Politik

Die Studenten werden immer jünger – das ist einigen jetzt auch wieder nicht recht. (Foto: dpa)

29.05.2015

Wenn der Ruhm zu früh kommt

Erfolgsmodell Bologna-Studium? Unternehmen und Wissenschaftler sind geteilter Meinung

Die Abschlüsse Bachelor und Master sollten das Studieren innerhalb Europas erleichtern, die Studienzeit verkürzen und den Übergang ins Berufsleben erleichtern. Doch immer öfter wird Kritik laut am Ergebnis des Bologna-Prozesses. Vor allem der Bachelor ist umstritten. Viele Unternehmen halten ihn für eine Art Schmalspurabschluss. Was ist dran? In alten Zeiten war der Bakkalaureus ein fortgeschrittener Student, der unter Aufsicht seines Professors Vorlesungen hielt. Als Entschädigung für seine Tätigkeit bekam der frisch gebackene Hilfslehrer die Baccalaria, ein kleines Lehngrundstück. Akademiker spielen gerne mit Worten, deshalb kam zum Grundstück irgendwann auch noch der Laureus hinzu; der Lorbeer, der früher noch mehr als heute den Ruhm symbolisiert. Durchgesetzt hat sich heute der englische Ausdruck Bachelor. Der lässt sich wörtlich als „Junggeselle“ übersetzen und steht für den niedrigsten akademischen Grad an europäischen und amerikanischen Universitäten. Mit Ruhm und Grundbesitz hat er nicht mehr viel zu tun.

Nur 15 Prozent der Unternehmen sind mit den Bachelors zufrieden

Um Studiengänge und -abschlüsse europaweit zu harmonisieren, begannen die europäischen Bildungsminister im Jahr 1999 mit dem sogenannten Bologna-Prozess. Daraus entstanden ist ein zweistufiges System berufsqualifizierender Studienabschlüsse – Bachelor und Master. Durch das sogenannte European Credit Transfer System (ECTS) lassen sich Studienleistungen im Auslandssemester leichter anrechnen. Außerdem sind die neuen Studiengänge stärker auf „Beschäftigungsfähigkeit“ getrimmt: Europas Jugend soll möglichst früh „employable“ sein, vor allem die Deutschen, die vor 15 Jahren die ältesten Absolventen hervorbrachten.
Das lag vor allem an der Wehrpflicht und am Abitur nach neun Jahren Gymnasium. Mittlerweile ist die Wehrpflicht abgeschafft und das achtjährige Gymnasium auf dem Vormarsch – wenn auch Schüler, Lehrer und Eltern teils darunter ächzen. Junge Frauen sind also heute im Schnitt ein Jahr jünger, wenn sie nach dem Abitur direkt an die Uni wechseln; Männer, von Wehrpflicht und Zivildienst entbunden, im Schnitt zwei. Und wer nach dem zweijährigen Bachelor gleich beginnt zu arbeiten, ist wiederum zwei Jahre jünger als ein Magister, für den man früher vier Jahre brauchte.
Einigen Firmen ist der Personalnachwuchs jetzt zu jung. „Wir beobachten, dass viele Unternehmen sich mit Bachelor-Absolventen immer schwerer tun“, sagt Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). 2011 seien noch 63 Prozent der Unternehmen mit dem Bachelor-Nachwuchs zufrieden gewesen, heute seien es nur 47 Prozent. „Das ist eine besorgniserregende Entwicklung“, warnt Schweitzer. Nur 15 Prozent der Unternehmen sind laut DIHK der Meinung, dass Bachelor-Absolventen gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind.
Eines dieser Unternehmen heißt Kaeser Kompressoren. Michael Scheler, Leiter Personalentwicklung bei Kaeser, will allerdings nicht alles über einen Kamm scheren. Kaeser sitzt im oberfränkischen Coburg, zählt sich zu den weltweit führenden Druckluft-Spezialisten und hat weltweit mehr als 5000 Mitarbeiter, 1900 davon in Deutschland. Mit den Absolventen technischer Hochschulen aus der Region sei er durchaus zufrieden, sagt Scheler, mehr Sorgen bereiten ihm die Wirtschaftswissenschaftler. Neben Lücken im Grundlagenwissen „fehlt vielen die Persönlichkeit, das Gespür, wie man sich in einem Unternehmen zu verhalten hat“, sagt Scheler. Berufsanfängern merke er oft an, dass ihnen ein paar Jahre Lebenserfahrung fehlen. Hinzu kommt „ein Gefühl, dass sich die Qualität der Studenten verschlechtert hat“. Und woran liegt das? „Viele studieren einfach, damit sie studieren“, meint Scheler. Befördert werde dies auch durch sehr wohlwollende Benotung an den Hochschulen, „das ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung“.

