Geheime Gruppen, personalisierte Werbung, Vernetzung mit Apps – die Politik ist zur Bundestagswahl im Internet angekommen
Dieser Bundestagswahlkampf wird zum ersten Mal auch im Netz professionell geführt. Und die Parteien schenken sich nichts: Wer auf Youtube nach FDP sucht, erhält ganz oben auf der Suchliste den Werbespot der Grünen. Keywords und bezahlte Anzeigen machen es möglich. Insgesamt eine Million Euro lässt sich die Partei den Online-Wahlkampf kosten – das ist die Hälfte des Gesamtbudgets. Bei der FDP sind es immerhin 500 000 Euro, die anderen Parteien wollen sich nicht in die Karten schauen lassen.
Kein Wunder, dass der Wahlkampf im Netz boomt: Über die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland ist inzwischen auf Facebook, Twitter & Co. aktiv, jeder Fünfte nutzt sie als Nachrichtenquelle. Elf Prozent der Deutschen mit Internetanschluss folgen mindestens einem Politiker oder einer Partei. Entsprechend sind nur 22 der 630 Bundestagsabgeordneten nicht im sozialen Netzwerk aktiv. In Bayern hat fast jeder zweite Kandidat einen Twitter-Account – damit liegt der Freistaat über dem Bundesdurchschnitt.
Für eine höhere Reichweite auf Facebook zahlen die Parteien im Wahlkampfendspurt auch Geld. „Wir sponsern jetzt verstärkt Beiträge“, bestätigt Bayern-SPD-Sprecher Ino Kohlmann der Staatszeitung. Von sogenannten Mikrotargeting halte seine Partei hingegen nichts. Dabei können Beiträge Nutzern gezielt nach Geschlecht, Alter, Wohnort oder Interessen angezeigt werden. Für alle anderen Facebook-Nutzer bleiben diese Inhalte unsichtbar. Viele Politiker nutzen solche Dark Ads, um mit ihren Beiträgen nur die Menschen in ihrem Wahlkreis zu erreichen.
Die CSU hingegen hat im März eine umstrittene Facebook-Kampagne geschaltet, um gezielt russlanddeutsche Wähler zu umwerben. Die Inserate konnte nur sehen, wer beim Propagandakanal Russia Today auf „Gefällt mir“ geklickt hatte. US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf auf diese Weise unterschiedlichen Zielgruppen widersprechende Inhalte zukommen lassen. „Dark-Ads, die nur einen Teil der Nutzer erreichen, unterminieren die Demokratie“, sagt Medienforscher Christian Nuernbergk von der Uni München der BSZ. Alle Anzeigen müssten transparent aufgelistet werden, fordert er. Aktuell machen das nur die Grünen.
Beim Thema Social Bots haben sich die Parteien auf einen Nichtangriffspakt verständigt. Die Meinungsroboter versenden massenhaft täuschend echte Nachrichten, um das Meinungsklima zu verändern. Letzte Woche hat die CSU sogar rund 600 maschinengesteuerte Twitter-Konten aus ihren Followern entfernt. Doch ob sich alle daran halten, ist unklar. Laut einer Studie der Uni Oxford stammen 15 Prozent der AfD-Tweets von Meinungsmaschinen. Ob die Bots von der AfD selbst oder von parteinahen Unterstützerkreisen programmiert werden, ist allerdings unklar.
Wer hat die Social Bots programmiert?
Geheime menschliche Unterstützer haben jedoch die meisten Parteien. Bei einem Shitstorm aktivieren die Grünen zum Beispiel rund 2000 Counter-Speech-Mitglieder, um dagegen anzukämpfen und mit Kommentaren Reichweite zu erzielen. Als die Junge Union in Bayern in einem Fake-Tweet behauptete, SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wolle nach der Wahl mit den politischen Fürsprechern der G20-Krawalle regieren, hat auch die SPD in Bayern die rund 100 Mitglieder ihrer geheimen Facebook-Gruppe aufgefordert, die Falschmeldung zu entlarven.
Völlig neu ist in diesem Wahlkampf auch die Vernetzung durch Apps wie Connect17 der CDU. Anhand früherer Wahlergebnisse können Wahlkämpfer sehen, wo ihre Anhänger wohnen. Diese Methode hat auch Trump im Wahlkampf genutzt. Nach jedem Tür-zu-Tür-Gespräch werden die Ergebnisse in der App ergänzt und an die Parteizentrale gesendet. So soll der Haustürwahlkampf weiter optimiert werden.
Laut Hertie-Studie spielen für 83 Prozent der Jugendlichen vor allem die sozialen Netzwerke eine wichtige Rolle für die politische Meinungsbildung. Das Problem: 92 Prozent der Bundestagsabgeordneten nutzen Facebook – 56 Prozent der 14- bis 19-Jährigen allerdings nicht. Sie melden sich stattdessen lieber bei Whats-App, Youtube, Instagram oder Snapchat an. Entsprechend sind 62 Prozent mit den politischen Inhalten in den Netzwerken unzufrieden. Wichtig wäre, wie bei den Youtube-Interviews mit Spitzenkandidaten stärker auf Influencer zu setzen, denen die Jugendlichen vertrauen.
Bleibt die Frage, wie spannend es für Jugendliche und Erwachsene überhaupt ist, Politikern in sozialen Netzwerken zu folgen. Viele posten nur Termine, Selfies oder teilen Kommentare des Spitzenkandidaten. Forscher Nuernbergk erkennt zwar eine zunehmende Professionalisierung – sei es bei der visuellen Aufbereitung der Posts oder bei der Bildsprache der Videos. Wahlkampf im Netz sei aber nicht alles. „Um großflächiger die Menschen zu erreichen“, warnt Nuernbergk, „dürfen Parteien auch zukünftig nicht auf die traditionelle Plakatwerbung verzichten.“ (David Lohmann)
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