Politik

Zur Erzieherin oder zum Erzieher kann man sich auch weiterbilden lassen – in 15 Monaten. (Foto: dpa/Arno Burgi)

30.08.2019

Von der Krankenschwester zur Kita-Fachkraft

Erzieher/innen verzweifelt gesucht: Um Personal zu gewinnen, setzt das bayerische Sozialministerium in einem Pilotprojekt auf die Weiterbildung von Quereinsteigern

Was haben ein Kirchenmusiker, eine Kinderkrankenschwester, ein Holztechniker, eine Köchin und eine Ergotherapeutin gemeinsam? Sie alle haben an einem Pilotprojekt teilgenommen, um sich innerhalb von 15 Monaten zur „Fachkraft mit besonderer Qualifikation in Kindertageseinrichtungen“ weiterzubilden. Von den neuen Quereinsteigern in bayerischen Kitas sind jedoch nicht alle begeistert.

Hinter Katrin Schneider (Name von der Redaktion geändert) liegt ein anstrengendes Jahr. Mit Mitte 50 hat sie einen neuen Berufsweg eingeschlagen und eine Weiterbildung zur „Fachkraft mit besonderer Qualifikation in Kindertageseinrichtungen“ absolviert. Und daneben in Vollzeit gearbeitet. „Ich hab schon viele Aus- und Weiterbildungen gemacht, aber das war die stressigste“, sagt die einstige Marketingfachfrau. Nicht nur wegen der Theoriestunden an Wochenenden, sondern auch deshalb, weil sie am Ende eine Facharbeit verfassen sowie ein Colloquium und eine praktische Prüfung absolvieren musste. Umso erleichterter ist sie darüber, dass sie jetzt ihr Zertifikat in der Tasche hat.

51 Quereinsteiger wie Katrin Schneider gibt es inzwischen in ganz Bayern. Sie alle haben an einem vom bayerischen Sozialministerium geförderten Pilotprojekt teilgenommen und sich ab Januar 2018 innerhalb von 15 Monaten zu Kita-Fachkräften weitergebildet. Während dieser Zeit arbeiteten sie bereits in Einrichtungen.

Die Bezahlung der Neulinge ist attraktiv – das weckt den Neid der Kollegen

In den nächsten Monaten werden weitere Kurse angeboten – vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (BBW), vom Verband katholischer Kindertageseinrichtungen, von der Hans-Weinberger-Akademie der Arbeiterwohlfahrt und vom Evangelischen Kita-Verband Bayern. Das dürfte vor allem mit dem Personalmangel in bayerischen Kitas zusammenhängen. Mehr als 19 000 Erzieher sowie 10 000 Kinderpfleger werden dort in den nächsten vier Jahren gebraucht – zusätzlich zum jetzigen Personal. Das berichtete das bayerische Sozialministerium kürzlich auf eine Anfrage der Landtags-SPD.

Dass die Staatsregierung jetzt auch auf Quereinsteiger für Kitas setzt, hat aber noch andere Gründe. Auf diese Weise schaffe man „multiprofessionelle Teams“, sagt Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU): „Die Einrichtungen haben damit die Möglichkeit, ihre pädagogische Arbeit um neue Impulse und Schwerpunkte zu bereichern.“ Der Fokus liegt dabei auf Menschen, die beispielsweise aus therapeutischen, pädagogischen, kreativen, naturwissenschaftlichen und hauswirtschaftlichen Berufen kommen.

Um den Betroffenen das Modell schmackhaft zu machen, lockt das Sozialministerium mit einem Zuckerl: Die Neulinge werden als Kinderpfleger eingestuft und entsprechend bezahlt, während für die Einrichtung ein Zuschuss von 1000 Euro pro Monat fließt. Ohne diese Möglichkeit, sagt Katrin Schneider, hätte sie diesen Weg nicht eingeschlagen, obwohl sie schon lange mit einer Tätigkeit im Kindergarten geliebäugelt habe.

Diese Regelung birgt allerdings Zündstoff. Dass die Neulinge schon während der Weiterbildung genauso bezahlt werden wie Kinderpflegerinnen, die immerhin eine zweijährige Ausbildung absolvieren müssen, passt nicht jedem. Vor allem mit einer Kollegin habe sie deshalb Schwierigkeiten gehabt, erinnert sich Katrin Schneider: „Ich hatte den Eindruck, dass da ein bisschen Neid im Spiel war, vielleicht auch Angst vor Konkurrenz.“ Erst als sie die Gruppe gewechselt habe, lösten sich die Probleme.

