Phil Hackemann (28) saß zwar noch in keinem Parlament, argumentiert aber schon wie die Politprofis – inklusive deren Floskeln. Im BSZ-Interview plädiert er für eine effizientere Flüchtlingspolitik auf EU-Ebene, die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips und eine bessere Zusammenarbeit der europäischen Streitkräfte.
BSZ: Herr Hackemann, nachdem die Liberalen in hohem Bogen aus dem Landtag geflogen sind: Braucht’s die FDP in Bayern noch?
Phil Hackemann: Definitiv! Wenn man sich anschaut, wie Bayern geführt wird, bräuchte es dringend wieder eine bürgerlich-liberale Kraft, die anpackt. Ob Kitaplatz-, Lehrer-, Fachkräfte- oder Wohnungsmangel – CSU und Freie Wähler haben bislang keines der drängenden Probleme gelöst. Und die Opposition ist entweder links oder fällt nur mit populistischem Geschrei auf.
BSZ: Die Menschen scheinen das anders zu sehen. Wenn jetzt gewählt würde, müsste die FDP sogar um den Einzug in den Bundestag zittern.
Hackemann: Der Mut und Optimismus zu Beginn der Ampel-Regierung wurde durch den Ukraine-Krieg überschattet. Dadurch mussten viele unserer Vorhaben der Tagespolitik weichen und wir mitunter auch schwere Entscheidungen treffen. Ich bin mir aber sicher, dass wir am Ende der vier Jahre eine positive Bilanz ziehen können.
BSZ: Sie glauben also an einen Zusammenhalt der Ampel-Regierung bis Herbst 2025? Einige in Ihrer Partei würden lieber heute als morgen die Koalition verlassen.
Hackemann: Ja. Ich bin zwar kein Ampel-Fan, aber auch kein Verfechter davon, die Koalition aufzukündigen. Außerdem glaube ich, dass die Bundesregierung durchaus Erfolge vorzuweisen hat – trotz Krieg und Inflation konnte sie das Land gut durch die Krisen führen und treibt nun wichtige Modernisierungsprojekte voran. Ich bin außerdem der Meinung, dass wir als kleinster Koalitionspartner bereits eine deutliche Handschrift hinterlassen haben, etwa beim Abbau von Bürokratie, bei der Digitalisierung, der Entlastung der breiten Mitte oder besseren Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft.
BSZ: Der ständige Ampel-Streit nervt die Menschen. Die FDP will als durchsetzungsstark erscheinen, wird aber oft als Bremser wahrgenommen. Wird es nicht Zeit, diese Strategie zu überdenken?
Hackemann: Würden wir unsere Wahlversprechen über Bord werfen, würde man uns das – zu Recht – ebenfalls vorwerfen. Wir wollen, dass bei einer Stimme für die FDP auch liberale Politik rauskommt. Es ist aber nicht so, als ob wir nicht kompromissbereit wären. Wir können uns bei Kompromissen eben nur am besten durchsetzen (lacht).
BSZ: Auch in der EU drohen durch die Vetos der FDP Vorhaben zu scheitern, zuletzt etwa das Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten bei Zulieferbetrieben verpflichten soll.
Hackemann: Wir sind nicht immer prinzipiell dagegen, sondern fordern schlicht Nachbesserungen. Aber ja: Wir verhindern schlechte Gesetze, wenn es sein muss. Das bürokratische Lieferkettengesetz ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Daher sehe ich keinen Grund, warum wir uns für unser Veto schämen sollten; zumal wir damit in Europa ja auch nicht allein dastehen. Es wurde gar kolportiert, die Abstimmung im Rat sei nur noch eine Formalie. Ich meine: Nein, das ist Demokratie!
BSZ: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat diese Woche ihre erneute Kandidatur verkündet, was Bayerns FDP-Parteichef Martin Hagen mit viel Spott kommentierte.
Hackemann: Zu Recht! Ursula von der Leyen muss abgewählt werden. Unter ihrer Führung wurden in den letzten fünf Jahren wahre Bürokratiemonster geschaffen; darunter auch besagtes Lieferkettengesetz. Diese Eingriffe sind auch mitverantwortlich dafür, dass die europäische Wirtschaft schwächelt. Uns Liberale stören außerdem Bürgerrechtseinschränkungen wie durch die Chatkontrolle in sozialen Medien, die ebenfalls aus ihrer Feder stammt. Wir brauchen daher eine neue Kommission, die wieder in die Zukunft blickt und es den Menschen einfacher macht, statt an der Überregulierung festzuhalten. Abhilfe schaffen können da nur wir. Denn eine Stimme für die CSU ist eine für ein Weiter so mit Ursula von der Leyen, SPD und Grüne denken nur ans Umverteilen und die AfD ist auf Zerstörungskurs.
BSZ: Sie sind erst 28 Jahre und haben keine parlamentarische Erfahrung. Andere Parteien schicken oft ihre altverdienten Politikgrößen nach Brüssel. Warum sind Sie der geeignete Kandidat?
Hackemann: Wir setzen auf beides: Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann schicken wir eine der bekanntesten deutschen Spitzenkandidatinnen ins Rennen. Gleichzeitig gibt die Partei auch Newcomern wie mir eine Chance. Ich habe den Brexit während meines Studiums in London hautnah mitbekommen und weiß daher, was antieuropäischer Populismus für Freiheit und Wohlstand bedeutet. Das hat mich politisiert. In meiner Promotion habe ich mich daraufhin mit genau den Reformen beschäftigt, die notwendig sind, um die EU endlich wieder handlungsfähig bei den großen Herausforderungen unserer Zeit zu machen. Diese möchte ich nun auch in das Parlament einbringen.
