Politik

Fabian Mehring (31), Parlamentarischer Geschäftsführer der Freie-Wähler-Landtagsfraktion, im leeren Plenarsaal. (Foto: Hendrik Steffens)

11.12.2020

"Wir müssen Perspektiven eröffnen"

Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freie-Wähler-Landtagsfraktion, über Zoff mit der CSU, die richtige Corona-Strategie und Forderungen nach einem Exit-Plan

Nicht immer ziehen die Koalitionäre CSU und Freie Wähler mit Blick auf Corona am gleichen Strang. Gerne wären die FW in der Vergangenheit großzügiger gewesen bei den Lockerungen. Jetzt fordern sie eine Exit-Strategie für den Januar. Für wen soll das gelten, ab wann und bei welchen Inzidenzwerten? Und was sagt die CSU dazu?

BSZ: Herr Mehring, vergangene Woche haben die Freien Wähler eine Exit-Strategie gefordert, drei Tage später verkündete Ministerpräsident Söder weitere Verschärfungen, die jetzt wohl noch mal strenger werden und die Sie mittragen. Wie passt das zusammen?
Fabian Mehring: Ich sehe da keinen Widerspruch. Das eine ist die Konsequenz aus dem anderen. Unser übergeordnetes Ziel in der Corona-Politik besteht darin, ab 11. Januar erste Schritte in Richtung Freiheit und Normalität zu ermöglichen. Deshalb lautet jetzt die Frage: Was müssen wir tun, wie müssen wir uns nun verhalten, damit das ab 11. Januar möglich ist. Wenn wir aber schauen, was der geltende Lockdown light tatsächlich bringt, muss man ehrlich sagen: Er wirkt zu wenig, kostet zu viel und dauert zu lang. Das heißt: Wir müssen jetzt etwas ändern. Niemand will doch, dass wir uns von Lockdown light zu Lockdown light hangeln.

BSZ: Warum kommen Verschärfungen für Schulen und für Altenheime erst jetzt? Es ist doch immer schon klar, dass an den Schulen mit Abstand die meisten Kontakte stattfinden und Alte besonders gefährdet sind.
Mehring: Es ist richtig, dass an den Schulen unfassbar viele Kontakte stattfinden: Alleine in Bayern bis zu 1,7 Millionen Kontakte jeden Tag. Das heißt, wenn man 75 Prozent der Kontakte reduzieren will, ist das ein unglaublich großer Hebel und die richtige Maßnahme. Bei den Altenheimen wiederum ist die Mortalität am höchsten. Wenn man also die Todesrate und auch die Hospitalisierungsquote senken will, müssen wir hier besonders anpacken. Und ja: Das hätte man früher machen können, wir Freien Wähler hatten das ja auch bereits gefordert. Wir müssen aber die Balance halten zwischen dem, was wir der Gesellschaft zumuten können, und dem, was politisch notwendig ist.

BSZ: Und Sie müssen von Ihren Wünschen auch die CSU überzeugen.
Mehring: Das natürlich auch – wir regieren gemeinsam.

BSZ: Ihr Abgeordneter Peter Bauer, Patientenbeauftragter der Staatsregierung, will einen ganz anderen Corona-Kurs: nämlich vulnerable Gruppen wie Alte und Menschen mit Vorerkrankungen besonders schützen, um so anderen mehr Freiräume zu geben. Haben Sie darüber mit der CSU gesprochen?
Mehring: Ja, haben wir, und wir haben uns damit auch ein Stück weit durchgesetzt. Wir setzen doch jetzt tatsächlich einen stärkeren Fokus auf die Altenheime – mit dem Ziel, so im Januar für die Allgemeinheit mehr Öffnungen zu ermöglichen.

"Ich will  eine breitere Debatte über die richtige Corona-Strategie"

BSZ: Bayern hat bundesweit die schlechtesten Corona-Zahlen, obwohl hier die Regeln am schärfsten sind. Wie kommt das?
Mehring: Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die aber nicht von der Politik zu verantworten sind. Wir haben in den Grenzregionen den allergrößten Anstieg der Infektionszahlen. Das liegt daran, dass jenseits der Grenzen und zum Teil auch im kleinen Grenzverkehr die Situation längst außer Kontrolle geraten ist. Im März waren wir über den Skitourismus deutlich stärker betroffen als andere Regionen. Und man sieht überall auf der Welt, dass dort, wo die erste Welle stark war, leider auch die zweite Welle stärker ausfällt.