Berufsbegleitendes Master-Studium: aufwendig und teuer

Diesen Eindruck hat man auch beim DIHK: „Es studieren zu viele, die besser eine Ausbildung machen würden. Ich halte das unbegrenzte politische Angebot für falsch, dass jeder, der studieren will, auch studieren können soll“, sagt DIHK-Präsident Schweitzer. „Wir müssen aufhören, das Studium als das Nonplusultra anzusehen.“ Deutschland werde nicht für steigende Studentenzahlen im Ausland bewundert, sondern „gebeten, unser fast einmaliges System der dualen Ausbildung in andere Länder zu tragen“.
Gänzlich anderer Meinung ist das Institut der deutschen Wirtschaft. In ihrer jüngsten Unternehmensbefragung über Karrierewege für Bachelorabsolventen kommen die Kölner Wissenschaftler unter der spitzen Überschrift „Empirische Basis statt anekdotischer Evidenz“ zu dem Schluss: Die Lage ist besser als die Stimmung. Unternehmen nähmen Bachelor-Absolventen „überwiegend ohne Probleme auf“, setze sie in für Akademiker üblichen Positionen ein und zahle die entsprechenden Gehälter. Immer mehr Unternehmen stellten Bachelor ein, nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleine und mittlere Betriebe.
„Gäbe es bei den Unternehmen tatsächlich Ernüchterung hinsichtlich des Könnens der Bachelorabsolventen, so wäre der Anteil der Unternehmen mit erfolgreichen Absolventen nicht derart deutlich gestiegen“, sagt Christiane Konegen-Grenier vom Institut der deutschen Wirtschaft. Entscheidender als der berufliche Abschluss sei aber die Bewährung in der Unternehmenspraxis, sagt Konegen-Grenier. Dazu gehöre „die Verbindung von Erwerbstätigkeit und lebenslangem Lernen“. Die Forscherin fordert Unternehmen auf, mehr Berufseinsteigern das berufsbegleitende, auf den Bachelor aufsetzende Masterstudium zu ermöglichen.
Das ist für das Unternehmen mit Kosten verbunden. Zum einen muss es seine Mitarbeiter teils fürs Studium freistellen, zum anderen muss es womöglich für Studienbeiträge aufkommen. Beitragsfrei ist in Deutschland nur der sogenannte konsekutive Master, der direkt an das Bachelorstudium anschließt. Für diese ökonomischere Lösung hatte sich auch Eva-Maria David entschieden. Nach einem Bachelor in Geschichte an der Universität ihrer Geburtsstadt Konstanz ging sie nach Heidelberg und machte dort einen Master in Politikwissenschaft. „Direkt nach dem Bachelor hätte ich noch nicht arbeiten können“, sagt sie. „Ich habe damals noch nicht genau gewusst, was ich später machen möchte.“
Hinzu kommt für die heute 27-Jährige, die derzeit in einer Münchner PR-Agentur als Junior-Beraterin tätig ist, dass das Bachelor-Studium „nicht auf die Arbeitswelt vorbereitet. Wer sich in der Unternehmenswelt von Anfang an zurechtfinden will, sollte neben der Uni Praktika machen.“ Auch dazu hat mehr Zeit, wer erst nach dem Master beginnt zu arbeiten. (Jan Dermietzel)

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