie auch klar, dass ihre Elternvertretung die Öffnung der Schulen hin zu einer „beliebigen privaten Nutzung digitaler Medien“ ablehne.
Genauso sieht das der Landesschülerrat. Auch er ist gegen eine völlige Handyfreigabe, sieht aber die Notwendigkeit für von der ganzen Schulfamilie entwickelte und mitgetragene Nutzungsregeln. „So kann jede Schule ein eigenes Konzept ausarbeiten, welches perfekt auf die digitale Struktur der jeweiligen Bildungseinrichtung zugeschnitten ist“, heißt es in einem aktuellen Positionspapier der Schülervertretung. Für die Ausnahmen vom Verbot müsse die uneingeschränkte Entscheidungshoheit bei den Schulgremien liegen. Das fordern auch die Lehrerverbände. So würde zum Beispiel Michael Schwägerl, Vorsitzender des Philologenverbandes, den Schulen gerne das Recht einräumen, eigenverantwortlich Konzepte für die Mediennutzung zu entwickeln. Die gegenwärtige Regelung im BayEUG empfindet er als zu starr.
Weil das so ist, sprechen sich die Lehrer- und Elternvertreter für eine Integration der Smartphones in den Unterricht aus. Ein moderner und hochwertiger Unterricht erfordere, die Geräte als „wertvolle Hilfe“ zu verwenden, ist sich der BEV-Vorsitzende Löwe sicher. Positiver Nebeneffekt könne sein, dass die Smartphones von den Kindern und Jugendlichen nicht nur als „unwiderstehliches Spielzeug“ wahrgenommen würden. Zur Medienkompetenz gehöre eben auch, den sinnvollen Umgang mit i-Phone und Co. zu erlernen.
Durch solche Stellungnahmen aus der Schulfamilie ist auch Bewegung in die offizielle Linie des Kultusministeriums gekommen. Hieß es anfangs, das BayEUG beinhalte kein Handy-Verbot und erlaube den Einsatz im pädagogischen Rahmen, sieht Minister Ludwig Spaenle nun Diskussionsbedarf mit allen Beteiligten. „Das werden wir – wahrscheinlich im neuen Jahr – mit einem klassischen runden Tisch tun“, ließ er kürzlich wissen und auch durchblicken, wohin für ihn die Reise gehen soll. Schulen seien „geschützte Räume, in denen Kinder den reflektierten Umgang mit Handys lernen sollen“.
Die Opposition im Landtag hat sich bereits auf die Seite der Verbände gestellt. Fast wortgleich fordern SPD, Grüne und Freie Wähler, das BayEUG zu ändern und die Ausarbeitung der Nutzungsrichtlinien den jeweiligen Schulgremien zu überlassen. Um die digitale Spaltung in der Schülerschaft zu verhindern, haben die Grünen beantragt, die Schulen bei der Anschaffung eines Gerätepools für jene Schüler zu unterstützen, die über keine Smartphones oder Tablets verfügen. Die Digitalisierung der Schulen ohne digitale Endgeräte voranzutreiben, wäre in der Tat ein moderner Schildbürgerstreich.
(Jürgen Umlauft)
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