Politik

Bisher nutzen nur 36 Prozent der Grundschulkinder Ganztagesbetreuungsangebote wie diesen Hort in Holzkirchen. Bis 2030 werden es 80 Prozent sein. (Foto: dpa/Paul Winterer)

02.06.2023

Wohin mit den Kleinen, wenn die Eltern arbeiten?

2026 tritt der Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung von Schulkindern in Kraft: Bayern hat derzeit hier zusammen mit Schleswig-Holstein die schlechteste Bilanz

Flächendeckende Ganztagsangebote für Grundschulkinder? In Bayern? Klingt traumhaft! Aber so ist es tatsächlich, oder viel mehr: So soll es sein. Denn ab 2026 tritt deutschlandweit der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz in Kraft.

Erst sind die Erstklässler dran. Nach und nach sollen dann bis 2030 alle Grundschulkinder in einer Kernzeit von 8 bis 16 Uhr betreut werden können.

Ob das Ziel so bald erreicht wird, steht allerdings in den Sternen. Dabei ist ein Kurswechsel dringend geboten: Fehlen Betreuungsplätze für Grundschulkinder, können Eltern nicht oder nur in Teilzeit arbeiten. Und nicht nur aus ökonomischen Gründen ist der Ganztag ein Gebot der Stunde, er hat immense Vorteile für die Kinder selbst.

Gefördert werden, sozial eingebunden sein: Das tut allen Schülern und Schülerinnen gut, auf dem Land wie in der Stadt, unabhängig von Herkunft und Umfeld. Besonders aber profitieren Kinder aus bildungsfernen Haushalten. 

Der Rechtsanspruch, der im Kita-Bereich bereits besteht, ist also längst überfällig. Um ihn zu verwirklichen, müssen laut einer Berechnung des Deutschen Jugendinstituts zum Schuljahr 2029/30 bundesweit 600 000 zusätzliche Ganztagsplätze geschaffen werden. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung geht sogar von einer Million Plätzen aus. Auch der Personalbedarf ist riesig: Bis 2030 fehlen hierfür, so die Stiftung, deutschlandweit 100 000 pädagogische Fachkräfte.

In ostdeutschen Bundesländern ist Ganztagsbetreuung Standard

Nur in den ostdeutschen Bundesländern kann man sich entspannt zurücklehnen. Dort war Ganztagsbetreuung schon immer selbstverständlich. 86 Prozent der Grundschulkinder kommen erst nachmittags aus der Schule nach Hause, weshalb man sich hier nun auf die ebenfalls wichtige Frage konzentrieren kann, wie sich die Qualität der Betreuung verbessern lässt. In Westdeutschland dagegen werden, so die Bertelsmann-Studie, bislang nur 47 Prozent der Kinder im Grundschulalter im Ganztag betreut. Ein Übermittagangebot besuchen 18 Prozent.

Was die Bundesländer angeht, variiert das Angebot erheblich. Leuchtendes Vorbild ist Hamburg, wo insgesamt 97 Prozent der Grundschulkinder ein Ganztagsangebot nutzen. Auch in Berlin sind bereits 84 Prozent der Kinder im Grundschulalter im Ganztag, 4 Prozent besuchen eine Übermittagsbetreuung.

Das Angebot im Saarland liegt mit 62 Prozent ein ganzes Stück weit über dem westdeutschen Durchschnitt. Auch in Bremen gehen bereits 58 Prozent in den Ganztag.

Nordrhein-Westfalen dagegen entspricht in etwa dem westdeutschen Durchschnitt, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz liegen leicht darüber, Baden-Württemberg bleibt knapp darunter. Den Schnitt drückt ganz eindeutig Schleswig-Holstein (32 Prozent).

Bayerns Quote beträgt nur 36 Prozent

Und natürlich: Bayern. Bisher nutzen nur 36 Prozent der Grundschulkinder hierzulande ein Ganztagesangebot, zusätzliche 22 Prozent bleiben bis 14.30 Uhr in einer Einrichtung.

