Politik

Auf der Suche nach einem Job und günstigem Zimmer. Für viele ist die Finanzierung des Studiums ein Kraftakt. (Foto: dpa)

17.08.2018

Zu viele fallen durchs Raster

Immer weniger Studierende in Bayern bekommen BAföG – weil es ihnen so gut geht, wie die CSU glaubt?

Soll man den Mietvertrag für eine Wohnung unterschreiben, die man nicht gesehen hat? Ein Vater und sein hochgewachsener Sohn stehen in der Eingangshalle des Münchner Studentenwerks, sie sind verunsichert. Die Dame an der Information schüttelt den Kopf. Zwei Stockwerke höher beraten Sachbearbeiter des Amts für Ausbildungsförderung Studierende, die BAföG beantragen wollen. Man geht zum Automaten und zieht eine Nummer. Dennoch wartet hier keiner lange. Acht Minuten, sagt Oliver Leitner, der Abteilungsleiter. Sehr viel länger dauert es allerdings, bis ein Antrag auf BAföG bearbeitet ist. Wochen, ja Monate gehen ins Land, denn, das lernt man schnell: BAföG ist ein bürokratisches Ungetüm.

In Leitners Büro stehen zwar keine Akten herum. Das Amt allerdings, erzählt er, sei „ein papiernes“. Anträge werden per Post eingeschickt, anderes druckt man aus, man kopiert, heftet ab. Die Ordner sind prallvoll mit Unterlagen. Das Leben ist komplizierter geworden. „Vor zehn Jahren“, erinnert sich Leitner, „waren die Ordner halb so dick.“

Die Zahl der Studierenden, die BAföG bekommen, ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken – in Bayern ebenso wie in der gesamten Republik. Im Freistaat wurden 2017 insgesamt 29 953 Studierende gefördert, rund Tausend weniger als im Vorjahr. 2012 waren es sogar über 40 000. Aktuell beträgt der Höchstsatz 735 Euro pro Monat. Eine Vollförderung erhielten 21 048 Studierende in Bayern. Fünf Jahre zuvor waren es noch 27 395.

Die Tendenz ist eindeutig, zumal die Gesamtzahl der Studierenden steigt. Für CDU und CSU bildet die Entwicklung beim BAföG den allgemeinen Wohlstand ab. „Wir gehen ebenso wie das Bundesbildungsministerium davon aus, dass der Rückgang auf die anhaltend gute Konjunktur und Wirtschaftslage zurückzuführen ist“, so eine Sprecherin des bayerischen Wissenschaftsministeriums.

Die SPD sieht das anders. „Dass es weniger Studierende gibt, die BAföG bekommen, bedeutet keineswegs, dass es den jungen Menschen finanziell besser geht – im Gegenteil“, so die hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Isabell Zacharias. Der Grund: Die Löhne und Gehälter sind zwar gestiegen, die Bedingungen allerdings, nach denen BAföG ausgezahlt wird, blieben unverändert. So fallen immer mehr Studierende, die BAföG bräuchten, aus dem Raster, so Zacharias. „Und ein Studium wird immer mehr wieder zu einer Angelegenheit, die nur für Kinder reicher Eltern in Frage kommt.“

Ähnlich argumentiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sebastian Jung, Gewerkschaftssekretär in Nürnberg, hält die Entwicklung in Bayern für „besorgniserregend“. Betroffen seien insbesondere Studierende, deren Eltern keinen akademischen Abschluss vorweisen können. Die GEW verlangt darum, die Bedarfssätze und Freibeträge um mindestens zehn Prozent anzuheben, die Sätze an die Einkommensentwicklung und Preissteigerungen anzupassen und den Darlehensanteil von derzeit 50 Prozent, die später zurückgezahlt werden müssen, zu streichen. Auch aus Sicht der Gewerkschaft gibt es also nicht etwa weniger Bedürftige, sondern mehr Bedürftige, die keine Förderung erhalten.

Tatsächlich ist BAföG für jeden, der es bekommt, ein Segen. Seit die staatliche Studienfinanzierung 1971 eingerichtet wurde, haben bundesweit über vier Millionen Studierende davon profitiert. BAföG erhöht eindeutig die Chancengerechtigkeit im Hochschulsystem. Das Deutsche Studentenwerk hat darum in den letzten Jahren offensiv für BAföG geworben.

Bedarfssätze und Freibeträge an Lohnentwicklung anpassen

Aber es half nichts: Die Zahlen sanken weiter. „Das Wissen, dass es BAföG gibt, scheint verloren zu gehen“, meint Oliver Leitner. Vielleicht sei auch der Ruf des BAföG nicht mehr der beste. Schließlich sei man seit 2003 restriktiver geworden bei den Kontrollen. Studierende fürchten zudem den Ärger mit Eltern, die sich weigern, für das Studium aufzukommen. Oder sie wollen nicht mit Schulden ins Leben gehen. Schließlich komme man mit Stipendien, Krediten und Jobben einigermaßen über die Runden.

Dazu kommt: Es ist gar nicht immer so einfach, einen Antrag zu stellen. Zwar kann inzwischen vieles online erledigt werden. Aber immer noch müssen die Eltern bereit sein, ihre Einkommensverhältnisse offenzulegen. Manchmal, erzählt Leitner, ist von einem Elternteil nicht einmal die Adresse bekannt. Es gibt zerbrochene Ehen und ferne Väter, man wohnt mit Geschwistern, Stiefgeschwistern und den Kindern des neuen Lebenspartners der Mutter zusammen. Es gibt Eltern, die zahlen wollen, aber nicht können. Andere weigern sich einfach. Hin und wieder zieht ein BAföG-Antrag darum eine Zivilklage nach sich.

Das Amt prüft jeden Einzelfall. Jahr für Jahr muss das Geld neu beantragt werden. Gefördert wird nur, wer planvoll und zielstrebig studiert. Braucht man beim Studieren zu lange, etwa wegen einer Depression, fliegt man aus der Förderung raus – es sei denn, man hat sich frühzeitig um ein ärztliches Attest bemüht.

Der Beratungsbedarf ist entsprechend hoch. 60 Beratungen pro Tag finden im Studentenwerk an der Münchner Leopoldstraße statt. Die später eingesandten Unterlagen sind aber auch dann nicht immer vollständig. Wie soll einer auch einen Mietnachweis erbringen, der gerade bei einem Freund schläft oder im Auto. Oder einer, der von Hostel zu Hostel zieht, weil auf dem Münchner Wohnungsmarkt einfach kein freies Zimmer zu finden ist?

Im Herbst könnte eine neu eingeführte BAföG-App vieles einfacher machen. Möglich, dass schon bald keine dicken Ordner im Münchner Amt für Ausbildungsförderung stehen. Auch möglich, dass künftig Studierende von einer Antragstellung dann nur noch einen Mausklick entfernt sind. Anderes aber bleibt schwierig.
(Monika Goetsch)

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