Politik

Clankriminalität: Das Bundesinnenministerium zeigt sich alarmiert, kann aber keine bundesweiten Fallzahlen nennen. (Foto: dpa/Friso Gentsch)

18.08.2023

Viele offene Fragen

Ohne genaue Datenbasis will die Bundesinnenministerin Clankriminalität stärker bekämpfen. Gibt’s das in Bayern auch?

Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Raubüberfälle: Sogenannte Clans terrorisieren in einigen Städten ganze Straßenzüge. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte jetzt an, stärker dagegen vorgehen zu wollen: Künftig sollen Angehörige von Clans abgeschoben werden können, selbst wenn sie keine Straftat begangen haben. Das Problem an vermeintlich einfachen Lösungen: Es gibt sie nicht. Also alles nur ein PR-Gag im Vorfeld der hessischen Landtagswahl, bei der Faeser als SPD-Spitzenkandidatin antritt?

Der Diskussionsentwurf sieht vor, organisierte Kriminalität auf eine Stufe mit Terrorismus zu stellen. In diesem Bereich sind Abschiebungen bereits ohne Verurteilung möglich. Bleibt die Frage, warum Menschen des Landes verwiesen werden sollen, obwohl sie keine Straftat begangen haben. Nicht nur Linke, Grüne und Pro Asyl warnen vor „Sippenhaft“, sondern auch der inzwischen umstrittene Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (CDU).

Selbst wenn ein solches Gesetz verabschiedet würde, dürften die Auswirkungen überschaubar bleiben. Grund: Laut Bundeskriminalamt besaßen von den 47 Verfahren im Jahr 2021 im Bereich Clan-Kriminalität 36 Prozent der 930 Tatverdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Abschiebung wäre also gar nicht möglich. Die anderen dürfen schon jetzt abgeschoben werden. Es geht aber nur um Personen, die noch keine Rechtsverstöße begangen haben. Wie viele davon durch die Neuregelung das Land verlassen müssten, lässt das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Staatszeitung unbeantwortet.

Angedrohte Maßnahmen sind im Milieu nicht zu unterschätzen

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lobt Faesers „Rückführungsoffensive“. „Mit ‚Sippenhaft’ hat das nichts zu tun“, sagt Bundesvorsitzender Sven Hüber. Die präventive Wirkung der angedrohten Maßnahmen und die Qualität der Warnung an das Milieu seien nicht zu unterschätzen. Wenn das Heimatland eine Aufnahme verweigert, sollten die Personen eben in Drittstaaten abgeschoben werden. „Hier muss die Bundesaußenministerin aktiver werden.“

Vorher sollten aber erst mal die Sicherheitsbehörden ihre Hausaufgaben machen. Denn aktuell ist völlig unklar, welche Ausmaße Clan-Kriminalität abseits spektakulärer Fälle wie dem Millionen-Raub im Dresdener Grünen Gewölbe tatsächlich hat. „Belastbare bundesweite Fallzahlen der Allgemeinkriminalität im Kontext der Clankriminalität liegen nicht vor“, heißt es aus dem Haus von Innenministerin Faeser. Innerhalb der organisierten Kriminalität machten die Clans 2021 nur einen Anteil von 6,8 Prozent aus – Tendenz sinkend. In Bayern gibt es laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gar keine Clan-Kriminalität.

Das liegt laut Clan-Experte Mahmoud Jaraba von der Universität Erlangen-Nürnberg vor allem an der bisherigen Zuwanderungsgeschichte. Im Freistaat leben einfach nicht so viele Clan-Angehörige. Er befürchtet aber, dass sich die kriminellen Strukturen über Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen weiter ausbreiten – zum Beispiel auf Hessen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Dennoch sei Faesers Vorhaben, Clans mit Terrororganisationen gleichzusetzen, falsch: „Im Gegensatz zu terroristischen Gruppen, in die man aktiv eintritt, wird die Zugehörigkeit zu einem ‚Clan’ ererbt und ist kulturell bedingt.“

Wohlinszeniertes Wahlkampfmanöver

Deutlicher wird Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes. „Eine Abschiebung lediglich aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses ist unzulässig.“ Seiner Meinung nach handelt es sich dabei um ein „wohlinszeniertes Wahlkampfmanöver“. Was momentan in die sogenannte Clan-Kriminalität einfließe, seien vor allem Delikte wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. Überhaupt: „Den Nachnamen als Kriterium für ‚Clankriminalität’ zu nehmen, ist höchst unwissenschaftlich.“

Um die organisierte Kriminalität zu bekämpfen, wird auch vorgeschlagen, deren Vermögen bei Straftaten konsequenter abzuschöpfen. Dazu haben inzwischen einige Staaten die Beweislastumkehr umgekehrt. Die Betroffenen müssen also nachweisen, dass sie das Vermögen rechtmäßig erworben haben – unproblematisch ist das auch nicht. Denn auch hier würde die Unschuldsvermutung einfach ausgehebelt.
(David Lohmann)

 

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