Es ist ein erfülltes Lehrerleben, das Ahmed Jneid führt. Regelmäßig erzählen ihm seine Schüler, wie gern sie zu ihm in den Unterricht kommen. Der 52-Jährige ist auch selbst davon überzeugt, dass er eine wichtige Aufgabe erfüllt, wenn er Kinder in Islamkunde unterrichtet. Dass er das tut, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, denn eigentlich gibt es sein Schulfach noch gar nicht. Jneid ist einer von 97 Islamlehrern an bayerischen Schulen. Als Modellversuch läuft das im Freistaat. Ob und in welchem Rahmen der Islamunterricht im nächsten Schuljahr noch angeboten wird, ist derzeit unsicher.
„Momentan sind wir Lehrer schon verzweifelt“, sagt Jneid. „Wir wüssten gern, woran wir sind. Wir haben schließlich Familien.“ Viele Kollegen hätten Existenzängste und schauten sich gerade nach neuen Jobs um. Jneid selbst sagt: „Gott wird es schon richten.“ Doch eigentlich wäre erst mal die Politik am Zug.
Die hatte den Modellversuch Islamunterricht unter dem damaligen Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) 2009 eingeführt. Zunächst für fünf Jahre, 2014 wurde er um fünf Jahre verlängert, zum Ende des Schuljahrs läuft er aus. Aktuell wird der Unterricht an rund 350 Schulen, überwiegend Grund- und Mittelschulen angeboten. Rund 16 000 Schüler, ein knappes Zehntel aller muslimischen Schüler in Bayern besuchen ihn. Einer Umfrage zufolge würden sich aber 80 Prozent für den Islamunterricht entscheiden – wenn sie denn könnten.
An der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Unterrichts zweifeln jenseits der AfD nur wenige in Bayern. Schon 2015 bilanzierte das Kultusministerium, der Islamunterricht sei ein Beitrag zur Integration. Und im Sommer 2018 kam eine im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erstellte Studie über den Islam in Bayern zu dem Ergebnis: „Ein wichtiger Baustein für eine ,Kultur der Anerkennung’ von Muslimen in der Gesellschaft ist der islamische Religionsunterricht.“
Dieser Ansicht ist auch Lehrer Jneid, der an diesem Tag in einer ersten und zweiten Klasse in der Fürther Soldnerschule unterrichtet. Das „islamische Gebet“ steht gerade auf dem vom Ministerium vorgegebenen Lehrplan. Nach der vierten Stunde wechselt Jneid an die Mittelschule Schwabacher Straße. Dort behandelt er einen der sechs Glaubenssätze des Islam: den Glauben an die Heiligen Bücher.
„Ich finde den Lehrplan sehr gut“, sagt Jneid, auch wenn es natürlich immer Dinge gebe, die sich verbessern ließen. Mit Koranunterricht habe sein Unterricht aber nichts zu tun. „Wir haben einen ganz normalen Religionsunterricht. Wir basteln, spielen, singen.“ Dabei geht nicht nur um religiöse Themen, sondern zum Beispiel auch ums Versöhnen, Streiten, Frieden, Krieg, Hilfsbereitschaft. „Der Koran ist nur ein kleiner Teil.“
Ein Beitrag zur Integration
Schon Ende der Achtziger hatte man einen Modellversuch gestartet, damals ging es um einen rein türkischsprachigen Islamunterricht – der nicht ganz so überzeugte. „Ich hab’ live mitbekommen, was das bedeutet hat“, erzählt Gabriele Triebel, die damals am Münchner Asamgymnasium Sportlehrerin war. „Es kamen Männer aus der Türkei, die in der Regel kein Wort Deutsch konnten, und haben diesen Unterricht bestritten.“ Das Kultusministerium, so der Eindruck der Lehrerin, habe überhaupt kein Auge darauf gehabt, was diese Lehrer ihren Schülern vermittelten. „Es kamen regelmäßig Schülerinnen heulend zu mir: Jetzt hat er schon wieder gesagt, ich darf mich nicht schminken, ich darf mir keine Hosen anziehen, ich muss in diesem Rollenbild bleiben. Das war fürchterlich.“
Vor ein paar Monaten hat Triebel ihre letzte Unterrichtsstunde gehalten. Denn im Oktober wurde die 58-Jährige für die Grünen in den Landtag gewählt. Dort ist sie bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion – und setzt sich vehement für die Fortsetzung des Islamunterrichts ein. Die Grünen brachten – wie auch SPD und FDP – einen Dringlichkeitsantrag in den Landtag ein. Darin forderten sie, den Modellversuch in ein flächendeckendes Regelangebot zu überführen. „Wir hatten schon die Befürchtung, dass die das so ganz klammheimlich auslaufen lassen wollen“, sagt Triebel. In der Tat erklärte der designierte Ministerpräsident Markus Söder beim politischen Aschermittwoch im vergangenen Jahr, dass er gegen einen flächendeckenden Islamunterricht sei.
Was nun wer mit der Bezeichnung „flächendeckend“ meint, ist allerdings etwas unklar. Mittlerweile spricht selbst Triebel lieber von bedarfsgerecht. Natürlich, erklärt die Grüne, könne nirgends ein Unterricht für nur fünf Schüler angeboten werden. Aber man solle doch zumindest alle Möglichkeiten ausschöpfen. Da sei auch die Kreativität der Schulen gefragt: Wo können sich beispielsweise verschiedene Schulen zusammentun? Oder lässt sich der Unterricht etwa jahrgangsübergreifend anbieten?
Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, ob Islamunterricht „als konfessionell gebundener Religionsunterricht“ nach Artikel 7 des Grundgesetzes eingeführt werden kann. Die Grünen etwa fordern dies – auch, um damit die Gleichwertigkeit mit dem Religionsunterricht der christlichen Konfessionen zu unterstreichen. Die Regierungsparteien dagegen sehen dies aus verfassungsrechtlichen Gründen sehr skeptisch, da Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt werden muss, auf muslimischer Seite allerdings keine Organisation als Ansprechpartner zur Verfügung steht, die einen allgemeinen Vertretungsanspruch der muslimischen Gemeinschaft hätte.
Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) machte jüngst im Landtag klar, dass in seinen Augen nur eine Fortsetzung des Islamunterrichts in Form einer Ethikunterrichtsvariante in Frage kommt. Er sagte aber auch: „Ich persönlich habe große Sympathie für diesen Modellversuch, und ich persönlich sehe ihn positiv.“ Die Lehrer hätten sehr gute Arbeit geleistet, der Unterricht habe eine hohe integrative Wirkung. Deshalb wolle er bis zu einer Entscheidung nicht das finale Ergebnis der Evaluation im Juli abwarten, sondern schon vorher für Klarheit sorgen. „Ich würde es in Wochen zählen.“
Die Grüne Triebel konnte er damit zumindest ein wenig beruhigen. Und Lehrer Jneid hätte dann Planungssicherheit. Er ist sich zwar sicher, dass er auch einen anderen Job finden würde. „Aber für die Kinder wäre es sehr schade. Wenn die in der Schule keinen Islamunterricht haben, werden die Eltern andere Möglichkeiten suchen.“
(Dominik Baur)
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