Das bayerische Familien- und das Kultusministerium gehen davon aus, dass im Schuljahr 2029/30 bis zu 80 Prozent der Kinder ein Angebot der Ganztagesbetreuung in Anspruch nehmen werden. Demnach müssten bis 2028 insgesamt 130 000 neue Plätze entstehen.

Laut den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung fehlen dann in Bayern bis zu 21 000 Fachkräfte. 10 000 wären es, wenn viele Kinder weiterhin die kürzere Übermittagsbetreuung in Anspruch nehmen.

„Bayern kann die Umsetzung des Rechtsanspruchs für alle Kinder bis 2030 kaum stemmen, der Fachkräftebedarf ist bis dahin nicht zu decken“, prognostizierte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Stiftung, bereits im vergangenen Jahr.

Langes Fremdeln rächt sich

Das jahrzehntelange bayerische Gefremdel mit dem Konzept von Ganztagsschulen und -betreuung rächt sich also. Aber: Inzwischen hat man sich durchaus auf den Weg gemacht. Die Zahl der Betreuungsplätze in Kitas, Ganztagsschulen und Schülermittagsbetreuungen insgesamt hat sich bereits in den vergangenen elf Jahren erhöht, so eine Sprecherin des Familienministeriums: Von 177 400 auf 285 400 Plätze.

Im Schuljahr 2021/22 nutzten 14 Prozent mehr Grundschulkinder das Angebot einer Mittagsbetreuung als noch wenige Jahre zuvor. Die Studierendenzahlen an den Fachakademien für Sozialpädagogik sind gestiegen, die Erzieher*innenausbildung wurde modernisiert, Ausbildungszeiten wurden verkürzt und vergütet.

Ob das genügt? Nein, sagen die Kommunen, die die Mammutaufgabe schultern müssen. Heftige Kritik übt etwa der Bayerische Städtetag. Die Umsetzung des Rechtsanspruchs durch Einrichtungen der Kinderbetreuung sei de facto unmöglich, so Johann Kronauer.

Die Gründe: die hohen Kosten, die nur zum Teil von Bund und Ländern übernommen werden – und der Fachkräftemangel. Der Städtetag beklagt aber auch den Verwaltungs- und Organisationaufwand, der zu leisten sei: „Anstatt für die Praxis Spielräume zu eröffnen, gibt es unzählige staatliche Vorgaben und Standards, an denen viele verzweifeln.“

Was den Ganztag angeht, sieht der Bayerische Städtetag nicht die Kommunen, sondern den Freistaat mit seinen Schulen in der Pflicht. „Wenn die Schule selbst für die Betreuung der Kinder sorgt, besteht keine Gefahr, dass das außerschulische Kinderbetreuungssystem überlastet wird.“ Mit einem Anteil schulischer Angebote in Höhe von 38 Prozent sei in Bayern viel Luft nach oben. (Monika Goetsch)
 

Kommentare (1)

  1. Gartenzwerg123 am 02.06.2023
    Es ist ein absolutes Trauerspiel. Hat nicht Seehofer schon 2013 versprochen, dass 2018 jedes Grundschulkind einen Platz hat? Was ist seitdem passiert? Anscheinend fast gar nichts. Der offene Ganztag wäre für die Eltern als Schulische Veranstaltung sogar kostenlos aber den offenen Ganztag muss die Schulleitung beantragen. Warum tun dies so wenige und lassen stattdessen die Eltern für schlecht geförderte Mittagsbetreuung draufzahlen?

    Im Hort übrigens gibt es Fachkräftegebot. In Mittagsbetreuung und offenem Ganztag aber nicht da reicht ein erweitertes Führungszeugnis. Welchen Sinn hat das?

    Für Hortplätze ist auch das Sozialministerium zuständig für Mittagsbetreuungen und Ganztag dagegen das Kultusministerium. Schon allein organisatorisch ist das alles ein absoluter Verhau.

    Es hängt vor allem auch an den Räumen - diesbezüglich scheuen sich viele Schulen auch einfach in Doppelnutzung zu gehen.

    Mein Eindruck ist nicht, dass es nicht geht sondern politisch ist es gar nicht gewollt. "Familienland Bayern" heißt immer noch Mutti an den Herd.
Die Frage der Woche

Ist die geplante neue Kindergrundsicherung sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.