BSZ: Zu Ihrem Exit-Plan. Sie wollen, dass Wissenschaftler darüber bestimmen, wer wann was darf. Ist es nicht Aufgabe der Politik, sich verschiedene wissenschaftliche Thesen anzuhören, um dann selbst Verantwortung zu übernehmen und zu entscheiden?
Mehring: Natürlich muss am Ende die Politik entscheiden. Sie sollte sich dabei aber von der Wissenschaft beraten lassen. Wir agieren beim Lockdown ja auch nach wissenschaftlichen Maßstäben, das sollten wir auch beim Exit-Plan tun. Wir sollten jetzt die Zeit nutzen bis Januar und Experten damit beauftragen, herauszufinden, welche Bereiche mit welchem Hygienekonzept bis wann öffnen dürfen. Mein Vorschlag wäre, dass das beispielsweise die Leopoldina übernimmt.

BSZ: Warum die Leopoldina? Mit der Auswahl der Experten ist ja eigentlich klar, was möglich sein wird. Wann kommt endlich ein breiter Diskurs mit unterschiedlichen Experten, auch solchen, die nicht den wissenschaftlichen Mainstream vertreten?
Mehring: Ich will auch eine breitere Debatte! Und ich bin keineswegs auf die Leopoldina fixiert, wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn ein breiteres Gremium mit unterschiedlichen Experten darüber berät. Mir geht es nur darum, dass wir die angestrebten Öffnungen nach wissenschaftlichen Kriterien festlegen. Zum Beispiel: Wenn in einem Landkreis die Inzidenz bei 50 liegt, dürfen Fitnessstudios, Gastronomie und Kultureinrichtungen öffnen. Das wäre eine Perspektive für die Menschen, die nicht nur Angst macht, sondern als Anreiz zum Mitmachen animiert.

"Eine Impfpflicht darf es auf keinen Fall geben."

BSZ: Warum sollten denn Söder und Merkel ihre Strategie ändern? Die erzielen mit der Politik des Angstschürens fantastische Zustimmungswerte.
Mehring: Das mag sein, kann aber nicht die Grundlage bilden für mein politisches Handeln.

BSZ: Sie plädieren einerseits für eine offene Debatte. Andererseits sind Sie kürzlich saugrob über die FDP hergefallen, die das Gleiche wollte, und haben die Liberalen in die Nähe der AfD gerückt.
Mehring: Da fühle ich mich zutiefst missverstanden. Ich hab damals als Parlamentarischer Geschäftsführer gesprochen und war sauer auf die FDP, die im Ältestenrat des Landtags dem Ablauf der Plenarsitzung kurz zuvor zugestimmt hatte. Im Plenum wollte die FDP dann plötzlich medienwirksam alles umwerfen und über ganz andere Themen reden, als besprochen war. Mir ging’s nicht um inhaltliche Fragen, sondern um das Prozedere – genau deshalb gibt es schließlich den Ältestenrat. Inhaltlich haben AfD und FDP freilich nicht das Geringste gemeinsam. Wie das gemeint war, habe ich deshalb mit meinem FDP-Geschäftsführerkollegen noch am gleichen Abend bei einer gemeinsamen Joggingrunde geklärt und ihm gesagt, dass mir dieser Vergleich im Eifer des Gefechts verrutscht ist.

BSZ: Söder und Merkel wollen eine außerplanmäßige Ministerpräsidentenkonferenz vor Weihnachten. Sie auch?
Mehring: Ja. Denn es ist im bayerischen Interesse, dass nicht nur wir mit strengeren Maßnahmen die Infektionszahlen senken.

BSZ: Ihre Meinung zum Thema Impfpflicht?
Mehring: Eine Impfpflicht darf es auf keinen Fall geben. Und ich halte es auch für ausgeschlossen, dass es so weit kommt. Weder wird es eine allgemeine Pflicht geben noch eine Pflicht für bestimmte Berufsgruppen. Auch im engsten Zirkel der Koalition in Bayern hab ich keinen Einzigen erlebt, der dafür war. Ich halte das für eine Scheindebatte.
(Interview: Waltraud Taschner)

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