Für die Bürger*innen Bayerns könnte 2023 ein Jahr der demokratischen Partizipation werden. Am 8. Oktober steht nicht nur die Landtagswahl an, die nach dem aktuellen Stand der Umfragen eine Fortsetzung der Bayern-Koalition aus CSU und Freien Wählern zu bringen scheint. Über das Jahr verteilt könnten die Wahlberechtigten auch bis zu vier Mal in die Rathäuser gerufen werden, um ihre Unterschrift für ein Volksbegehren zu leisten. Tragen sich dabei jeweils rund eine Million Menschen in die Listen ein, sind anschließend vier Volksentscheide möglich. So viel direkte Demokratie auf einmal hätte es in Bayern noch nie gegeben.
Am weitesten fortgeschritten ist derzeit der Radentscheid Bayern. Dafür läuft gerade das Zulassungsverfahren, die 14-tägige Eintragungsfrist könnte nach den Vorstellungen der Initiatoren bereits im Frühjahr terminiert werden. Mit dem Volksbegehren soll der Radwegeausbau im Freistaat unter Vermeidung unnötiger Bodenversiegelung deutlich beschleunigt werden. Auf dem Weg, die erste Hürde zur Zulassung zu nehmen, ist das von der FDP betriebene Volksbegehren zur Verkleinerung des Landtags auf 180 Abgeordnete. Hier läuft gerade die Phase der freien Unterschriftensammlung.
Kurz vor der Jahreswende wurden zudem zwei weitere Initiativen bekannt. Zunächst ging das Bündnis Vote 16 aus Grünen, SPD und FDP sowie dem Bayerischen Jugendring und weiteren Organisationen an die Öffentlichkeit, das per Volksentscheid das Wahlalter für die Landtags- und Kommunalwahlen in Bayern auf 16 Jahre absenken will. Mehrere Anläufe, dies auf parlamentarischem Weg zu schaffen, waren bislang am Widerstand der CSU gescheitert.
10H vollständig abschaffen
Spannend an dem Vorstoß ist, dass sich dem Bündnis auch Mitglieder des Koalitionspartners Freie Wähler angeschlossen haben, darunter der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag, Tobias Gotthardt. Nummer vier auf der Liste neuer Volksbegehren ist die SPD-Initiative zur vollständigen Abschaffung der 10H-Abstandsregel für Windräder. Landeschef Florian von Brunn hat angekündigt, dazu in den kommenden Wochen Gespräche mit möglichen Bündnispartnern zu führen.
Noch nicht vom Tisch, derzeit aber nicht aktiv betrieben wird die Überlegung von Grünen, ÖDP und mehreren Umweltverbänden für ein neu formuliertes Volksbegehren zur Reduzierung des Flächenverbrauchs in Bayern, nachdem der erste Anlauf 2018 vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof gestoppt worden war. Eventuell kommt man heuer dem Ziel eines täglichen bayernweiten Maximalverbrauchs von fünf Hektar aber auf parlamentarischem Weg näher. Denn die Staatsregierung hat ihren Entwurf für eine Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms in den Landtag eingebracht, über den noch vor der Landtagswahl entschieden werden soll. Dort stehen die fünf Hektar neben zahlreichen anderen Neuausrichtungen zumindest als unverbindlicher Richtwert.
Für Lehrkräfte könnte sich ebenfalls einiges ändern
Was sonst noch auf der landespolitischen Agenda steht: Für die Bekämpfung der Personalmisere an Bayerns Schulen könnte 2023 ein entscheidendes Jahr werden. Zumindest hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zuletzt mehrere Andeutungen in diese Richtung gemacht. Beschlossen ist bereits, Grund- und Mittelschullehrer sukzessive in die Besoldungsgruppe A13 aufzustufen, um die Attraktivität dieser Laufbahnen zu erhöhen, außerdem soll es eine Reform der Lehrerbildung geben. Söder plant aber ein noch umfassenderes Paket, zu dessen Einzelheiten er sich noch nicht geäußert hat.
Im Landtag steht die umstrittene Novelle des Polizeiaufgabengesetzes an, die nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erforderlich wurde. Neu geregelt werden nun Zugriffsrechte der Polizei auf personenbezogene Daten. Gegen das Gesetz laufen noch weitere Verfassungsklagen. Zudem wird Bayern heuer ein neues Denkmalschutzgesetz sowie erstmals ein Seniorenmitwirkungsgesetz erhalten. Aus der Opposition liegen unter anderem Gesetzesinitiativen für ein kostenloses Schulmittagessen (Grüne) und für Änderungen an den Regularien für den Rundfunk (FDP) zur Beschlussfassung vor.
Den Landtag werden außerdem rekordverdächtige vier Untersuchungsausschüsse (UA) gleichzeitig beschäftigen. Der UA Maske hat seine Beweisaufnahme beendet, es laufen nun die Vorbereitungen für den Abschlussbericht. Der zweite NSU-Ausschuss ist noch nicht ganz so weit. Noch nicht einmal begonnen haben die Aufklärungsgremien zu den Umständen der Bauverzögerungen und Kostensteigerungen bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München und zur Standortauswahl für das Zukunftsmuseum in Nürnberg. Klar ist bei diesen aber schon eines: Prominentester Zeuge wird Markus Söder sein.
(Jürgen Umlauft)
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