Politik

Diesel raus – auch in München könnten Fahrverbote kommen. Verhindern kann man das, indem Dieselfahrzeuge nachgerüstet werden. (Foto: dpa)

02.03.2018

Unselige Bevorzugung der Autobauer

Das aktuelle Diesel-Urteil macht klar, dass sich die unselige Mesalliance von Staat und Autobauern nicht halten lässt

Das war zu erwarten: Städte, in denen die EU-Grenzwerte für Stickoxide in der Luft nicht eingehalten werden, können für ältere Diesel-Fahrzeuge Fahrverbote erlassen. So urteilte jetzt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die Strategie des Wegduckens der Bundesregierung ist damit krachend gescheitert.

Jetzt haben erst einmal die Kommunen den Schwarzen Peter. In Bayern haben bisher alle betont, Restriktionen vermeiden zu wollen. Damit kein unübersichtlicher Flickenteppich entsteht, ist der Freistaat gefordert, schnell eine Lösung zu erarbeiten. Denn einzelne Straßen wie die Landshuter Allee in München für alte Diesel-Stinker zu sperren, ist zwar ein probates Mittel. In der Wirkung aber verheerend. Im Verbotsfall würden sich die Autos einfach durch die angrenzenden Wohngebiete quälen – für die Luftqualität bringt das gar nix.

Allerdings sind streckenbezogene Verbote von der Polizei einfacher zu kontrollieren als große Innenstadtareale. In der Praxis würden aber immense Staus entstehen, denn jeder müsste seine Fahrzeugpapiere vorzeigen, damit festgestellt werden kann, ob das jeweilige Auto einfahrberechtigt ist oder nicht.

Um den ÖPNV auszubauen, ist Geld nötig - sehr viel Geld

Der Bund, allen voran der geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU), will „mit der Vielfalt der Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben“, Fahrverbote vermeiden. Vor allem die Milliarde Euro, um Kommunen bei der Anschaffung von E-Autos und E-Bussen zu unterstützen, sieht er als wichtigen Schritt. Doch diese eine Milliarde ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Mittel müssten drastisch aufgestockt werden, um allen 70 Städten, in denen die Luftqualität nicht den EU-Vorgaben entspricht, zu helfen. Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für das Sofortprogramm „Saubere Luft“ und Alt-OB von Erlangen, Siegfried Balleis (CSU), sagt: „Nötig ist eine Milliarde Euro pro Jahr – für die nächsten fünf bis sechs Jahre.“

Hier zeigt sich einmal mehr, wie falsch es war, dass die Bundesregierung den ÖPNV jahrelang vernachlässigt hat – weil man die Autoindustrie als wesentlich wichtiger ansieht. Sie sorgt für Jobs und Steueraufkommen. Der ÖPNV ist ein Draufzahlgeschäft. Doch die unselige Mesalliance zwischen Politik und Autoindustrie wird sich nicht mehr halten lassen.

Allerdings: Selbst bei einem Sinneswandel in Berlin würde ein massiver ÖPNV-Ausbau Jahrzehnte dauern. So reicht es nicht, einfach mehr U-Bahnzüge anzuschaffen. Denn die Münchner U-Bahn fährt zu Hauptverkehrszeiten so eine dichte Frequenz, dass nicht noch mehr Züge eingesetzt werden können. Mehr E-Busse? Ohne Busspuren funktioniert es nicht, die Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV zu bewegen.

Und was sollen Handwerker und Lieferanten machen? Mangels Angebot seitens der Hersteller konnten sie bisher nur Diesel-Transporter kaufen. Auf diese Fahrzeuge sind die Unternehmen angewiesen. Klar können die Städte für sie Ausnahmeregelungen schaffen. Das erlaubt das Leipziger Urteil ausdrücklich. Doch eine nachhaltige Lösung ist das nicht.

Der Bund muss den Druck auf die Hersteller erhöhen, Dieselfahrzeuge auf eigene Kosten nachzurüsten – was jetzt auch Ministerpräsident Horst Seehofer fordert. Auch die blaue Plakette muss kommen, damit das Ganze kontrollierbar wird. Bisher hat Ex-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) das verhindert.

