Politik

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) heizt die Debatte um die Leitkultur an. (Foto: dpa)

02.05.2017

Wahlkampf oder ernsthafte Debatte?

Innenminister de Maizière erntet mit seinem Vorstoß zur Leitkultur viel Kritik, aber auch Zustimmung aus den eigenen Reihen und der CSU

Für seinen umstrittenen Leitkultur-Vorstoß erhält Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Rückendeckung aus der CSU. "Es ist überfällig, dass die Debatte über Leitkultur endlich auch in Berlin geführt wird", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der "Passauer Neuen Presse". Ohne gemeinsame Selbstverständlichkeiten zerfalle eine Gesellschaft; die deutsche Leitkultur sei viel mehr als das Grundgesetz, betonte Scheuer.

"Dazu gehören unsere Traditionen, unsere Lebensweise und unsere gemeinsamen Werte", sagte Scheuer. "Integration kann nicht bedeuten, dass sich die einheimische Bevölkerung und die Zuwanderer auf halbem Weg treffen und daraus eine neue Kultur entsteht." Nötig sei dagegen für die Integration ein klarer Kompass: "Unsere Leitkultur."

De Maizière hatte in der "Bild am Sonntag" eine Debatte über das Thema angestoßen. Der CDU-Politiker führte zehn Eigenschaften auf, die seiner Auffassung nach Teil einer deutschen Leitkultur sind.

Gut eine Million Flüchtlinge sind seit September 2015 nach Deutschland gekommen. Die, die bleiben dürfen, müssen integriert werden. Dazu sind seither einige Bestimmungen neu geregelt worden, von verpflichtenden Sprachkursen über den erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt bis zu Sozialleistungen. Doch reicht dies aus? Braucht Integration nicht mehr?

Warum der Kampfbegriff?

Auf jeden Fall, meint Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die Menschen, die zu uns kommen, müssen wissen, was geht und was nicht geht. Im Umgang mit diesen Menschen "sollte uns eine Unterscheidung leiten: Die Unterscheidung zwischen dem Unverhandelbaren und dem Aushaltbaren". Unverhandelbar sei: "Wir achten die Grundrechte und das Grundgesetz. Über allem steht die Wahrung der Menschenwürde. Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat."

Doch jenseits dieser Grundwerte gebe es noch mehr, argumentiert de Maizière und bringt in der "Bild am Sonntag" den  bekannten politischen Kampfbegriff wieder in die Debatte. "Es gibt so etwas wie eine "Leitkultur für Deutschland"." Als der ehemalige Unions-Fraktionschef Friedrich Merz den Begriff zur Jahrtausendwende aufgriff, gab es einen außerordentlich starken Aufschrei in Parlament und Medien. Der Begriff hatte damals fast das Zeug zum Unwort des Jahres. Selbst aus den eigenen Reihen kam Kritik. Merz wurde ein erhebliches Maß an Ausländerfeindlichkeit vorgehalten.

Dieses Mal waren die Reaktionen moderater. Das mag damit zusammenhängen, dass Grüne, Linke und Multikulti inzwischen in der Defensive sind. Die Flüchtlingskrise sowie Anschläge in Paris, Brüssel und Berlin haben nicht unmaßgeblich dazu beigetragen. Im Jahr 2017 ist unumstritten, dass Deutschland an Einwanderer klare Anforderungen stellen darf, ja muss - deutsche Sprache, freiheitlich demokratische Grundordnung, Religionsfreiheit.

Es gab durchaus Kritik und Ironie für de Maizière - vor allem auch im Netz. Aber gerade die Ironie zeigt, dass die Deutschen solchen Kampfbegriffen heute nicht mehr die Bedeutung beimessen wie noch vor 17 Jahren. Deutschland ist offensichtlich reifer geworden. Möglicherweise könnte dazu auch die weltoffene Gastfreundschaft der Fußballweltmeisterschaft 2006 beigetragen haben, als fröhliche junge deutsche Fußballfans millionenfach Fahnen und Fähnchen mit Nationalfarben schwenkten.

"Wir sind aufgeklärte Patrioten", sagt de Maizière. "Ein aufgeklärter Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere." Die Deutschen hätten durchaus ein zwiespältiges Verhältnis zu Nationalität und Patriotismus gehabt. "All das ist vorbei, vor allem in der jüngeren Generation", meint auch de Maizière.

"Wir sind nicht Burka"

De Maizière zählt in seinem Beitrag in der "Bild am Sonntag" zehn Punkte auf, die Teil einer deutschen Leitkultur sein sollen. Etwa: In Deutschland gebe man sich zur Begrüßung die Hand, zeige sein Gesicht und nenne seinen Namen. "Wir sind nicht Burka", schreibt er. Er mag die Burka als Symbol angeführt haben, aber letztlich sind in Deutschland so gut wie keine Burka-Trägerinnen zu sehen und deswegen gehen solche Beispiele ins Leere.

Die relativ verhaltene Kritik mag auch daran liegen, dass de Maizière seine Auflistung nicht absolut setzt und sie als verpflichtende Leitlinien deutscher Kultur verkauft. Im Gegenteil. Alles was über das unverhandelbare Grundgesetz und die Menschenrechte hinausgeht, ist verhandelbar. "Manches mag fehlen, anderes kann hinzukommen", sagt de Maizière zu seiner Liste.

Bleibt noch die Frage, weshalb de Maizière gerade jetzt mit dem Thema Leitkultur kommt. CDU-Vize Thomas Strobl sagte in der "Heilbronner Stimme": "Der Einwurf des Bundesinnenministers ist goldrichtig. Gerade in dieser Zeit, in der in der Welt manches ins Wanken gerät, ist auch die Diskussion darüber wichtig."

Nach Einschätzung von FDP-Chef Christian Lindner hat de Maizière mindestens zwei Motive. Er wolle Wahlkampf machen und dabei ablenken von einer chaotischen Einwanderungspolitik der CDU. Zudem sehe er seine Felle davon schwimmen angesichts des möglichen Wechsels des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) nach Berlin. Herrmann soll nach dem Willen seines Partei-Chefs Horst Seehofer Spitzenkandidat der Christsozialen für die Bundestagswahl  werden.  SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warf dem Innenminister vor, er wolle mit dem Vorstoß von Versäumnissen im Fall des inhaftierten mutmaßlich rechtsextremen Bundeswehr-Offiziers ablenken.

Der Unions-Wirtschaftsflügel hat in von de Maizière angestoßenen Debatte  Konsequenzen gefordert. "Immer nur "Nein" zu sagen, reicht nicht aus", sagte der Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung MIT, Carsten Linnemann (CDU). "Richtig ist aber auch, dass die Debatte nur der Anfang sein kann. Am Ende müssen gesetzgeberische Schritte folgen. Appelle allein reichen nicht."
(dpa)

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