Politik

Zwischen August 2021 und Januar 2022 hat der Strompreis laut Vergleichsportal Verivox für private Verbraucher*innen insgesamt fünfmal ein neues Allzeithoch erreicht. (Foto: dpa/Sina Schuldt)

25.02.2022

Von der Corona- in die Energiekrise

Menschen und die Wirtschaft ächzen unter den hohen Preisen – erste Betriebe müssen bereits aufgeben

Eines der ersten Energiepreisopfer in Bayern ist ein Fitnessstudio in München. Finanziell geschwächt durch den Lockdown konnte sich der Inhaber die exorbitant gestiegenen Kosten für die Beheizung von Trainingsräumen, Schwimmbad und Sauna nicht mehr leisten. Die Preise von Gas, Heizöl und Strom haben sich innerhalb eines Jahres teilweise mehr als verdoppelt. Gründe sind unter anderem die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise, die teuren CO2-Emissionszertifikate und der Ukraine-Konflikt. Der Unternehmer musste Insolvenz anmelden. Der bayerische Industrie- und Handelskammertag spricht von einer „weiteren Belastungsprobe für die Unternehmen“ – insbesondere für die von Corona gebeutelten Branchen Tourismus, Veranstaltung, Messewesen und Dienstleistung.

Hart trifft es aber auch die Industrie in Deutschland, da sie viel mehr Energie benötigt. Laut einer Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie ist die Situation für 23 Prozent der mittelständischen Betriebe existenzgefährdend. In Bayern sieht es etwas besser aus, weil die Liquiditätslage trotz Corona immer noch vergleichsweise gut ist. Doch auch im Freistaat sehen 84 Prozent die Energiepreise als Risiko. Das oberfränkische Traditionsunternehmen Heinz-Glas kann sich die hohen Preise nach eigenen Worten nur noch ein halbes Jahr leisten. Ein Stromanbieter für Großkunden im Freistaat berichtet hinter vorgehaltener Hand von Firmen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

Privathaushalte sind von den explodierenden Preisen genauso betroffen. Laut einer Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) befürchten 62 Prozent, dass sie die Energiepreiskrise in Zukunft finanziell belasten wird. „Gerade Geringverdiener wissen durch die enormen Preissteigerungen kaum noch, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen“, klagt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie fordert gemeinsam mit anderen Mieter-, Umwelt-, Sozial- und Verbraucherverbänden wie schon in der Corona-Krise, Betroffenen trotz unbezahlter Rechnungen nicht sofort den Strom- und das Gas abzudrehen. Dadurch müssen jedes Jahr in Bayern Zehntausende Haushalte ohne Licht, Warmwasser, Herd oder Kühlschrank auskommen. Bundesweit sind es mehr als 350 000 Abklemmungen pro Jahr.

Menschen mit wenig Geld will die Bundesregierung im Sommer mit mehreren 100 Millionen Euro unterstützen. Hartz-IV-Empfänger sollen einmalig 100 Euro erhalten, Auszubildende und Studierende einmalig 115 Euro. Bei Menschen, die Wohngeld beziehen, erhöht sich der Betrag auf 135 Euro, für einen Zweipersonenhaushalt gibt es 175 Euro, für jede weitere Person 35 Euro. Von Armut betroffene Kinder erhalten ab 1. Juli einen Sofortzuschlag von 20 Euro pro Monat. „Viel zu wenig“, findet CSU-Chef Markus Söder. Das sei nicht einmal die Hälfte dessen, was eine Familie mit zwei Kindern nachzahlen müsse. Rentnerinnen und Rentner gehen bisher komplett leer aus. Der VZBV hält 500 Euro pro Jahr und Haushalt für angemessen.

Angesichts der Rekord-Spritpreise sprechen sich sowohl die Union als auch die Linke im Bundestag zur Reduzierung der Energiekosten für eine Steuersenkung auf Benzin und Diesel aus. Der ADAC setzt sich zusätzlich für eine Erhöhung der Pendlerpauschale ein: Statt 35 Cent soll es 38 Cent geben – ab dem ersten Kilometer. Bisher lehnte es die Ampel-Regierung ab, zusätzliche Milliarden für die Förderung von fossilen Antrieben auszugeben. Zumal in beiden Fällen Haushalte mit hohem Einkommen überproportional profitieren würden. Mittlerweile wird eine rückwirkende Erhöhung ab 1. Januar 2022 aber für Strecken ab 21 Kilometer zumindest nicht mehr ausgeschlossen. Außerdem soll rückwirkend der Arbeitnehmer-Pauschbetrag bei der Einkommenssteuer um 200 Euro auf 1200 erhöht werden und der Grundfreibetrag von 9984 auf 10.347 Euro steigen.

Andere Länder haben längst Erleichterungen beschlossen

Im Ausland hat die Politik deutlich schneller reagiert. Spanien hat die Mehrwertsteuer auf Strom schon im Juni 2021 von 21 auf 10 Prozent gesenkt und die 7-Prozent-Steuer auf die Stromerzeugung ganz ausgesetzt. Einkommensschwache Haushalte erhalten einen Wärmebonus und Strompreis-Rabatte. Letzteres bekommen auch die Menschen in Norwegen und Schweden. Frankreich hat Strom- und Gaspreise reguliert beziehungsweise gedeckelt und Menschen mit einem Einkommen unter 2000 Euro 100 Euro überwiesen. In Großbritannien gewährt die Regierung dem Großteil der Haushalte einen Einmalrabatt von 150 Pfund auf die Kommunalsteuer. In Polen wurde die Mehrwertsteuer auf Treibstoff von 23 auf 8 Prozent gesenkt. Für Gas und Lebensmittel wurde sie sogar komplett gestrichen. Ungarn hat für Benzin und Diesel einen Höchstpreis festgesetzt. Griechenland subventioniert seine Bürgerinnen und Bürger mit im Schnitt 39 Euro pro Monat.

 Möglicherweise hat die Bundesregierung bisher noch nicht gehandelt, weil ihr der hohe Energiepreis entgegenkommt. Allein durch die Steuern auf Strom und Energie wird sie wegen der gestiegenen Preise dieses Jahr voraussichtlich rund 1,4 Milliarden Euro mehr einnehmen als 2021. Zusätzlich senkt der hohe Strompreis die Staatsausgaben: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verpflichtet Netzbetreiber, den Strom aus Windkraft- oder Solaranlagen zu einer festen Vergütung abzunehmen. Die Differenz gleichen Staat und Stromkunden aus. Je teurer sich Strom also am Markt verkaufen lässt, desto weniger muss der Staat für die sogenannte EEG-Umlage drauflegen.

Die Ampel-Koalition hat jetzt auf Druck von Verbraucherschützenden, Gewerkschaften, Wirtschaft und Opposition angekündigt, diese Umlage schneller als geplant zu streichen. Das Problem: Da die EEG-Umlage wegen der hohen Strompreise im Moment nur sehr niedrig ist, ist die Abschaffung für Bürgerinnen und Bürger nur eine geringe Entlastung – wenn überhaupt. Stromkonzerne geben zwar gern steigende Kosten, aber nicht so gern Entlastungen weiter.

Der Energieversorger RWE hat derweil schon mal die Dividende für seine Aktionäre *innen erhöht: Das Unternehmen rechnet wegen der hohen Strompreise dieses Jahr mit deutlichen Gewinnen.

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