Die sonst so forderungsfreudige Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft hält sich derzeit vornehm zurück. Deren Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt warnt lediglich vor einer „kalten Enteignung Hunderttausender Diesel-Besitzer“. Zielführender wäre es, wenn Brossardt den Autobauern klar machte, dass sie Dieselfahrzeuge schleunigst nachrüsten sollen – kostenfrei.
(Ralph Schweinfurth)

Kommentare (5)

  1. Zitrone am 10.03.2018
    Seit 2005 hatten wir ausschließlich Verkehrsminister der CSU. Die CSU hauptsächlich verhindert die längst überfällige Geschwindigkeitsbegrrenzung auf 130 auf der Autobahn. Dies würde die Installation zahlreicher teuerer Verkehrsleitanlagen ersparen, den Verkehr flüssiger und sicherer machen und gleichzeitig die Umweltbelastung senken. Was bleibt uns in Erinnerung von Ramsauer? Änderung des Punktesystems und Freigabe der alten Kennzeichen. Aber ohne den Mut, die gravierenden Verkehrsverstöße wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Handy am Steuer, angemessen zu ahnden. (Würde wahrscheinlich auf hauptsächlich die Marken BMW, Audi und Mercedes betreffen.
    Und Dobrindt musste für seinen Chef Seehofer die unselige Maut durchpauken, womit Merkel wortbrüchig wurde. Sonst noch was.? Versagen auf der ganzen Linie. Mit Scheuer wirds noch schlechter, wenn überhaupt noch eine negative Steigerung möglich ist. Und was ist mit der Richtlinienkompetenz unserer Kanzlerin? Diese Lügner von der Autoindustrie kommen damit durch, obwohl dem Fiskus durch die falschen niedrigen Abgaswerte Milliarden an Kfz-Steuern entgingen.
    Die Aktionäre der Autoindustrie haben in den vergangenen Jahren - zu Unrecht - Milliarden an Dividenden eingestrichen. Deshalb ist es angebracht, dass sie auch für den Schaden der Autofahrer und des Staates für entgangene Steuer aufkommen. Diese Art von Betrug sollte ein Straftatbestand sein.
  2. otto regensbacher am 09.03.2018
    Wissmann, ein ehemaliger Bundesminister, sorgt bei der Autoindustrie für Kontakte zur Bundeskanzlerin. Seine Briefe an Merkel beginnen wie folgt

    Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
    liebe Angela

    Man pflegt also beste Kontakte zu den Regierenden. Das zahlt sich aus, dass man die Autoindustrie wegen
    ihren Betrügereien in Sachen Abgaswerte praktisch in Ruhe lässt.

    Irgendwie haben wir in Deutschland schon Verhältnisse wie im Süden Italiens!
  3. Hentinger am 03.03.2018
    Es ist in Deutschland immer schön, wenn man ein klares Feindbild hat - Beispiele dafür gibt es in der Deutschen Geschichte mehr als genug. Ob dieses Feindbild rational ist, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist vielmehr, dass sich der "Volkszorn" daran entladen kann.

    Aktuell hat man sich Dieselfahrzeuge als Feindbild herausgepickt, was vor allem einem Lobbyverein zu verdanken ist, der bisher vor allem für seine aggressiven Abmahnkampagnen bekannt war. Es wird gezielt der Eindruck erweckt, als würden diese eine zunehmende Bedrohung für die Bevölkerung darstellen, so dass es zwingend notwendig sei, diese mit allen Mitteln zu bekämpfen.