Frank Engelhardt vom BBW, das die Weiterbildung in Würzburg anbot, kennt solche Konflikte. „Das Grundproblem von Quereinsteigern ist die Akzeptanz bei den klassischen Mitarbeitern“, sagt er. Um das zu vermeiden, habe er zu Beginn des Pilotprojekts in den betreffenden Kitas für das Modell geworben. Aus Zeitgründen – „das Programm wurde sehr schnell aus der Taufe gehoben“ – sei das jedoch nicht überall möglich gewesen. Insgesamt aber habe man mit der Weiterbildung gute Erfahrungen gemacht, versichert er. Auch die Rückmeldungen aus den Einrichtungen seien „extrem positiv“.

Wie die Quereinsteiger nach ihrer Weiterbildung bezahlt werden, hängt vom jeweiligen Kita-Träger ab. Das Sozialministerium empfehle jedoch die Einstufung als Fachkraft, sagt ein Ministeriumssprecher. Das heißt, sie verdienen dasselbe wie ausgebildete Erzieher.

Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern ist man von dem Modellprojekt nicht begeistert. Natürlich sei es grundsätzlich sinnvoll, wenn beispielsweise ein gelernter Förster in einem Waldkindergarten arbeite, sagt Gewerkschaftssekretär Mario Schwandt. Zu denken gibt ihm jedoch der Umfang der Weiterbildung. Bei ihrer Fachakademie-Ausbildung stünden für angehende Erzieher 2880 Stunden im Lehrplan, davon 480 Stunden Praxis, rechnet er vor. Die Quereinsteiger kommen gerade mal auf gut 200 Stunden Theorie.

2880 Ausbildungsstunden für Erzieher – Quereinsteiger absolvieren viel weniger

Auch Doris Rauscher, familienpolitische Sprecherin der Landtags-SPD, kritisiert das Konzept als „Schmalspur-Ausbildung“: „Da sorge ich mich schon, dass die Qualität runtergeht, nur damit die Anstellungsschlüssel in den Kitas trotz des Fachkräftemangels erfüllt werden können.“

„Wir halten das Niveau bei unserer Weiterbildung sehr hoch“, hält Maria Magdalena Hellfritsch dagegen. Sie ist Geschäftsführerin des Verbands katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern, der die neuen Kita-Fachkräfte in München schult. In der Regel lasse der Verband nur solche Quereinsteiger zu, die mindestens einen Berufsabschluss auf dem Ausbildungsniveau einer Fachakademie vorweisen könnten – damit sie „auf Augenhöhe“ mit den Erzieherinnen seien, sagt Hellfritsch. Frank Engelhardt vom BBW ergänzt, dass der Abschluss der Weiterbildung nicht mit dem staatlichen Erzieher-Examen gleichzusetzen sei: „Der Erzieher-Status ist für die Quereinsteiger erst nach fünf Jahren Bewährung in der Praxis möglich, auf Empfehlung des Trägers und der Fachaufsicht. Das heißt, da ist schon nochmal ein Grat dazwischen.“

Diese Regelung stößt Gewerkschaftssekretär Schwandt jedoch sauer auf. Erzieher müssten für ihre Qualifikation immerhin eine fünfjährige Ausbildung mit Examen absolvieren. „Dass man diesen Abschluss durch bloßes Tun erwerben kann, das halte ich für fatal“, kritisiert Schwandt. Dadurch werde ein eigentlich hochwertiger Beruf weiter entwertet. „Für die Erzieher ist das niederschmetternd“, bestätigt Doris Rauscher.

Die neue Kita-Fachkraft Katrin Schneider verweist hingegen darauf, dass man mit dem Pilotprojekt neue Personengruppen für die Arbeit in Kitas gewinnen könne. Davon profitierten letztlich auch Erzieher und Kinderpfleger, weil sie entlastet würden. Natürlich müsse bei ihnen noch Lobbyarbeit betrieben werden. Aber, betont Schneider: „Ich finde es eine gute Sache, es ist ein Erfolgsmodell.“ (Brigitte Degelmann)

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