Wer die Pressekonferenzen der bayerischen Staatsregierung verfolgt, kommt sich mitunter vor wie an einem Stammtisch voller Grantler, Gscheidhaferl und Gschaftlhuber. Dabei geht es nicht darum, dass CSU und Freie Wähler im Kabinett im Clinch lägen oder Bayern mal wieder gegen den Bund stichelte. Seit die Pressekonferenzen - von den Beteiligten meist "PKs" genannt - in der Corona-Krise online im Internet übertragen werden, stehen sie nicht mehr nur einem erlauchten Kreis ausgewählter Journalisten zur Verfügung. Bei BR24 oder auf den Seiten der Staatsregierung auf der Videoplattform Youtube oder dem Sozialen Netzwerk Facebook können die Übertragungen live verfolgt werden - und man kann sie kommentieren.
"Inkonsequenter Nonsens", ist da am Dienstag zu lesen, während Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Co. neue Lockerungen verkünden. Manche fragen sachlich, was mit Schulen und Fitnessstudios sei. Einige scheinen weniger auf tiefgründigen Sinn ihrer Beiträge erpicht zu sein und posten immer wieder das Wort "Köftespieß".
Doch auffallend ist der raue Ton vieler Beiträge. Manche vergreifen sich auch in der Wortwahl. Ein paar Beispiele: "Hr. Söder wissen Sie früher oder später bekommt jeder das zurück was er zu verantworten hat." Auch "Hier spricht der Diktator von Bayern", "Belügt nicht das Volk", "der gehört eingesperrt" sind zu lesen, und es wird gefordert: "Rücktritt". Die Kommentare rauschen zeitweise so schnell durch, dass man keine Chance hat, mitzulesen. Einer fragt: "Warum grinst der immer so blöd?" Antwort eines anderen Nutzers: "Weil er euch verarscht".
"Seit März 2020 haben auf unseren Kanälen in der Spitze gleichzeitig 51 908 Personen auf Facebook (20. März) und 15 232 Personen auf Youtube (16. April) den Stream einer Pressekonferenz verfolgt", teilt ein Sprecher der Staatskanzlei mit. Insgesamt gebe es ein sehr hohes Informationsbedürfnis der Bevölkerung. "Die Nutzungszahlen unserer Angebote sind deutlich gestiegen - von den Internetseiten über die Service-Hotlines bis zu den Angeboten in sozialen Netzwerken."
"Warum so viele Asoziale hier?"
Die Online-Kommunikation sei dabei ein bedeutender Teil der Öffentlichkeitsarbeit, so der Sprecher. Die Staatsregierung leiste damit einen Beitrag zur demokratischen Informationspflicht. "So können sich auch Bürgerinnen und Bürger eine Meinung bilden, die soziale Medien als Informationsquelle nutzen."
Also eine Art von Demokratisierung? Informationen werden der breiten Masse zur Verfügung gestellt. Jeder kann sich seinen eigenen Eindruck machen. Ohne die immer lauter kritisierte Filterung durch Medien.
So gut das für manche vielleicht klingen mag, so kritisch äußert sich die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch: "Man kann meines Erachtens nur hoffen, dass dies nicht die neue Form der Bürger-Politiker-Kommunikation und schon gar nicht eine neue Form der Demokratie werden wird." Der Chatverlauf etwa neben den Youtube-Videos vermittele den Eindruck, dass sich hier einige wenige zu Wort meldeten und sich des Chats geradezu bemächtigten - "und zwar überwiegend versteckt hinter Pseudonymen und fast durch die Bank völlig unsachlich und polemisch". Die Wortwahl der Kommentare schrecke jeden ab, der seriöse Anmerkungen hat, findet Münch.
"Die Wiedergabe des Chats parallel zur Pressekonferenz vermittelt ein völlig verzerrtes Bild von der Stimmung in der Bevölkerung", ist die Politikwissenschaftlerin überzeugt. "Hier wird kein seriöses Beteiligungsformat angeboten, sondern lediglich eine weitere Plattform für Hetzer." Davon gebe es aber schon genügend.
"Ich halte es nicht für sinnvoll, den insgesamt unzutreffenden Vorwurf, professionell arbeitende Journalisten und Redaktionen würden einseitig berichten oder mit den Politikern "unter einer Decke" stecken, dadurch entgegentreten zu wollen, dass man einzelnen Bürgern eine Plattform einräumt, um Unsinn und Verschwörungstheorien unter die Leute zu bringen", erläutert Münch weiter. "Vermeintliche Einseitigkeit durch tatsächliche Einseitigkeit ausgleichen zu wollen, ist weder glaubwürdig noch sinnvoll."
Dass manch eine Meinungsäußerung an der Grenze des gesellschaftlichen Miteinanders ist und einige auch unter die sprichwörtliche Gürtellinie gehen, ist auch in der Staatskanzlei Thema: "Die Kommentare zu Facebook- und Youtube-Videos auf unseren Kanälen werden moderiert", erklärt der Sprecher. Und: "Kommentare, die gegen die öffentlich einsehbare Netiquette verstoßen, werden entfernt."
Auch einige derjenigen, die die PKs live verfolgen und kommentieren, üben Kritik an den anderen: "Warum so viele asoziale hier?", fragt ein Nutzer am Dienstag beispielsweise. Und ein anderer schreibt: "Gott die sollten die Kommentare hier deaktivieren..."
(Marco Krefting, dpa)
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