    Tunlichst wird dabei vermieden, zu erwähnen, woher z.B. der Feinstaub in der Luft tatsächlich stammt. Denn dabei müsste man ja zugeben, dass der nur zum geringen Teil aus dem Auspuff von Dieselfahrzeugen stammt, sondern im Verkehrssektor insbesondere aus Reifen- und Bremsabrieb besteht und somit im erheblichen Maß auch von Benzin- und Elektroautos verursacht wird. Noch lächerlicher wird die Kampagne angeblicher Umweltschutzorganisationen aber, wenn man den Blick über den Tellerrand Verkehr zulässt: Dann wird klar, dass die Verursacher längst vor allem in den Bereichen Privathaushalte, Industrie und Landwirtschaft sitzen. (Man erinnere sich nur an die über 400 µg/m³, die im Frühjahr 2007 in Städten wie Dresden und Leipzig gemessen wurden, weil Landwirte in der Ukraine ihre Felder bearbeiteten.)

    Das Umweltbundesamt berichtet auf seiner Internetpräsenz sogar in ernstem Ton über die Gefährlichkeit des Silvesterfeuerwerks: "Am ersten Tag des neuen Jahres ist die Luftbelastung mit gesundheitsgefährdendem Feinstaub vielerorts so hoch wie sonst im ganzen Jahr nicht. PM10-Stundenwerte über 1000 µg/m3 sind in der ersten Stunde des neuen Jahres in Großstädten keine Ausnahme."

    Noch erstaunlicher wird die Debatte der Scheinheiligen aber, wenn man sich mal im Bereich Arbeitsschutz umsieht: Während nämlich die Luft des Normalbürgers höchstens 50 µg/m³ betragen darf, ist am Arbeitsplatz eine Konzentration von 1.250 µg/m3 erlaubt. Die Arbeiterschicht gilt also offenbar noch immer (oder schon wieder?) als Menschen zweiter Klasse.

    Nicht zuletzt fände ich es interessant, bei all den Leuten, die sich öffentlich über den Feinstaub in den Gassen beschweren, mal eine Feinstaubmessung in deren Wohnung vorzunehmen. Auch das wird aber natürlich nicht geschehen, da es kontraproduktiv für die Etablierung eines Feindbildes wäre.

    Man verstehe mich nicht falsch: Auch ich kann ein gewisses Maß an Schadenfreude kaum unterdrücken, wenn ausgerechnet die Deutsche Automobilindustrie, die sich gewaltige Marktvorteile auf dem Weltmarkt durch die Propagierung des Umwelt- und Klimaschutzes versprach (und dieses Thema entsprechend nicht nur finanziell vorantrieb), in die selbst geschaufelte Grube fällt (wie vor ihr schon die Energieerzeuger, die ja bekanntlich das Thema Klimakatastrophe in Deutschland in den 1980er Jahren etabliert hatten), weil sie zur Kenntnis nehmen musste, dass der vermeintliche Vorsprung gegenüber der Konkurrenz gar nicht existiert.

