Für Hans Seidel (Name geändert) ist es immer gut, wenn es im Tagestreff der Nürnberger Straßenambulanz Eintopf gibt. Oder Suppe. Das kann er essen. Seidel ist erst um die 50. Aber er hat gerade noch fünf Zähne im Mund. Sich um seine Zähne zu kümmern, war ihm nie richtig möglich gewesen. „Hans ist wohnungslos“, erklärt Einrichtungsleiter Roland Stubenvoll. Seit vielen Jahren lebt er in Armut. Was man seinem Gebiss ansieht.
Mehr als 1000 Obdachlose, sozial Bedürftige und Wohnungslose wenden sich jedes Jahr an die Straßenambulanz Franz von Assisi der Caritas in Nürnberg. „Zahngesundheit ist bei uns seit jeher ein Thema“, sagt Roland Stubenvoll anlässlich des Tages der Zahngesundheit am 25. September. Von den jährlich 1000 Klient*innen haben mindestens 200 Probleme mit ihren Zähnen. Und vor allem damit, die Zähne behandeln zu lassen. Gerade Zahnersatz ist inzwischen sehr teuer. Selbst für Menschen, die normal verdienen, ist er mitunter kaum noch erschwinglich.
Stubenvoll kritisiert das „Vier-Klassen-System“ in Deutschland. Richtig gut versorgt würden eigentlich nur noch Privatversicherte. Gesetzlich Versicherte profitierten zwar auch vom insgesamt guten Gesundheitssystem in Deutschland. Allerdings nur dann, wenn es ihnen möglich ist, die Zusatzzahlungen aufzubringen. Immer mehr schafften das nicht. Sie rutschen dann in die „dritte Klasse“. In der „vierten Klasse“ tummeln sich Menschen ohne Versicherungsschutz. Darunter sind Arbeitslose, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht zum Jobcenter gehen, um Leistungen zu beantragen.
Implantate sind oft ein unerschwinglicher Luxus
Die Straßenambulanz kann, wenn es um Zahngesundheit geht, nur bei Zahnschmerzen helfen. Inzwischen wurde ein Netzwerk an Zahnärzten aufgebaut, die zum Teil ganz ohne Zuschuss behandeln. Der Zahnstatus jener Patient*innen, die sich mit einer dicken Backe an Roland Stubenvoll und sein Team wenden, ist meist so miserabel, dass schmerzende Zähne nicht gerettet werden können. Sie müssen gezogen werden.
Bürgergeldempfänger, die Zahnersatz brauchen, können sich als Härtefall an ihre Krankenkasse wenden. Die Kosten würden allerdings nur dann übernommen, wenn keine Beitragsschulden bei der Kasse aufgelaufen sind. „Ist der Versicherte im Rückstand, muss er erst die Schulden begleichen, bevor Behandlungskosten übernommen werden“, verdeutlicht Stubenvoll. Besonders fatal ist es für junge Menschen, ein löcheriges Gebiss zu haben. Zum Beispiel als Folge von Drogenkonsum. „Wir haben junge Leute, die bereits eine Vollprothese bräuchten“, sagt der Sozialarbeiter. Schon mit unter 40 haben sie nur noch sehr wenige, sehr schlechte Zähne.
Den Satz, dass man Armut oder Reichtum häufig am Gebiss erkennt, kann Guido Oster, Zahnarzt aus Euerbach im Landkreis Schweinfurt, bestätigen. „Es gibt vor allem einen Zusammenhang zwischen dem sozialen Status und der Zahngesundheit von Kindern“, sagt er. Haben Eltern keine gepflegten Zähne, legten sie darauf auch bei ihren Kindern nicht viel Wert.
Oster, der auch Vorsitzender des Zahnärztlichen Bezirksverbands Unterfranken ist, hat es etwa alle zwei Wochen mit armen Patient*innen in seiner Praxis zu tun. Schmerzen zu beseitigen, sagt er, sei immer möglich. In vielen Fällen schafft er es auch, Menschen mit sehr schlechten Zähnen durch eine Notprothese, wie er es nennt, „sozial zu rehabilitieren“. Bei Zahnersatz, sagt Oster, gingen 70 Prozent für Material- und Laborkosten drauf. Zahnersatz ist also nicht deshalb so teuer, weil Zahnärzte absahnen wollen.
Die hohen Kosten für Implantate, Teil- oder Vollprothesen schocken auch Menschen mit ganz normalem Einkommen. Braucht jemand Zahnersatz, klärt Guido Oster über alle nur denkbaren Varianten auf. Hören die Leute, was die nach ihrer eigenen Ansicht beste Alternative kostet, zucken sie oft zusammen. „Was sie gerne hätten, geht finanziell nicht“, sagt Oster. Wobei er feststellt: Immer mehr Menschen haben eine Zahnzusatzversicherung. Was die übernimmt, variiert jedoch. Und: Nicht alle Patienten können sich eine Zusatzversicherung leisten.
„Das medizinisch Optimale im Bereich Zahnprothetik ist von der Solidargemeinschaft nicht zu finanzieren“, ergänzt Zahnarzt Frank Wohl. Der Dentist aus dem oberpfälzischen Grafenwöhr steht seit 2022 an der Spitze der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK). Er unterstreicht, dass Zahnerkrankungen vermeidbar sind. „Ein sauberer Zahn erkrankt zu 100 Prozent nicht an Karies“, so der BLZK-Präsident.
Nun kann sich nicht mehr jeder selbst um seine Mundhygiene kümmern. Pflegebedürftige Menschen können dies nicht mehr. Wegen der Überlastung des Personals sei es in Pflegeheimen um die Mundhygiene der Alten oft nicht gut bestellt. Aber auch in der häuslichen Pflege liege einiges im Argen. Bis ins Alter erhaltene Zähne würden dadurch geschädigt. (Pat Christ)
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