Politik

Der Besitzer eines Döner-Imbisses, Hasan Cavus, in seinem Laden in Waldkraiburg. Die Scheiben sind notdürftig geflickt. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

11.05.2020

War der IS-Anhänger ein "einsamer Wolf"?

Nach der Serie von Anschlägen auf türkische Läden in Waldkraiburg ist der mutmaßliche Täter gefasst, er sieht sich als IS-Kämpfer. Extremismusexperten betrachten den Fall als Novum

Hasan Cavus hat die Scheiben notdürftig geflickt mit Plexiglas, Holz, Klebeband und Silikon. In der Nacht zum Mittwoch flog ein Stein in die Scheibe seines Imbisses, eine überriechende Flüssigkeit wurde verschüttet. Cavus steht am Montag bereits wieder im Laden und bedient Kunden. Der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft. Der 25-Jährige, der sich als IS-Kämpfer bezeichnet, hat die Anschläge auf Läden türkischstämmiger Inhaber gestanden und Hass auf Türken als Motiv angegeben. Wegen eines Brandanschlags mit sechs Verletzten wird ihm auch versuchter Mord vorgeworfen.

"Ich hab mir gedacht, dass sie ihn bald fassen", sagt Cavus. "Aber ob er wirklich allein gewesen ist?" Zwei kiloschwere Steine an seinem Laden, ein Zehn-Kilo-Eimer mit stinkender Brühe - wie konnte er das schleppen? Cavan, selbst Muslim, sieht weitere Ungereimtheiten: "Es ist Ramadan, das sind Friedenszeiten." Gerade dann Gewalt durch einen muslimischen Bruder? "Das kommt mir komisch vor." Der in Deutschland geborene mutmaßliche Täter ist Muslim, seine Eltern sind Türken.

Der Londoner Extremismusforscher Peter Neumann sieht in den Waldkraiburger Anschlägen tatsächlich etwas Neues. Es sei das erste Mal, dass ein mutmaßlicher Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat türkische Ziele in Europa ins Visier genommen habe.

"Anschläge auf türkischstämmige Menschen ohne kurdischen Hintergrund sind in Europa eine wirkliches Novum", sagte der Politikwissenschaftler am King's College in London der Deutschen Presse-Agentur. "Mehr Sinn hätte es gemacht, wenn es Anschläge auf Kurden gegeben hätte, das waren ja die Hauptfeinde des IS." Aber Hintergrund der neuen Zielrichtung könne die schärfere Gangart der türkischen Regierung gegen den IS sein, vor allem auch in der grenznahen syrischen Provinz Idlib. Im Internet richte sich die Propaganda des IS zunehmend gegen die Türkei.

Ermittler stehen vor einer langwierigen Aufklärungsarbeit

Die Ermittler stehen vor einer langwierigen Aufklärungsarbeit. Derzeit werten sie Handydaten und andere elektronische Datenträger des mutmaßlichen Täters aus. Auch weitere werden untersucht. Die Beamten erhoffen sich davon Hinweise auf weitere Hintergründe sowie mögliche Mitwisser oder mögliche Mittäter. Bisher gehen Polizei und Staatsanwaltschaft aber von einem Einzeltäter aus.

Es sehe so aus, als ob es sich um einen Einzeltäter handele, der sich als "einsamer Wolf" über das Internet radikalisierte, sagt auch Neumann. Es gehe nun darum, seine Spuren dort und in sozialen Medien zu verfolgen. "Was sind die Netze, in denen er sich bewegt hat? Ich wäre nicht überrascht, wenn er über das Internet mit anderen IS-Anhängern kommuniziert hätte und darüber in Kontakt gewesen wäre."

Hat den niemand etwas von der Radikalisierung bemerkt?

Wesentlich sei auch die Frage, ob er von dort aus auch geleitet wurde wie einige andere Täter, etwa in Würzburg bei der Axtattacke auf chinesische Reisende oder bei dem Anschlag auf den Weihnachtmarkt in Berlin. Die Vielzahl der Rohrbomben zeige, dass es keine spontanen Taten gewesen seien. Zu klären sei auch, wie und warum er sich radikalisierte. "Wenn er sich über einen langen Zeitraum hin radikalisiert hat: Hat das jemand bemerkt ? Und wenn es jemand bemerkt, warum haben sich die Leute nicht bei der Polizei gemeldet?"

Tatsächlich bekam offenbar die Familie etwas mit. Die Ermittler gehen zumindest davon aus, "dass er eine Nähe zur radikalen Szene des Islams hatte, was zum Streit mit der Familie führte, da ihm diese nicht streng gläubig genug gewesen sei", sagte Klaus Ruhland, Sprecher der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München.

Seit April waren in Waldkraiburg die Scheiben dreier türkischer Läden eingeschlagen und ein Feuer in einem Gemüseladen gelegt worden. Am Freitagabend hatte die Polizei den Mann am Bahnhof in Mühldorf am Inn festgenommen. Fast zwei Dutzend funktionsfähige Rohrbomben wurden bei ihm gefunden, kiloweise Chemikalien und eine Pistole. Was plante er noch? Die Untersuchungen werden "viel Zeit, viel Manpower und viel Geduld" erfordern, sagt Polizeisprecher Martin Emig.
(Sabine Dobel, dpa)

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