    Aber wenn man sich mal anschaut, woher wir gekommen sind, also wie die Luftqualität - nicht nur in den Städten - vor 25 oder gar vor 50 Jahren ausgesehen hat, dann ist die aktuell zur Schau gestellte künstliche Entrüstung mehr als peinlich. Und dann frage ich mich zwangsläufig: Cui bono?
  4. haarthhoehe am 02.03.2018
    Es war ja eine traumhafte Zeit, die das Dieselauto in den letzten Jahrzehnten haben durfte. Alle waren von ihm angetan, sogar so heftig, dass es trotz Gestank praktisch keinen Kritiker aus unserer obersten Staatsführung mit Politik, Justiz, ADAC oder der Motorjournalie gab. Alles war gut, die Dienstwägen nagelten und alle waren zufrieden. Alle?
    Erst die neuen Verbandsklagen brachten die Lawine ins Rollen, voran die Deutsche Umwelthilfe, Berlin. Es wurde Abgas nachgemessen und siehe da, seitdem bricht das ganze Gebäude ein, das auf morschen Fundamenten stand.
    Statt Verantwortung und Führung zu übernehmen, bauen sich jetzt wieder Endlosschleifen in der öffentlichen Diskussion auf, weil der Misthaufen zu groß geworden ist.
    Es wird geschimpft in alle möglichen Richtungen, aber keiner weiß nun, wo es lang gehen soll.
    Was wäre denn vernünftig?
    Erst mal die Wahrheit und Klarheit, um welche Luftwerte es wo geht. Die bayrische Staatsregierung hat zwar Messstellen installiert, veröffentlicht aber nichts. Das wäre die erste Aufgabe der Städte, ähnlich wie bei den automatischen Tempoanzeigen.
    Dann Zulassungsverbot von Dieselautos in kritischen Stadtbezirken. Bei Kachelöfen geht es doch auch, wenn die zu sehr rußen.
    Weiter P&R Parkplätze vor der Stadt mit Busanbindung oder ÖPNV. Angebot erzeugt Nachfrage.
    Dienstfahrzeuge: ernsthafter Umstieg auf emissionsarme öffentliche Fahrzeuge (gilt auch für Herrn Kretschmann). Die Vorreiterrolle des Staates ist wieder ernst zu nehmen.
    Steuer auf Diesel, usw.: Umstellen auf Brennwert der Treibstoffe (kWh statt Liter). Das ist gerechter, als die jetzige Subventionslösung.
    Also jetzt die Situation nutzen, um etwas zu ändern und nicht nur diskutieren. Weiter Vorschläge sind natürlich erwünscht, damit die Städte mit dem schwarzen Peter besser zurecht kommen, auf dem sie mit Sicherheit auch in Zukunft sitzen bleiben werden. Nur Mut.
  5. Ein Witz am 02.03.2018
    Welch ein Witz! Jahrzehntelang hat man die deutsche Bevölkerung angelogen, der Diesel ist der umweltfreundlichste Antrieb. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass die Autoindustrie betrügt, nichts geschieht. Auch nicht von Seiten der deutschen Juristerei.

    Nach meinem Rechtsverständnis, hat ein Fahrzeug, welches unerlaubte Software zum Zweck der Schönung von Abgaswerten an Bord hat, keine Betriebserlaubnis. Vom Ersten Tag an schon nicht. Würde ich an mein Motorrad einen anderen Lenker montieren ohne ABE oder ohne Eintragung in die Zulassungsbescheinigung, erlischt die Betriebserlaubnis, sogar bessere Bremsleitungen müssen eingetragen werden.

    Und unsere Autoindustrie geht bei millionenfachen Betrug straffrei aus, nach meinem Dafürhalten kann man in Deutschland nicht mehr von einem Rechtsstaat sprechen, Bananenrepublik trifft es wohl eher.

    Bei Fahrverboten in den Großstädten sollte man die hierfür verantwortlichen Politiker, Manager, Ingenieure, Juristen etc. ausfindig machen und in den betroffenen Bezirken vor eine Karre spannen, damit diese mit ihrer Muskelkraft (in den Beinen, nicht im Mund) die Leute an ihre Arbeitsplätze bringen.

    Es entsteht hier extrem hoher volkswirtschaftlicher Schaden, der ausschließlich auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen wird.

    Man fragt sich wirklich wozu es in unserem Land noch Gesetze gibt, wenn diese nur unterhalb der sogenannten Oberschicht Anwendung finden. Wahrscheinlich nur um die Bevölkerung klein zu halten, damit die Oberen treiben können was sie wollen.

    Seit mehr als 20 Jahren werden wir von einem Klientel regiert, welches sich nicht nur als absolut unfähig erwiesen hat sondern auch noch "unwürdig", widerlich.

    Man kann anscheinend bei künftigen Wahlen nur noch die wählen, die von den handelnden Akteuren als "Pack" bezeichnet werden, die Zukunft wird dann zeigen wo das tatsächliche Pack sitzt.

    Vielleicht findet sich auch mal ein Staatsanwalt und ein Richter die dem derzeitigen Gebahren, seitens Politik und Wirtschaft, mit aller Konsequenz der deutschen Rechtssprechung zeigt wo die Grenzen sind. Vielleicht benötigt Deutschland dann ein weiteres Gefängnis, egal was es kostet, es wäre die Sache wert.
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