Es ist erst einige Wochen her, da verging kaum ein Tag, an dem nicht dramatische Bilder aus Syrien, Libyen oder anderen Bürgerkriegsregionen über die TV-Schirme flimmerten. Mit Corona hat sich das geändert. Was in den Medien nicht mehr erscheine, verliere „in der Öffentlichkeit an Dramatik“, warnte bereits Ende März Pirmin Spiegel, Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor.
Er sollte recht behalten: Diverse Hilfsorganisationen, die sich um Entwicklungsprojekte kümmern, verzeichneten jüngst Spendeneinbrüche – teils sogar massive. Das ergaben Anfragen der Staatszeitung. So berichtet Sven Weber, Geschäftsführer von Lands-Aid in Kaufering, die Spenden an seine Organisation seien seit Beginn der Corona-Krise um bis zu zwei Drittel eingebrochen. „Wir haben keine stabile Mitgliederbasis und sind deshalb vor allem auf Spenden angewiesen“, sagt Weber.
Mit einem Extra-Aufruf über lokale Medien habe man zwar zuletzt mehrere Zehntausend Euro eingesammelt. Unter dem Strich stehe aber für die vergangenen Wochen ein „sattes Minus“. Lands-Aid musste die Soforthilfe des Freistaats beantragen. Die Organisation überlegt zudem, Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken.
Schulspeisung für Kinder
Vor allem jedoch stehen geplante und bereits laufende Projekte auf dem Prüfstand. Seine Organisation wollte unter anderem in der vom Assad-Regime belagerten syrischen Rebellen-Enklave Idlib eine Schule für Flüchtlinge bauen. Und auch die Unterstützung einer Kinderklinik auf Haiti ist in Gefahr. Je nachdem, wie sich das weitere Spendenaufkommen entwickelt, drohen Lands-Aid-Projekten in Krisenregionen massive Kürzungen oder sogar das Aus.
Und das, obwohl die Hilfsprogramme der Oberbayern derzeit besonders wichtig seien, so Weber. In manchen afrikanischen Ländern wie Uganda oder Kenia, in denen die Hilfsorganisation tätig ist, durften die Bauern zuletzt wegen der strengen Kontaktsperren die Äcker nicht bestellen. Dabei droht in Teilen des zumeist bettelarmen Kontinents ohnehin längst eine massive Hungersnot. So fraßen sich im Februar riesige Heuschreckenschwärme durch Ugandas Felder. „Wir wollen mithelfen, die Nahrungsversorgung zu gewährleisten. Etwa mit einer Schulspeisung für Kinder“, sagt Weber. Doch dies gehe nur mit ausreichend Spenden. Zudem wolle seine Organisation in den Entwicklungsländern über die Gefahren von Covid-19 aufklären.
Auch die Hilfsorganisation Humedica aus Kaufbeuren verzeichnet nach eigener Aussage einen „deutlichen Rückgang“ bei den Sachspenden, die man von Unternehmen bekomme. Viele Firmen kämpften aktuell mit den finanziellen Folgen des Shutdowns, sagt ein Sprecher.
Und auch die großen kirchlichen Hilfsorganisationen sind betroffen. Die Diakonie Bayern geht von einem Spendeneinbruch aus. So hätte eine Sammlung coronabedingt zum Teil abgesagt werden müssen. Wie hoch der Rückgang sein werde, wisse man noch nicht. Doch es gebe auch eine erfreuliche Entwicklung. „Die praktische Hilfe hat enorm zugenommen. Die Menschen schreiben Karten für Ältere oder stellen Körbe vor Seniorenheime“, sagt ein Sprecher. Bei Misereor ist man ebenfalls besorgt. Andreas Lohmann, der dort den Bereich Spenden betreut, sagt: „Die Misereor-Fastenaktion, unsere Hauptaktion, wurde von der Corona-Krise faktisch unterbrochen.“ Veranstaltungen seien abgesagt worden, Spendenaktionen ausgefallen. „Und am Sonntag unserer Fastenkollekte fanden praktisch keine Gottesdienste statt.“ Immerhin hatten Gemeinden und Bistümer zu Spenden für Misereor aufgerufen. Das katholische Hilfswerk fürchtet dennoch, künftig weniger Entwicklungshilfeprojekte stemmen zu können.
Der Schutzschirm des Freistaats reicht nicht aus
Doch auch die karitative Arbeit im Freistaat selbst ist in Gefahr. „In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern müssen vor allem unsere 1540 Kirchengemeinden den Ausfall der Spenden im Klingelbeutel und in der Kollekte im Gottesdienst verkraften, denn Gottesdienste waren bis Sonntag nicht möglich“, sagt ein Sprecher der Landeskirche. Dabei seien „die Gemeinden auf diese Spenden dringend angewiesen, um ihren Betrieb aufrechterhalten zu können“.
Immerhin: Wenn es um Hilfen für hiesige Corona-Opfer geht, ist die Hilfsbereitschaft oft groß. Ein Beispiel seien Essensausgaben für Obdachlose in München und Regensburg, sagt ein Caritas-Sprecher: „Das Spendenaufkommen war dabei enorm hoch.“ Bei der Caritas hofft man insgesamt auf eine stabile Spendenentwicklung.
Doch vielen anderen Organisationen bereitet Corona massive Probleme, auch Umweltschutzorganisationen. So etwa dem Landesbund für Vogelschutz (LBV). „Wir mussten unsere Sammelwoche im März absagen. Da fehlt uns jetzt eine halbe Million Euro“, sagt ein Sprecher. Normalerweise wären Schüler überall in Bayern mit der Spendenbüchse von Haustür zu Haustür gegangen. „Ob wir die Aktion nachholen können, ist höchst unsicher. Wenn überhaupt, dann im neuen Schuljahr.“ Dies ist besonders bitter, weil auch die in der Umweltbildung tätigen LBV-Einrichtungen schließen mussten. Hier hoffe man, dass der Freistaat unbürokratisch helfe, so der Sprecher. Lands-Aid-Chef Weber fordert derweil weitere staatliche Hilfen für bedrohte Hilfsorganisationen: „Es geht vielen kleinen Partnerorganisationen wie uns. Wir brauchen einen Rettungsschirm“, sagt er.
Auf Bundesebene ist eine solche Maßnahme laut Bundessozialministerium nicht geplant. Das Landessozialministerium verweist auf den Schutzschirm des Freistaats für Wirtschaftsunternehmen, der auch für Hilfsorganisationen gilt. Doch die bewilligten 5000 Euro reichten für Lands-Aid bei Weitem nicht, sagt Weber. Er hofft nun, dass mit dem langsamen Auslaufen des Lockdowns die Spenden bald wieder anziehen. (Tobias Lill)
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