Politik

Demonstranten stehen während einer Kundgebung auf dem Odeonsplatz. Die Bauern wollen so lange protestieren, bis die Kürzungen komplett zurückgezogen werden. (Foto: dpa/Preiss)

12.01.2024

Wie radikal ist das wirklich?

Demonstrierende Landwirte – die Empörung darüber ist nicht durchweg gerechtfertigt

Es waren die größten Bauernproteste, die der Freistaat seit vielen Jahren erlebt hat: Mehrere Zehntausend Landwirt*innen demonstrierten allein am Montag bei Kundgebungen im ganzen Freistaat gegen die Berliner Ampel-Koalition. 

Konkreter Anlass für die Proteste ist die Kürzung des Agrardiesel-Zuschusses. Doch auch vorherige Entscheidungen der Ampel-Koalition stoßen vielen Bäuerinnen und Bauern übel auf. In den vergangenen Jahren habe die Bundesregierung ein Dutzend Kürzungsmaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft vorgenommen, sagt Markus Drexler, Sprecher des Bayerischen Bauernverbands, der BSZ. Aus Sicht des Verbands müssen die geplanten Kürzungen „komplett vom Tisch“.

Unter den Protestierenden waren bayernweit zahlreiche Lkw-Fahrer, auch andere Berufsgruppen wie etwa diverse Handwerker schlossen sich an. Sie alle eint der Groll auf die Politik der Ampel. 

BBV-Sprecher Drexler sagt, die Landwirte hätten „eine noch nie dagewesene Unterstützung der Bevölkerung gespürt“. In Ostdeutschland versuchten allerdings Rechtsextreme, die Proteste zu unterwandern. Auch in München wurden Vertreter der Identitären Bewegung oder der vom Verfassungsschutz beobachteten Burschenschaft Danubia unter den Protestierenden gesichtet; mehrere Galgen und eine NS-Landvolkfahne wurden gezeigt.

Offenbar handelte es sich im Freistaat jedoch um Einzelfälle. Die Polizeibehörden lobten den friedlichen Verlauf. Der Bauernverband achtete darauf, sich von Extremisten abzugrenzen. BBV-Boss Günther Felßner distanzierte sich von Extremisten jeglicher Couleur, unangemeldeten Verkehrsblockaden und Angriffen auf Politiker*innen: „Bauern sind keine Chaoten oder Klimakleber.“ Als er die Blockadeaktion schleswig-holsteinischer Bauern gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verurteilte, erntete er jedoch Buhrufe aus dem Publikum.

Im Vorfeld der Bauernproteste wurden aus den Reihen der Grünen Stimmen laut, die Landwirte sollten sich genau überlegen, ob sie auf die Straße gehen, schließlich könnten sie so Radikalen ein Forum bieten. Derlei Aufrufe sorgten insbesondere in den sozialen Medien für massive Kritik. Schließlich nahmen an von Grünen mitinitiierten Protesten in der Vergangenheit immer wieder auch radikale Gruppen teil. So etwa bei Aktionen gegen ein geplantes Atommüllendlager im niedersächsischen Gorleben. Bei einer Demo an der Startbahn West in Frankfurt wurden sogar zwei Polizisten erschossen.

Man könne nicht die Landwirte dafür verantwortlich machen, wenn Rechtsextreme versuchten, legitime Proteste zu kapern, argumentierten viele Kommentatoren etwa bei X, vormals Twitter. Klar ist: Bis heute sind Demos und sogar Straßenblockaden für viele Grüne ein Teil der DNA der Ökopartei. Zudem gibt es in Teilen der Partei durchaus Verständnis für die Proteste.

Zuletzt eher als Stimme hipper Großstädter gesehen

Für die Grünen in Bayern sind die Bauernproteste brandgefährlich. Schließlich haben sie es im vergangenen Jahrzehnt mühsam geschafft, auch in vielen ländlichen Regionen zu einer veritablen Kraft aufzusteigen. Doch zuletzt sahen weite Teile der Landbevölkerung die Ökopartei eher als Stimme der hippen Großstädter als der Menschen in der Provinz.

Das dürfte auch Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann wissen. Der Grünen-Politiker sagt der Staatszeitung: „Die Kürzungen waren der letzte Funke, der das Pulverfass explodieren ließ. Befüllt mit Frust und gefühlter Machtlosigkeit der Landwirte wurde dieses Fass über Jahrzehnte durch die komplett verfehlte Agrarpolitik nach dem Motto ,wachse oder weiche‘ und eine fehlgeleitete Subventionspolitik.“ Hartmann sagt aber auch: „Dass man heute immer das halbe Land lahmlegt, um Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu bekommen, treibt mich um.“ Er wünsche sich „dringend konstruktive Gespräche, die das große Ganze in den Blick nehmen“.

Groll unter den Bäuerinnen und Bauern herrscht schon seit Jahren, da die Einnahmen vieler Betriebe die Kosten Verbandsvertretern zufolge nur in guten Jahren decken. Allein in Bayern haben in den vergangenen 20 Jahren an die 50.000 Landwirt*innen den landwirtschaftlichen Betrieb eingestellt, sodass die Zahl der Höfe im Freistaat auf unter 100.000 gesunken ist. Der AfD-Landtagsabgeordnete Gerd Mannes sagt: Die Landwirtschaft habe „zu viele Kröten schlucken müssen“.

Zur Münchner Kundgebung erschienen mehrere CSU-Politiker*innen, darunter Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Profitieren von der Bauernrevolte können in jedem Fall die Freien Wähler. Deren Frontmann Hubert Aiwanger ist selbst Landwirt. „Es ist wichtig und richtig, den Bauern Rückendeckung zu geben. Deshalb bin ich auf so vielen Kundgebungen“, sagt Aiwanger. In Richtung Grüne poltert er: „Die überwältigende Mehrheit der Bauern weist vernünftig auf ihre Anliegen hin. Es ist deshalb grundverkehrt, wenn manche linke Kreise versuchen, den Landwirten am Zeug zu flicken.“

Die Bauern wollen so lange protestieren, bis die Kürzungen komplett zurückgezogen werden. (Tobias Lill)
 

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