Politik

Menschen wehren sich dagegen, aufgrund ihres Protests gegen neue Flüchtlingsheime als Nazis tituliert zu werden. (Foto: dpa/Patrick Pleul)

10.02.2023

Widerstand gegen noch mehr Flüchtlinge eskaliert

Der Zustrom an Flüchtlingen wächst immer weiter, und für die Kommunen ist es inzwischen unmöglich, die Menschen unterzubringen. Vielerorts ist die Stimmung bereits gekippt und die Bevölkerung reagiert mit Wut und Ablehnung auf weitere Heime. Doch Hilferufe der Kreise und Gemeinden um eine Begrenzung bleiben ungehört; in Berlin gilt das Ganze primär als finanzielles und logistisches Problem.

Es passierte in der Gemeinde Marklkofen im Landkreis Dingolfing-Landau: In einer neu errichteten, aber noch nicht genutzten Zeltunterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine legten Unbekannte in der vergangenen Woche Feuer. Laut Angaben des Polizeipräsidiums Niederbayern sei versucht worden, mit einem Brandbeschleuniger das Zelt in Brand zu setzen. Dadurch wurden der Holzboden und die Zeltwand kleinflächig angekokelt und beschädigt. Das Zelt sei aber weiter nutzbar.

„Unterkünfte bereits stärker belegt als zur Welle 2015“

In der Gemeinde Gachenbach im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen hat sich die Stimmung in Sachen Flüchtlinge schon vor geraumer Zeit gedreht, „verhärtet“ nennt sie Bürgermeister Alfred Lengler (CSU). Im Ortsteil Peutenhausen mit rund 650 Bewohnenden sind derzeit 50 Asylsuchende untergebracht. Nur wenige Tage nach der Ankunft der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine begann in Peutenhausen eine Einbruchserie, ein Mann aus der Ukraine konnte mittels Überwachungskamera als Täter identifiziert werden. Später wurden dann zwei Frauen vor der Kirche von afghanischen Asylbewerbern sexuell belästigt. Der Asyl-Helferkreis von Peutenhausen hat sich inzwischen aufgelöst. „Wir wollen nicht mehr“, sagt der Bürgermeister.

Auch anderswo in Bayern wächst der Unmut. Binnen kurzer Zeit haben Anwohner*innen über 520 Unterschriften gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft auf einem ehemaligen Fabrikgelände in Peiting (Landkreis Weilheim-Schongau) gesammelt. Bis zu 144 Flüchtlingen sollen die 18 Wohnmodule Platz bieten, die ein Investor auf dem Grundstück bauen lassen will, um sie anschließend an die Regierung von Oberbayern zu vermieten. Die Initiator*innen der Petition sehen sich bestätigt und wollen ihrer Forderung nach einer dezentralen Lösung nun mithilfe einer Bürgerinitiative Nachdruck verleihen. Im Landkreis Roth sorgt der Plan, das ehemalige Pflegeheim in der Ortschaft Gebersdorf bei Thalmässing mit Flüchtlingen zu belegen, für Entrüstung. 

„Die Ressourcen sind erschöpft“, stellt Thomas Karmasin (CSU), Landrat von Fürstenfeldbruck und Präsident des Bayerischen Landkreistags, fest. „Der Zustrom von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und Asylsuchenden aus anderen Ländern übertrifft die Zahlen aus der letzten Flüchtlingswelle 2015.“ Laut Karmasin mangelt es nicht nur an Schlafmöglichkeiten, sondern es gibt auch kein Personal mehr für die soziale Betreuung. Und über Plätze für die Kinder in Kitas und Schulen verfüge man ebenfalls nicht mehr.

Die Unterkünfte selbst platzen aus allen Nähten. Ende 2022 lebten in den Asylunterkünften des Freistaats rund 169 000 Menschen – und stellen damit alles Gekannte in den Schatten. „Das bisherige Maximum war im Mai 2016, damals hatten wir eine Unterbringung in Bayern von über 150 000 Flüchtlingen“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Nach Angaben des Ressortchefs ist der Zuwachs „nicht auf die Flüchtlinge aus der Ukraine zurückzuführen, sondern auf Asylbewerber aus anderen Teilen der Welt“. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 217 000 Asylanträge gestellt; sämtlich nicht von Leuten aus der Ukraine, die einen Sonderschutzstatus genießen.

Die bayerischen Grünen halten dagegen: Dann müsse man eben mehr Geld für die Unterbringung bereitstellen. Eine halbe Milliarde Euro solle der Freistaat zu diesem Zweck zusätzlich an die Kommunen überweisen, fordert Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende im Landtag.

Doch nicht alle Grünen wollen ausschließlich mehr Geld locker machen – wie beispielsweise Jens Marco Scherf, der Landrat des Kreises Miltenberg: Der Kommunalpolitiker schloss sich einem bundesweiten offenen Brief seiner Kolleg*innen an, der von der Bundesregierung auch explizit Maßnahmen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen fordert.

Das ist nicht ungefährlich: Nachdem dies vor einiger Zeit auch der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer angemahnt hatte, wurde ihm von seinem baden-württembergischen Landesverband Gedankengut im Stile der AfD vorgeworfen und ein Parteiausschlussverfahren in die Wege geleitet.