BSZ: Nicht nur wegen des Krieges in der Ukraine haben viele Menschen Sorge um den Frieden in Europa. Was hat aus Ihrer Sicht die Münchner Sicherheitskonferenz konkret gebracht?
Hackemann: Es ist wichtig, dass sich die transatlantischen Partner regelmäßig austauschen. Gerade in der jetzigen Zeit, wo wir durch Russland vor Bedrohungen stehen, die wir uns lang nicht hätten vorstellen können. Und in einer, in der der nächste US-Präsident womöglich Donald Trump heißt. Mit seinen jüngsten Äußerungen hat er schon wieder Zweifel aufkommen lassen, ob unser Schutz im Rahmen der Nato dann noch sichergestellt wäre. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam auch selbst für unsere Sicherheit in Europa sorgen können. Wir können es uns nicht länger leisten, 27 inkompatible Streitkräfte nebeneinander zu haben.
BSZ: Die Abschaffung der Grenzkontrollen galt als eine der größten Errungenschaften des geeinten Europas – dennoch wird seit neun Jahren wieder kontrolliert. Ist das das Ende des Schengen-Abkommens?
Hackemann: Als junger Mensch kenne ich nur ein Europa der offenen Grenzen. Deswegen bereitet es mir Bauchschmerzen, wenn wir an Binnengrenzen kontrollieren müssen. Um das zu ändern, braucht es so schnell wie möglich eine bessere Kontrolle der Außengrenzen. Für eine geordnete Migration müssen wir wissen, wer zu uns kommt, wem wir Schutz geben, wer auf dem Arbeitsmarkt willkommen ist, aber auch, wer keine Zukunft in Europa hat.
BSZ: Die Forderung gibt es seit 2015, nur verändert hat sich seitdem nichts.
Hackemann: Die EU ist durch den neuen Asylkompromiss auf einem sehr guten Weg. 2023 hat man sich ja geeinigt, die Grenzkontrollen an den Außengrenzen zu verstärken und bei der Verteilung dafür zu sorgen, dass nicht einfach fast alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wer keine Bleibeperspektive hat, muss rückgeführt werden. Dies soll mit bilateralen Abkommen vereinfacht werden. Gleichzeitig steht die FDP zu ihrer humanitären Schutzverantwortung für Menschen, die tatsächlich vor Krieg und Verfolgung flüchten mussten.
„Das EU-Parlament ist kein zahnloser Tiger mehr, sondern ein mächtiger Gesetzgeber“
BSZ: Nicht alle EU-Mitgliedstaaten nehmen es mit den demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien so genau. Zusätzlich werden bei dieser Wahl wohl so viele EU-Gegnerinnen und -gegner wie nie ins Europaparlament einziehen. Beunruhigt Sie das?
Hackemann: Das ist eine Riesengefahr für uns alle. Erst die europäische Einigung hat uns den Frieden und Wohlstand gebracht, den wir heute alle genießen dürfen. Wenn wir die EU aufs Spiel setzen, wie es die AfD offen tut, gefährden wir diese Errungenschaften. Dass die Menschen Antieuropäer wählen, liegt aber meiner Meinung nach nicht an der Ablehnung der EU an sich, sondern an der Unzufriedenheit, wie auf europäischer Ebene regiert wird. Aber es ist niemandem geholfen, wenn man aus Protest eine Partei wählt, die das System fundamental zerstören will. Es gibt stattdessen demokratische Alternativen, die eine andere, bessere Politik in der EU möchten.
BSZ: Zu viel Macht, zu aufgebläht, zu bürokratisch: Sie promovieren zur EU. Wo sehen Sie den größten Reformbedarf?
Hackemann: Die EU sollte sich bei den kleinen Dingen mehr zurückhalten und dafür bei den großen Herausforderungen, die wir nur noch gemeinsam bewältigen können, wie Verteidigung und Migration, handlungsfähiger werden. Dafür braucht es mutige Reformen. Zum Beispiel gilt bei der Außen- und Sicherheitspolitik noch immer das Einstimmigkeitsprinzip. Wir dürfen aber nicht länger darauf angewiesen sein, dass Ungarns Präsident Viktor Orbán für fünf Minuten den Raum verlassen muss, um Entscheidungen treffen zu können. Um zukunftsfähig und wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, muss die EU außerdem schlanker und unbürokratischer werden.
BSZ: Was sagen Sie Menschen, die am 9. Juni nicht zur Wahl gehen wollen?
Hackemann: Nur durch die europäische Einigung können wir ohne Roaminggebühren und mit einheitlichen Standards unkompliziert reisen, im EU-Ausland studieren oder in unseren Nachbarländern arbeiten. Durch den europäischen Binnenmarkt ist jeder von uns im Schnitt um 4 Prozent reicher pro Jahr. Diese Errungenschaften dürfen wir nicht aufs Spiel setzen, indem wir unsere Stimme den Antieuropäern überlassen. Das EU-Parlament ist inzwischen ein mächtiger und gleichberechtigter Gesetzgeber und nicht mehr der zahnlose Tiger wie früher. Ob man wählt oder nicht, hat also einen großen Effekt darauf, wie künftig in der EU regiert wird, und damit auch auf das eigene Leben. (Interview: David Lohmann)
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