Der Landkreistag findet: Menschen, die vor einem Krieg flüchten und deren Leben in der Heimat bedroht ist, müssen in Europa Schutz finden können. Menschen, die von vornherein keine Bleibeperspektive haben, müssen aber bereits an den EU-Außengrenzen abgewiesen werden. „Dafür muss die Europäische Union ihre Außengrenzen wirksam sichern“, fordert Thomas Karmasin.

Thomas Kreuzer, CSU-Fraktionsvorsitzender im Landtag, meint, Schulzes Rufen nach mehr Geld sei „ein verzweifeltes Ablenkungsmanöver vom Totalversagen der Ampel in der Migrationspolitik. Die Ampel befeuert diese starke Zuwanderung noch zusätzlich durch das Chancen-Aufenthaltsrecht.“ Durch dieses seit 1. Januar geltende Recht haben Menschen, die seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland leben, ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht auf Probe. Kreuzers Kritik kontert Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, mit der Einschätzung: „Die Situation ist zweifelsohne für alle Ebenen sehr herausfordernd, aber sie ist gemeinsam zu schaffen.“ Auch sei es unfair, so die Genossen, wenn die CSU das Chancen-Aufenthaltsrecht mit der Flüchtlingskrise vermenge.

Die EU-Kommission sowie viele andere europäische Länder plädieren derweil dafür, mehr Druck auf die Herkunftsländer auszuüben, damit sie ihre ausreisepflichtigen Staatsbürger*innen zurücknehmen. „Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschritte machen können“, sagt die schwedische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht sich dagegen aus, die Visapolitik von Brüssel offensiv als Druckmittel zu verwenden. Auch dem Vorstoß der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europaparlament, gegebenenfalls den Bau von Zäunen nicht auszuschließen, erteilte Faeser eine Absage: Das habe „noch nie etwas gebracht“.

Landkreistag: Kanzler soll sich des Themas annehmen

Die Erkenntnisse der EU-Polizeibehörde freilich sprechen eine andere Sprache: Über 90 Prozent der Migrant*innen würden sich auf den Dienst von Schlepperbanden verlassen. „Es ist aber die Aufgabe der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, wer ihr Land betritt – nicht die von Kriminellen“, heißt es dazu in einem Papier der EVP-Fraktion. In dieser Woche kündigte Nancy Faeser – jedoch ohne konkrete Terminierung – einen neuen Flüchtlingsgipfel mit Ländern und Kommunen an.

Der Deutsche Landkreistag erhofft sich von der Bundesinnenministerin jedoch wenig substanzielle Hilfe. Kanzler Olaf Scholz (SPD) müsse das Thema zur Chefsache machen, forderte der Verband. Unterstützung erhält er dabei von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Parallel bemüht sich Faeser nach eigenen Worten darum, dass andere Länder in der EU den Deutschen Geflüchtete abnehmen. Doch vor allem die osteuropäischen Mitgliedstaaten haben schon in der Vergangenheit wiederholt klargemacht, dass sie dazu nicht willens sind. Die Staatschefs Viktor Orbán (Ungarn) und Jaroslaw Kaczy(´n)ski (Polen) argumentieren dabei vor allem mit den durch Flüchtlinge begangenen Gewaltverbrechen in der Bundesrepublik und sagen, sie bangten um die öffentliche Sicherheit bei sich daheim.

Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Allein im Januar dieses Jahres ermordeten Geflüchtete in Deutschland drei Menschen: ein Schulkind auf dem Heimweg in Illerkirchberg in Baden-Württemberg und zwei Jugendliche in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein.

Immerhin weiß die Bundesinnenministerin die Kirchen an ihrer Seite. Auch diese lehnen eine Begrenzung der Einreisen ab: Der Generalsekretär der Kirchlichen Kommission für Migranten in Europa, Torsten Moritz, hat die Aufnahme von „noch mehr Flüchtlingen“ in der EU angemahnt. 

In Teilen Ostdeutschlands eskaliert die Situation angesichts immer neuer Unterkünfte bereits massiv: Im Thüringer Landkreis Eichsfeld etwa zog das Landratsamt die Anmietung einer Halle für 150 Leute aus der Ukraine wieder zurück; die Personen werden nun anderswo untergebracht. Als Grund nannte Landrat Werner Henning (CDU) „heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit“. Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass Flüchtlinge angefeindet oder sogar angegriffen würden“. 

Fast wöchentlich kommen bundesweit weitere Kommunen hinzu, wo sich die Menschen gegen neue Asylunterkünfte wehren. Nicht selten lässt das die politisch Verantwortlichen zurückrudern. Protest, das zeigt sich dadurch, zahlt sich aus – was wiederum anderswo Schule machen könnte: ein Teufelskreis für die Politik. Denn somit geht die Zahl der Liegenschaften zurück. Das wiederum zwingt die Behörden, teure Unterkünfte wie beispielsweise Hotels anzumieten – was angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise finanziell auf Dauer kaum durchzuhalten sein dürfte. (André Paul)
 

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